Schwierige Balance
9. Februar 2011Die gesetzliche Verankerung der Blockfreiheit der Ukraine ist Experten zufolge die bisher wichtigste außenpolitische Entscheidung der neuen Führung. Im Juli 2010 hatte das Parlament, in dem der seit einem Jahr regierende Präsident Viktor Janukowitsch eine eigene Mehrheit hinter sich hat, ein Gesetz über die Grundlagen der Innen- und Außenpolitik verabschiedet. Dem Gesetz zufolge kann die Ukraine keinem Militärbündnis beitreten, weder der NATO noch der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS), dem Russland und weitere ehemalige Sowjetrepubliken angehören.
Eine enge Zusammenarbeit mit der NATO soll aber laut dem Gesetz fortgesetzt werden. Janukowitschs Amtsvorgänger Viktor Juschtschenko hatte sich hingegen für einen schnellen Beitritt seines Landes zur NATO eingesetzt. Auch deswegen kühlten die Beziehungen der Ukraine zu Russland während seiner Präsidentschaft deutlich ab.
Neue, alte "Vielvektoren-Politik" der Ukraine
Die Außenpolitik der neuen Führung in Kiew bezeichnet der ukrainische Politologe Oleksandr Palij als Rückkehr zur "Vielvektoren-Politik" der 90er-Jahre unter der Präsidentschaft von Leonid Kutschma. Auch der ukrainische Politikexperte Wolodymyr Fesenko findet, dass Janukowitsch eine "Vielvektoren-Politik" verfolgt. Er habe ihr aber neue Elemente hinzugefügt: "Sie schließt nicht nur die Balance der ukrainischen Interessen zwischen der EU und Russland ein, sondern auch die Aufrechterhaltung der Partnerschaft mit den USA und die Entwicklung der Beziehungen zu China."
Der Balanceakt werde aber im Jahr 2011 schwieriger, denn Janukowitsch werde sich entscheiden müssen: zwischen einer Freihandelszone mit der EU oder einem Beitritt zur Zollunion zwischen Russland, Belarus und Kasachstan, erläuterte Fesenko. Der Druck aus Moskau auf Kiew, der Zollunion ehemaliger Sowjetrepubliken beizutreten, werde zunehmen.
"Gewaltiger Appetit Moskaus"
Die Aussichten für eine wirtschaftliche Annäherung zwischen der Ukraine und Russland sieht Oleksandr Suschko vom ukrainischen Institut für euroatlantische Kooperation aber mit Skepsis. Haupthindernis sei der "gewaltige Appetit Moskaus". Russland wolle bei Wirtschaftsprojekten Exklusivrechte, was eine gleichberechtigte Beteiligung europäischer Partner ausschließe.
Suschko erinnert an das Abkommen über die russische Schwarzmeerflotte, das im April 2010 zwischen Kiew und Moskau geschlossen wurde. Demzufolge darf die russische Flotte den Stützpunkt auf der ukrainischen Halbinsel Krim ab 2017 für weitere 25 Jahre pachten. Im Gegenzug erhielt die Ukraine einen 30-prozentigen Nachlass auf russische Erdgaslieferungen. "Das sind virtuelle Barterzahlungen für die Stationierung der Schwarzmeerflotte", sagt der Experte. Er kritisiert, dass trotz des Abkommens die Regierung auch in diesem Jahr wieder mit Russland über den Gaspreis verhandeln müsse.
Entscheidung zugunsten der EU?
Es sei schwierig zu sagen, welches außenpolitische Konzept die Ukraine habe, meint der Leiter des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kiew, Nico Lange. Vielen Politikern in Europa sei unklar, wohin sich das Land bewege. So sehe die Bundesregierung keine realen Schritte der ukrainischen Führung für eine europäische Integration. Lange betonte, europäische Integration sei nicht nur Außenpolitik, sondern schließe auch Veränderungen im Lande selbst ein.
Janukowitsch selbst erklärte knapp ein Jahr nach seiner Wahl zum Präsidenten am 03.02.2011 in Warschau, die Integration in die EU sei oberste Aufgabe der ukrainischen Außenpolitik. Polens Staatsoberhaupt Bronislaw Komorowski versicherte, sein Land wolle die strategische Partnerschaft mit seinem östlichen Nachbar entwickeln. Dazu gehöre auch die Unterstützung wichtiger Vorhaben, die die Ukraine an die EU näher bringen sollen, darunter das Abkommen über die Freihandelszone sowie Reiseerleichterungen für Ukrainer. Die EU und die Ukraine hatten bereits im November 2010 einen Aktionsplan vereinbart, in dem die Voraussetzungen für visafreies Reisen mit ukrainischen Pässen in die EU festgelegt werden. Polen übernimmt in der zweiten Jahreshälfte 2011 die EU-Präsidentschaft.
Autoren: Markian Ostaptschuk, Alexander Sawizki (mit dpa)
Redaktion: Julia Kuckelkorn