Umstrittene Schuld
21. November 2008Immerhin reden sie wieder miteinander. Unter Vermittlung der USA und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) haben sich Vertreter von Russland, Georgien, Abchasien und Südossetien diese Woche in Genf getroffen, um über die Lage im Kaukasus zu sprechen. Konkrete Ergebnisse etwa für die Flüchtlinge gibt es zwar noch nicht, aber Teilnehmer berichten am Mittwoch (19.11.2008) von "konstruktiven" Gesprächen, die Mitte Dezember fortgesetzt werden sollen.
Umstrittene Kriegsschuld
Völlig uneinig sind sich Georgien und Russland dagegen weiterhin, wer eigentlich Schuld hat an dem 5-Tage-Krieg, den die beiden Länder Anfang August gegeneinander führten. Georgiens Präsident Michail Saakaschwili rechtfertigte die Mobilmachung seinerzeit mit einer drohenden russischen Invasion. Russland dagegen argumentiert, nur auf einen Angriff Georgiens auf Südossetien reagiert zu haben.
Inzwischen mehren sich die Stimmen, die Klärung fordern. Zuletzt forderte die Parlamentarische Versammlung der NATO auf ihrer Tagung im spanischen Valencia am 18. November 2008, die Kriegsursachen zu untersuchen. Das sei nötig, "um Schlussfolgerungen zu ziehen, wie sich solche Konflikte verhindern lassen", sagte der Bundestagsabgeordnete Karl A. Lamers (CDU), der in Valencia zum neuen Vorsitzenden des Politischen Ausschusses der Versammlung gewählt wurde, zu DW-WOLD.DE.
Die EU untersucht
Die EU hat eine entsprechende Untersuchungskommission bereits eingesetzt. Unter Leitung der Schweizer Diplomatin Heidi Tagliavini soll sie aufklären, was am 7. und 8. August im Kaukasus wirklich passierte. Angeregt wurde die Untersuchung vom deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) just zu einem Zeitpunkt, als sich die EU wieder Russland annäherte und die Verhandlungen über ein Partnerschaftsabkommen fortsetzte, die am 1. September wegen des russischen Vorgehens in Georgien ausgesetzt worden waren.
In Georgien sieht man die Untersuchung deswegen skeptisch: Seine Regierung werde zwar auch eine Untersuchung der EU akzeptieren, sagte der georgische Vize-Premierminister Giorgi Baramidze vor dem Komitee für Verteidigung und Sicherheit der Parlamentarischen Versammlung der NATO in Valencia. Besser sei aber eine von der NATO initiierte unabhängige Untersuchung. Doch die NATO-Parlamentarier beließen es dabei, ihre Mitgliedsstaaten aufzufordern, solche Untersuchungen zu unterstützen.
Hat Saakaschwili gelogen?
Erste Untersuchungen sprechen nicht gerade für die georgische Version. So brachte die "New York Times" am 7. November 2008 einen großen Report, in dem die ersten Stunden des Krieges minutiös nachgezeichnet wurden. Das Ergebnis: Georgien hat sich keineswegs gegen einen russischen Angriff verteidigt.
Auch vor dem Internationalen Gerichtshof konnte sich Georgien mit seiner Darstellung der Ereignisse nicht durchsetzen. Georgien hatte Russland vor dem höchsten UN-Gericht wegen angeblicher ethnischer Säuberungen verklagt. Die Richter folgten dem nicht und rügten stattdessen am 15. Oktober beide Parteien, sie müssten "davon Abstand nehmen, Menschen, Gruppen sowie auch Institutionen in rassistischer Weise zu diskriminieren", wie die Vorsitzende Richterin Rosalyn Higgins erklärte.
Unmut in Georgien über Saakaschwili
"Georgien hat sich von südossetischen Heckenschützen provozieren lassen", sagte Russlandexperte Eberhard Schneider, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Siegen, zu DW-WORLD.DE. Seine Theorie: Interessierte Kreise um die südossetische Führung herum hätten auf diese Weise eine Friedenslösung verhindern und Russland mit in den Krieg ziehen wollen. Auch diese Theorie würde freilich bedeuten: Die größeren Kampfhandlungen gingen von Georgien, nicht von Russland aus.
Sollten weitere Untersuchungen zu demselben Ergebnis kommen, dann könnte es eng werden für Georgiens Präsidenten Saakaschwili. Schließlich ist sein Land im Krieg teilweise zerstört worden und hat mit Südossetien und Abchasien zwei Gebiete verloren. In Georgien wächst inzwischen die Opposition gegen den Präsidenten. Am Sonntag (23.11.2008) wird Ex-Parlamentschefin Nino Burdschanadse in Tiflis eine neue Oppositionspartei gründen – also just am 5. Jahrestag der "Rosenrevolution", die Saakaschwili einst als Hoffnungsträger an die Macht brachte.