Schwerer Start für neuen Staatssender
9. Mai 2014NERIT heißt der neue Sender mit Sitz im alten ERT-Funkhaus in der Athener Vorstadt Aghia Paraskevi. Nach stundenlangem Countdown erschien am Sonntagabend (04.05.2014) das Senderlogo, ein hellblaues N, auf dem Bildschirm. Nachrichtensendungen werden mit neuem Vorspann versehen, aber von früheren ERT- Journalisten moderiert. Als erstes TV-Magazin lief die Reisesendung Epimenoume Ellada ("Wir bleiben in Griechenland"), die Neuauflage eines ERT-Klassikers. Dokumentationen und Serien stammen aus Archivbeständen des alten Staatssenders. Und auch sonst scheint sich wenig geändert zu haben.
Dabei sollte NERIT eine komplett neue Medien-Ära einläuten. Elf Monate ist es her, als Regierungschef Antonis Samaras den Staatsfunk einstellte und alle 2650 Mitarbeiter über Nacht arbeitslos machte - mit dem erklärten Ziel, "Verschwendung, Vetternwirtschaft und Gefälligkeitsjournalismus" im Haus zu beenden. In Kürze würde ein verschlankter Nachfolgesender in Betrieb genommen, bei dem sämtliche ERT-Mitarbeiter willkommen wären, hieß es damals.
Doch es kam anders: Im August 2013 gründete Fernsehminister Pantelis Kapsis übergangsweise den Sender Dimosia Tileorasi ("Öffentliches Fernsehen") mit 400 ERT-Mitarbeitern. Alle Beschäftigten erhielten zunächst einen Zwei-Monats-Vertrag, der immer wieder verlängert wurde. So ist es auch jetzt noch bei NERIT, weshalb sich Mitarbeiter wie Maria Alexaki, die auch schon für ERT gearbeitet hat, im Gespräch mit der DW um ihre berufliche Zukunft sorgen. "Wir alle haben einen Zwei-Monats-Vertrag, der nach geltendem Recht nur noch bis Juni verlängert werden darf und danach wären wir eigentlich arbeitslos."
Protest und Kritik ehemaliger ERT-Mitarbeiter
Allerdings möchten nicht alle früheren ERT-Mitarbeiter des Staatsrundfunks für den Nachfolgesender arbeiten. Viele der gewerkschaftlich organisierten Journalisten betrachten ihre Entlassung bei ERT als rechtswidrig und klagen auf Wiedereinstellung oder Entschädigung. Zudem halten einige von ihnen seit letztem Sommer ERT-Studios besetzt und senden von dort aus ein Ersatzprogramm. Erst im vergangenen November konnte die Polizei in einer Nacht-und-Nebel-Aktion die Besatzer aus dem ERT-Hauptgebäude in Athen entfernen, damit der Übergangssender Dimosia Tileorasi dort einziehen kann. Doch die Protestaktionen würden weiter gehen, erklärt ERT-Gewerkschafter Nikos Michalitsis im Gespräch mit der DW.
"Wir halten das Funkhaus in der Stadt Thessaloniki weiterhin unter Kontrolle und senden von dort aus ein TV-Programm, das man jederzeit frei empfangen kann, ob analog oder über unsere Homepage Ertopen.com", sagt der einstige Produktionsleiter des Staatssenders. Ehemalige Kollegen hätten zudem ein Radiostudio in einer Athener Privatwohnung eingerichtet und produzierten dort ihr eigenes Hörfunkprogramm. Und das, obwohl sie kein Geld mehr verdienten: "Diese Menschen arbeiten freiwillig und leben nur noch vom Arbeitslosengeld", gibt Michalitsis zu bedenken.
Aus Sicht der Gewerkschafter ist der neue Staatssender NERIT ein ziemlicher Flop: Die Regierung habe ihrem Sender nur ein neues Logo verpasst, sagt Michalitsis mit ironischem Unterton; ansonsten sei alles beim Alten geblieben. Über seine Ex-Kollegen, die nun bei NERIT arbeiten, will der ehemalige ERT-Mitarbeiter nichts Negatives sagen - und kann sich doch eine Bemerkung nicht verkneifen: "Was die Kollegen da gemacht haben, war ein Fehler. Aber wir können natürlich verstehen, dass nicht alle Menschen gleich stark sind und dass viele von ihnen mit großen wirtschaftlichen Problemen kämpfen."
Kaum im Amt, schon zurückgetreten
Dass die ERT- Senderfamilie ein Hort politischer Patronage und Vetternwirtschaft war, hat im vergangenen Jahr Fernsehminister Pantelis Kapsis offen eingestanden. Bei NERIT sollte alles anders werden, versprach er damals: Nach dem Vorbild der britischen BBC würde ein Aufsichtsrat für sechs Jahre ein Direktorengremium wählen, das von der Politik völlig unabhängig agiert. Soweit die Theorie. Spätestens seit Dienstag (06.05.2014) ist fraglich, ob das Konzept auch in der Praxis funktioniert.
An diesem Tag wurde bekannt, dass der neu bestellte NERIT-Vorstandschef Giorgos Prokopakis sein Amt aufgibt. Über die Hintergründe könne man nur spekulieren, berichtet die Athener Zeitung Ta Nea: Dem Geschassten würde vorgeworfen, er hätte das Bewerbungsverfahren für Journalisten unnötig verzögert. Möglich sei aber auch, dass der Unternehmensberater nur deshalb gefeuert wurde, weil er, so Ta Nea, sowohl politische Einmischungen als auch die übliche Postenvergabe nach Gefälligkeit in Frage stellte.
Prokopakis selbst sieht sich als Opfer einer Intrige. Er müsse gehen, damit "Aufträge weiterhin nach bewährter Manier vergeben und kurzfristige Interessen bedient werden", teilte er auf Facebook mit. ERT-Gewerkschafter Michalitsis erinnert das Drama um den geschassten Chef an eine Slapstick-Komödie: "Herr Prokopakis war doch vom Aufsichtsrat ins Amt gehoben und mit allen Vollmachten ausgestattet worden. Jetzt verlangt der Aufsichtsrat seinen Rücktritt, weil er die Vollmachten ausgeübt hat, die ihm von eben jenem Aufsichtsrat einstimmig erteilt wurden", moniert der ehemalige ERT- Mitarbeiter.
Lange Tradition der Vetternwirtschaft
Dass Klientelismus und politische Einflussnahme in der griechischen Medienlandschaft eine lange Tradition haben, bestätigt auch der Journalist Jannis Tzannetakos. In den 1980er-Jahren hatte er sich einen Namen gemacht als Direktor des ersten staatsunabhängigen Radiosenders 9,84 FM; anschließend übernahm Tzannetakos die Leitung des ERT-Radios - und warf irgendwann entnervt das Handtuch.
"Einmischungen von außen gehören zum Alltag. Vor langen Jahren war die gesamte ERT-Führungsspitze ausgetauscht worden, nur weil der damalige Arbeitsminister Giannopoulos mit der TV-Berichterstattung über einen Streik nicht zufrieden war", erinnert sich der erfahrene Journalist. Ein anderes Mal sei der ERT-Chef entlassen worden, weil er sich weigerte, die spätere Ehefrau des (sozialistischen) Ministerpräsidenten Andreas Papandreou als Moderatorin zu beschäftigen. Und was das Auswahlverfahren für Journalisten betrifft: Bis vor einigen Jahren hätte es so etwas gar nicht gegeben, Entscheidungen über Neueinstellungen seien oft völlig willkürlich getroffen worden.
Auch Tzannetakos verbindet mit der überraschenden Schließung des Staatssenders im Sommer 2013 eine bittere persönliche Geschichte: Damals wirkte er als freier Moderator an einer Reihe von Geschichtsdokumentationen mit, die zum Teil noch gar nicht ausgestrahlt wurden. Eine Dokumentation fiel erst kurzfristig aus, da der Staatsrundfunk ungefähr eine Stunde vor dem vereinbarten Sendetermin abgeschaltet wurde. Auf sein Honorar wartet der Journalist bis heute.