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Politik

"Sea-Watch 3": Fünf Fragen und Antworten

Ben Knight ust
2. Juli 2019

Ein Haftrichter soll noch an diesem Dienstag entscheiden, ob gegen Carola Rackete Haftbefehl erlassen wird. Wir erklären, welche rechtliche Bedeutung die Vorwürfe an die Kapitänin der "Sea-Watch 3" haben.

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Italien Rettungsboot Sea-Watch 3 im Hafen von Lampedusa | Carola Rackete, Kapitänin
Kapitänin Carola Rackete an Bord der "Sea-Watch 3" im Hafen von LampedusaBild: Reuters/G. Mangiapane

Welche italienischen Gesetze hat die "Sea-Watch 3" gebrochen?

Beim unerlaubten Einlaufen in den Hafen von Lampedusa stieß das Flüchtlingsrettungsschiff "Sea-Watch 3" in der Nacht zum Samstag gegen ein Schnellboot der Finanzpolizei, das das Schiff am Anlegen hindern wollte. Italiens Innenminister Matteo Salvini verurteilte das als "kriegerische Handlung". Die Finanzpolizei ist in Italien militärisch organisiert und zählt zu den Streitkräften. Den Vorfall müssen nun Gerichte bewerten.

Sollte Carola Rackete verurteilt werden, drohen ihr bis zu zehn Jahre Haft. Auch eine Geldstrafe von bis zu 50.000 Euro könnte auf die 31-jährige Kapitänin zukommen. Ein kürzlich in Kraft getretenes Dekret sieht diese Strafe vor, wenn gerettete Menschen ohne Erlaubnis nach Italien gebracht werden. Schon das unerlaubte Einfahren in italienische Hoheitsgewässer kann mit Geldstrafen geahndet werden. Außerdem haben sizilianische Staatsanwälte gegen Rackete Ermittlungen wegen mutmaßlicher Beihilfe zur illegalen Einwanderung eingeleitet. Das Boot wurde beschlagnahmt.

Auf welche Regeln des Seerechts beruft sich die "Sea-Watch 3"?

Nach internationalem Seerecht müssen Kapitäne in Seenot befindliche Personen aufnehmen und an einen sicheren Ort bringen. Auf diese Bestimmung beruft sich die Organisation Sea-Watch, seit ihr Schiff Mitte Juni 53 Migranten vor der Küste Libyens aufnahm. Nach Ansicht von Nele Matz-Lück, Professorin für internationales Recht und Seerecht an der Universität Kiel, besteht das Problem darin, dass unterschiedliche Regelungen "nicht so glücklich ineinander greifen". Zwar gelte die Pflicht der Kapitäne, Menschen zu retten. "Aber wir haben keine Verpflichtung der Küstenstaaten, dieser sichere Ort zu sein", an den die Geretteten gebracht werden.

Sea-Watch 3
Immer wieder rettet die "Sea-Watch 3" Migranten aus Seenot - und immer wieder findet das Schiff keinen Hafen (Archiv)Bild: picture-alliance/dpa/Sea-Watch.org/C. Grodotzki

Aus diesem Grund hatten auch Italiens Innenminister Salvini und die Küstenwache das Recht, der "Sea-Watch 3" die Einfahrt zu verweigern und den Hafen zu blockieren. Aber Matz-Lück zufolge gibt es keine Grundlage für Salvini, das Handeln von Rackete als "kriegerischen Akt" zu bezeichnen.

Normalerweise sind Schiffe zwar verpflichtet, den Anweisungen aus einem Hafen Folge zu leisten. Wenn ein Kapitän die Situation auf seinem Schiff aber als Notfall einschätzt - zum Beispiel wenn die Lebensmittelvorräte zur Neige gehen oder Personen krank werden -, darf er das Einlaufen in den Hafen erzwingen. Wie schlimm die Situation an Bord tatsächlich war, ist eine Frage der Interpretation. Rackete hatte mit einer solchen Notlage argumentiert. Sie habe Selbstmorde unter den zu diesem Zeitpunkt noch auf dem Schiff verbliebenen 40 Migranten befürchtet.

Könnte Rackete wegen Schlepperei belangt werden?

Nach dem Völkerrecht ist die Beihilfe zur illegalen Einreisen nur strafbar, "wenn ich ein Gewinnstreben habe", sagt Constantin Hruschka vom Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik. Diese Einschränkung gibt es im italienischen Recht aber nicht. Nach Ansicht von Salvini ist es viel effizienter, wenn es keine Ausnahmen gibt und sich jeder strafbar macht, der Menschen ohne Papiere zur Einreise verhilft, stellt Hruschka die italienische Position dar. Die große Frage sei nun: Kann ein Staat das so beschließen?

Im EU-Recht sei nur festgelegt, die illegale Einreise soll effektiv bekämpft werden, sagt Hruschka, der sich mit internationalem und europäischen Flüchtlingsrecht beschäftigt.

Warum konnten die Migranten nicht nach Libyen gebracht werden?

Politiker der AfD hatten argumentiert, die "Sea-Watch 3" hätte die Schutzsuchenden auch nach Libyen zurückbringen können, von dessen Küste sie die Reise übers Mittelmeer angetreten hatten. 

"Es gibt keine Pflicht, die Menschen zum nächstgelegenen Hafen zu bringen", sagt Seerechtsexpertin Matz-Lück. Diese Regel ermöglicht es beispielsweise Handelsschiffen, ihre geplante Route beizubehalten, wenn sie Menschen in Seenot aufgenommen haben.

"Aber es muss ein sicherer Ort sein", ergänzt die Seerechtsexpertin. "Ein sicherer Ort heißt nicht nur trockener Boden unter den Füßen, sondern auch ein Ort, wo für elementare Bedürfnisse gesorgt wird." Libyen ist nach ihrer Ansicht nicht als solcher Ort qualifiziert.

Warum konnten die Migranten nicht in einen anderen europäischen Hafen gebracht werden?

Während des 16-tägigen Tauziehens zwischen der "Sea-Watch 3" und Italien kam wiederholt die Frage auf, warum Rackete ihr Schiff nicht zu einem anderen europäischen Land gesteuert hat. In solchen Fällen lässt das Seerecht Kapitänen wieder viel Interpretationsspielraum, sagt Matz-Lück. "Wenn sie sagt: Gegen (eine Weiterfahrt) spricht die Situation an Bord oder die Wasser- oder Spritversorgung, dann unterliegt es der Einschätzung der Kapitänin, ob das Schiff weiterfährt oder nicht." Die Professorin betont: "Es gibt keine klaren rechtlichen Regelungen, was in einem solchen Fall zu tun ist."

Nach Angaben der Organisation Sea-Watch hatten Frankreich und Malta auf die Bitten, mit dem Schiff einlaufen zu dürfen, nicht reagiert oder dies abgelehnt.