Scheitert Flüchtlingspakt an Athen?
30. März 2016Die Einigung zwischen der EU und der Türkei auf einen Flüchtlingspakt gilt als großer Erfolg von Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Flüchtlingskrise. Doch bei der Umsetzung häufen sich nun die Schwierigkeiten. Nach derzeitigem Stand ist es fraglich, ob die Türkei, wie beim Sondergipfel am 18. März vereinbart, ab Anfang kommender Woche irregulär nach Griechenland eingereiste Migranten aufnehmen wird - und im Gegenzug bis zu 72.000 syrische Flüchtlinge aus der Türkei auf die EU-Staaten verteilt werden.
Sorgenkind Athen
Vor allem die Vorbereitungen auf griechischer Seite sind erheblich ins Stocken geraten, während die Zahl der im Land festsitzenden Flüchtlinge immer weiter steigt. Die EU-Kommission wartet nach eigenen Angaben darauf, dass Athen die Türkei zu einem Land erklärt, in dem Flüchtlinge vor Gewalt und Verfolgung in der Heimat geschützt sind. Kurz: Dass Griechenland die Türkei zum sicheren Drittstaat erklärt.
Aus Brüsseler Sicht ist das die rechtliche Voraussetzung, um in Griechenland irregulär gelandete Flüchtlinge in die Türkei abschieben zu können. Doch die links-nationalistische griechische Regierung lehnt diesen Weg offenbar ab. Zumindest sucht man eine klare Drittstaaten-Regelung vergebens in dem Regierungsvorschlag für ein neues Asylgesetz, das das griechische Parlament aktuell berät. Athen argumentiert, dass Staaten, die die Genfer Flüchtlingskonvention anwendeten, sichere Drittstaaten seien und es keiner Änderung der geltenden Gesetze bedürfe.
Die EU-Kommission sah das bislang anders, zumal die Türkei die Flüchtlingskonvention nur in Teilen anwendet. Am Mittwoch allerdings formulierte Kommissionsprecherin Mina Andreeva vorsichtiger: "Wichtig ist, dass die Gesetzesänderungen einen Rahmen bieten für die Anwendung der Asylprinzipien des sicheren Drittstaats oder des ersten Asylstaates." Ein erster Asylstaat ist ein Land, das den Schutz des Flüchtlings auch garantiert, wenn dieser aus einem Drittstaat wieder dorthin zurückgeschickt wird. Denn rein rechtlich entfällt die Schutzzusage für einen Flüchtling, wenn er das erste Aufnahmeland verlässt.
Fachleute für Einsatz in Hotspots gesucht
Neben den komplizierten rechtlichen Voraussetzungen, die womöglich mit einer ausweichenden Formulierung noch geschaffen werden, plagen Griechenland auch ganz praktische Probleme. Während die EU-Kommission den Flüchtlingspakt zu ihren wichtigsten Projekten zählt, stehen offenbar einige Mitgliedsstaaten auf der Bremse. Von den 2300 ausländischen Experten, die Griechenland bei der Registrierung der Flüchtlinge in den Hotspots unterstützen sollen, sind erst wenige in Griechenland eingetroffen. Auch die konkreten Zusagen liegen deutlich unter den beim Flüchtlingsgipfel vereinbarten Zahlen. Nach aktuellem Stand haben 19 EU-Staaten 47 Grenzsicherungsexperten für Frontex und 492 Polizeikräfte angeboten. Noch geringer sind die Zusagen für die Bearbeitung von Asylanträgen: Hier wollen 16 EU-Staaten 396 Experten (Sachbearbeiter und Entscheider) sowie 22 Übersetzer nach Griechenland schicken. Konkret mit Namen benannt sind allerdings erst 170 Personen.
Ohne dieses Fachpersonal kann die Abschiebung in Richtung Türkei allerdings nicht beginnen. Denn die ausländischen Experten sollen sicherstellen, dass alle Asylgesuche von Flüchtlingen in Griechenland individuell vor der Abschiebung geprüft werden können. Griechenland ist dazu schon aus Kapazitätsgründen nicht in der Lage. Die insgesamt 200 Beamten in der griechischen Asylbehörde können derzeit höchstens 100 Anträge am Tag bearbeiten.
Werden Hotspots zu "Haftanstalten"?
Kurz vor dem offiziell geplanten Start der Rückführungen wächst auch die Kritik von Hilfsorganisationen an dem Pakt zwischen Brüssel und Ankara. Der weitgehende Rückzug aus der Versorgung der Flüchtlinge zu Ostern durch "Ärzte ohne Grenzen" und dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR ist für die Befürworter des Flüchtlingspakts ein herber Rückschlag, galten die Institutionen doch als Garanten für eine korrekte Behandlung der Flüchtlinge. Die beiden großen Hilfsorganisationen beklagen, dass ihre Mitarbeiter keinen Zugang mehr zu den Flüchtlingen hätten und ihnen nicht mehr helfen könnten. Außerdem kritisierten sie die wachsende Abschottung der Registrierungszentren. Von "Haftanstalten" spricht UNHCR-Sprecherin Melissa Flemming. Der Grund für diese Verschärfung liegt auf der Hand: Asylanträge sollen auf diese Art schneller bearbeitet werden können.
Sollten die rechtlichen Hürden bis Montag noch überwunden werden, werden die Flüchtlinge wohl aufs griechische Festland gebracht und von dort mit Bussen in die Türkei abgeschoben. Parallel dazu könnte dann auch die Verteilung der ersten syrischen Flüchtlinge aus der Türkei in die EU-Länder beginnen: Deutschland, Frankreich und die Niederlande würden wohl die ersten Menschen aufnehmen.