Seenotrettung: Auge über dem Wasser
10. August 2019Der Kopfhörer knackt, dann durchbricht die Stimme Marias das monotone Dröhnen im Flugzeugcockpit. Durch ein Fernglas blickt sie in Richtung einiger Ölplattformen, die aus dem Meer ragen. An den Spitzen ihrer Bohrtürme lodern meterhohe Flammen.
"Unter den Ölfeldern findet man relativ häufig Boote. Wenn die am Strand losfahren ist oft die große Flamme von der Plattform das einzige, was sie sehen können. Da wird ihnen dann häufig auch schon gesagt, da ist Europa, da müsst ihr hin."
Maria ist auf der Suche nach Schiffen in Seenot. Genauer gesagt: nach Booten mit Migranten, die in Nordafrika aufbrechen, um nach Europa zu gelangen. Die 25-jährige Medizinstudentin gehört zu "Sea-Watch", einer privaten Seenotrettungsorganisation aus Deutschland. Zusammen mit Pilot Jan und Fotograf Kai bilden sie heute das Team der "Moonbird", dem Aufklärungsflugzeug der Organisation.
Es ist früher Nachmittag und die Crew ist schon seit einiger Zeit in der Luft. Sie fliegen ihre Suchmuster über dem Meer, in 450 Metern Höhe etwa 70 Meilen vor der Libyschen Küste. Das zentrale Mittelmeer war bis vor wenigen Jahren eine der meistfrequentierten Routen von Afrika nach Europa. Zum Höhepunkt der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 kamen in einigen Monaten mehr als 20.000 Menschen in Italien und Malta an. Hunderte überlebten die Überfahrt nicht, immer mehr Leichen wurden an europäische Strände gespült.
Libyen als Türsteher der EU
Um die Migration einzudämmen, hat die Europäische Union die libysche Küstenwache eingespannt. Die fängt Boote auf dem Weg nach Europa ab und bringt sie zurück nach Libyen. Ein von der EU finanziertes und höchst umstrittenes Vorgehen. Viele der zurückgewiesenen Migranten landen im Bürgerkriegsland Libyen in Lagern, wo ihnen sexuelle Gewalt und Ausbeutung drohen.
Trotzdem sind die Libyer manchmal die letzte Rettung vor dem Ertrinken. Die "Moonbird" selbst kann nur beobachten und melden. Nachdem EU-Mitgliedsstaaten wie Italien mit aller Härte gegen private Seenotretter vorgehen, sind kaum noch NGO-Boote auf dem Wasser. Zivile Handelsschiffe umfahren das Gebiet weiträumig oder ignorieren die Hilferufe. Kai erzählt, dass sie immer häufiger Boote an die Behörden melden müssen, weil niemand da ist, um zu retten. Diese würde dann die libysche Küstenwache einschalten.
"Für mich persönlich ist das ein moralisches Problem, weil ich keine Lust habe, die Aufgaben von Frontex [EU-Grenschutzagentur] zu übernehmen. Ich will, dass die Leute in einen sicheren Hafen kommen", sagt Kai. Keine leichte Aufgabe. Das Seegebiet zwischen Libyen und Italien ist für Flüchtende und Migranten eines der tödlichsten der Welt. Allein im letzten Monat sind laut UN mindestens 233 Menschen auf der zentralen Mittelmeerroute gestorben.
Stumme Zeugen einer Überfahrt
Heute ist die Sicht ist besonders gut, rund 14 Meilen bis zum Horizont. Trotzdem gibt es an diesem Nachmittag über dem Mittelmeer nicht viel zu beobachten. Funksprüche kommen kaum noch rein. Es ist eng im Flieger und heiß. Draußen sind über 30 Grad und die orangenen Fliegerkombis kleben auf der Haut. Die Temperaturen sind belastend und die geforderte Wachsamkeit zehrt an den Kräften.
Doch plötzlich wird die Ruhe wird unterbrochen. Auf 10 Uhr schwimmt ein verdächtiges Objekt im Wasser. Jan neigt die "Moonbird" zur Seite und lässt sie kreisen. Über der Flügelspitze ist nun klar zu erkennen, was da im Wasser treibt.
"Das ist ein gesunkenes Rubberboat", sagt Kai mit dem Fernglas im Anschlag. Maria bestätigt. Das Boot, um das es sich handelt, wird nur noch von einem Holzteil am Heck an der Oberfläche gehalten, die luftleeren Schläuche hängen senkrecht ins Wasser. Was mit den Passagieren an Bord passiert ist, lässt sich im Moment nicht feststellen.
Wenn Seenotretter ein solches Boot evakuieren, schneiden sie im Anschluss die Kammern auf und markieren es, erzählt Maria. "Wenn das eine Rettung von der "Open Arms" oder der "Alan Kurdi" war, dann schreiben die das dick und fett auf das Schlauchboot drauf." Eine solche Schrift lässt sich in diesem Fall, aus dieser Höhe, nicht ausmachen.
Zu viel Gerede um Seenotretter
Einen Tag später. Kai und Maria haben wieder festen Boden unter den Füßen. Sie sitzen auf der Couch in einem Apartment, in dem die wechselnden Crews der "Moonbird" zusammen wohnen. Die Balkontür ist offen, draußen scheint die Sonne. In einem Regal in der Ecke steht ihr Equipment, darunter Funkgeräte, Kameras und Ferngläser. An einer Wand hängen die orangenen Overalls.
Wo genau sich das Apartment befindet, muss geheim bleiben. "Sea-Watch" will seine Aktivisten schützen. Seitdem europäische Regierungen Seenotrettern mit harten Strafen drohen, wächst der Druck auf die Organisation. Den Vorwurf, dass sie Schlepper unterstützten und Migranten einen Anlass gäben zu kommen, kann Maria nicht nachvollziehen. Schlepper seien für sie Kriminelle, die mit dem Leid anderer Menschen ihr Geschäft machen, sagt sie.
Überhaupt finden Maria und Kai, dass zu viel über Seenotretter gesprochen werde und zu wenig über die Menschen, die es betrifft. Kai tut sich schwer mit der Aufmerksamkeit, von negativer wie positiver Seite.
"Wir suchen uns das aus. Wir begeben uns in diese Gefahr auch mit dem Risiko, damit kriminalisiert zu werden. Aber die Leute, die in die Boote steigen müssen, können sich das nicht aussuchen. Ich finde, da sollte der Fokus auch ein bisschen mehr hin wandern. Nämlich dass wir das eigentlich nur tun wegen Menschen, die es tun müssen."
Trotz aller Schwierigkeiten. Morgen wollen sie wieder in den Flieger steigen und nach Booten Ausschau halten. So lange, bis man sie aufhält, oder - was sie sich wünschen - bis eines Tages die private Seenotrettung im Mittelmeer überflüssig wird.