Schwierige Mission: Maas besucht die Türkei
5. September 2018Mit einem Kollegengespräch geht es los: Heiko Maas kommt am Mittwochnachmittag in Ankara mit dem türkischen Außenminister Mevlüt Cavusoglu zusammen. Das Treffen ist der Auftakt seiner zweitägigen Türkei-Visite. Das Programm ist voll, die Liste der Probleme lang: inhaftierte deutsche Staatsangehörige, Besuchsverbot für deutsche Parlamentarier auf dem Luftwaffenstützpunkt Konya, der auch von Soldaten der Bundeswehr genutzt wurde, und ein türkischer Präsident, der der deutschen Bundeskanzlerin wiederholt "Nazi-Methoden" im Umgang mit in Deutschland lebenden Türken vorgeworfen hatte. Die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei sind - gelinde gesagt - angespannt.
Für den deutschen Außenminister steht die Freilassung deutscher Staatsangehöriger aus türkischen Haftanstalten im Zentrum. Noch immer sitzen sieben Deutsche im Gefängnis, die nach dem gescheiterten Putsch im Sommer 2016 eingesperrt worden waren. Drei von ihnen haben sowohl die deutsche wie die türkische Staatsangehörigkeit. Die Bundesregierung betrachtet sie als politische Gefangene. Ein achter Bundesbürger wartet gerade in bulgarischem Arrest auf seine Auslieferung an die Türkei.
Türkei-Experte Roy Karadag ist Direktor des Instituts für Interkulturelle und Internationale Studien an der Universität Bremen. Karadag glaubt, dass es nur eine Frage der Zeit sei, "bis die deutschen Gefangenen, genauer die deutschen Geiseln, freikommen werden - im Austausch gegen wirtschaftliche und politische Unterstützung".
Terrorismus als Generalvorwurf
Nils Schmid, den außenpolitischen Sprecher der SPD, beunruhigen neben der Inhaftierung deutscher Staatsangehöriger vor allem die vielen Menschenrechtsverletzungen in der Türkei: "Tausende Menschen sind im Gefängnis. Neben einer Vielzahl von Journalisten sind auch Menschen wie Osman Kavala betroffen." Der türkische Unternehmer und Mäzen Kavala ist, sagt Schmid, "ein immens wichtiger Ansprechpartner, wenn es um den kulturellen Austausch zwischen der Türkei und Deutschland geht".
Schmid nimmt den von türkischen Behörden häufig geäußerten Vorwurf des "Terrorismus" auf, wenn er über die Inhaftierung von Journalisten und Politikern spricht: Selbstverständlich sollte die Türkei alle Terroristen, gemäß eines rechtsstaatlichen Verfahrens, zur Verantwortung ziehen. Allerdings könne es nicht sein, "dass der Terrorverdacht wie ein großes Netz über die gesamte Zivilgesellschaft in der Türkei geworfen wird. Das ist zu grobschlächtig und das entspricht nicht den Europäischen Standards, die wir von der Türkei erwarten".
Parlamentarier fordern Zugeständnisse von Ankara
Die Opposition im Deutschen Bundestag ist skeptisch, was die Erfolgsaussichten des Besuchs angeht. Stefan Liebich ist außenpolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke. Er warnt davor, zu schnell zu große Kompromisse im Umgang mit der Türkei einzugehen. Deren Regierung müsse weit mehr tun, als einige Deutsche aus der Haft zu entlassen. Liebich kritisiert die umstrittene türkische Militäroffensive in Syrien: "Aus meiner Sicht müsste die Türkei ihre völkerrechtswidrige Militäroffensive auf Afrin in Syrien sofort beenden und oppositionelle Politiker aus den Reihen der pro-kurdischen HDP freilassen." Erst dann, sagt Liebich, könne man "tatsächlich besser über neue Gemeinsamkeiten verhandeln".
Auch sein Kollege im Bundestag, CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt, gibt Heiko Maas Stichpunkte mit auf den Weg nach Ankara. Im Interview mit der DW nimmt Hardt vor allem Unternehmer mit türkischen Wurzeln in den Blick, die in Europa leben oder arbeiten: "Geschäftsleuten in der EU mit türkischem Hintergrund müssen Garantien für ihre Investitionen und für ihre persönliche Sicherheit gegeben werden. Keine Person, die in die Türkei einreist, soll befürchten müssen, festgenommen zu werden, nur weil er oder sie einmal auf einer - aus Sicht des türkischen Staates - 'falschen' Website gesurft hat."
Zentrale Rolle der Türkei in der Flüchtlingsfrage
Dass der Dialog zwischen Deutschland und der Türkei aus Berliner Sicht von großer Bedeutung ist, liegt auch an den sicherheitspolitischen Interessen Deutschlands. Insbesondere der Konflikt in Syrien ist ein Thema, das Außenminister Maas bei seinem Besuch auf die Agenda heben wird.
Während sich das Regime in Damaskus auf eine Offensive auf das Rebellengebiet in der Provinz Idlib vorbereitet, warnen die Vereinten Nationen vor einer erneuten humanitären Katastrophe im Land. Die Türkei, die bisher rund 3,5 Millionen syrische Flüchtlinge aufgenommen hat, ist zum wichtigen Akteur in der EU-Flüchtlingspolitik geworden. Seit dem EU-Türkei-Abkommen vom März 2016 hat sich die Zahl der Flüchtlinge, die Europa über die östliche Mittelmeer-Route zu erreichen versuchen, erheblich reduziert. Im Gegenzug stellte die EU sechs Milliarden Euro bis Ende 2018 in Aussicht.
Türkei-Experte Roy Karadag sagt, dass sich die EU durch solche Abkommen vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und anderen Autokraten im Nahen Osten abhängig macht. Für Karadag steht fest: "Es ist im deutschen Interesse zu verhindern, dass noch mehr Flüchtlinge nach Europa kommen."
Von einem Dialog profitieren beide Seiten
Dass jedoch auch die Regierung in Ankara Interesse am Austausch mit der deutschen Regierung haben sollte, zeigt allein ein Blick auf die aktuellen Wirtschaftsdaten der Türkei: Seit Monaten befindet sich die Türkische Lira auf Talfahrt, die Verschuldungsquote im Land ist immens. Hinzu kommt: Der Konflikt um den inhaftierten US-Pastor Andrew Brunson, dessen Freilassung US-Präsident Donald Trump verlangt, hat das Verhältnis zu den USA nachhaltig gestört. Präsident Erdogan wertet die US-Strafzölle als Angriff auf die türkische Wirtschaft.
Die Chancen, dass der Besuch Heiko Maas' - trotz aller schwierigen Bedingungen - der Aufschlag zu einer Re-Vitalisierung der Beziehungen werden könnte, stehen also gar nicht so schlecht. Teil zwei des potentiellen Annäherungsprozesses steht auch schon fest: Ende September wird der türkische Präsident zum Staatsbesuch in Berlin erwartet.