Für die Schwellenländer sind die fetten Jahre vorbei
28. August 2013Von Indonesien bis Indien, von Russland bis Brasilien – aus fast allen Schwellenländern kommen zurzeit laute Klagen. Die Wirtschaft schwächelt, Wachstumsprognosen werden nach unten revidiert, ausländisches Kapital fließt ab, die heimischen Währungen kommen unter Druck, Importe werden unbezahlbar, es drohen Inflation und Rezession.
Das ist kein Wunder, sagt Volker Treier, Chef der außenwirtschaftlichen Abteilung im Deutschen Industrie- und Handelskammertag DIHK: "Die Federal Reserve in den USA hat angekündigt, die Zinsen hochzusetzen, und damit ist die Zeit des billigen Geldes vorbei, und damit auch der billigen Finanzierung für die Schwellenländer. Deshalb stürzen die Währungen ab."
Schwellenländer in Mode
Als die Finanzkrise 2008 die Weltwirtschaft in eine gigantische Rezession zu stürzen drohte, antworteten die Zentralbanken der Industrienationen unisono: Sie senkten die Zinsen auf nahezu Null und warfen mit dem Geld geradezu um sich. Und weil es in den Industrieländern keine Zinsen und keine renditeträchtigen Anlagen mehr gab, kamen bei den Investoren und institutionellen Anlegern plötzlich die Schwellenländer in Mode: Sie lockten mit hohen Wachstumsraten und vergleichsweise hohen Zinsen.
Dieser massive Kapitalzufluss brachte zum Beispiel den brasilianischen Finanzminister Guido Mantega vor anderthalb Jahren so weit, von einem "Währungskrieg" zu sprechen: Die hyper-lockere Geldpolitik mit ihren Niedrigstzinsen spüle spekulatives Anlagegeld nach Brasilien, treibe dort den Zins nach oben, drohe gefährliche Preisblasen zu schaffen und bringe letztlich die gesamte Volkswirtschaft in Unordnung, klagte er auf so manchem G20-Treffen.
Rückkehr zur Normalität
Nun kehrt so etwas wie Normalität ein, und es passt vielen Politikern in den Schwellenländern auch wieder nicht. Tatsächlich hört sich der Kursverfall mancher Währungen erschreckend an: Brasiliens Real sinkt auf ein Fünfjahrestief, der Kurs der indischen Rupie auf einen historischen Tiefstand, der russische Rubel, die indonesische Rupie, der thailändische Baht, Malaysias Ringgit, die türkische Lira oder der südafrikanische Rand – alle Währungen sind im Keller oder auf Sinkflug.
Das weckt böse Erinnerungen: Vor 16 Jahren war der thailändische Baht Ausgangspunkt der Asienkrise. Damals zogen Investoren massiv Kapital aus Thailand ab. Die Krise weitete sich auf den gesamten Kontinent aus, schnell wurde aus der Finanzkrise auch eine Krise der Realwirtschaft: Geld und Kredite fehlten, Konsum und Investitionen brachen ein.
Abwertung noch im Rahmen
Doch damit ist diesmal nicht zu rechnen, sagen Fachleute: "Viele dieser Währungen haben bis Ende letzten Jahres oder Anfang dieses Jahres teilweise deutlich aufgewertet. Dementsprechend hat man zwar auf Sicht von zwölf Monaten durchaus eine Abwertung, aber auf mittlere Sicht ist das alles noch im Rahmen", sagt Nicolas Schlotthauer, Experte für Emerging Markets bei der Deutschen Bank-Tochter "Deutsche Asset & Wealth Management".
Und er erinnert daran, dass die Schwellenländer heute gegen Krisen viel besser gewappnet sind als früher: "Einige Länder haben gar nicht so stark abgewertet, zum Beispiel Osteuropa. Andererseits haben die Länder fundamental eine sehr viel bessere Situation als vor zehn oder 15 Jahren. Deshalb geht es gar nicht so sehr um den Status Quo, sondern um die Frage, ob die strukturellen Herausforderungen angegangen werden."
Wachstum mit Schönheitsfehlern
Tatsächlich haben die Schwellenländer im letzten Jahrzehnt ein enormes Wirtschaftswachstum hingelegt. Allein die BRIC-Staaten Brasilien, Russland, Indien und China haben ihr Bruttoinlandsprodukt, also ihre jährliche Wirtschaftsleistung, innerhalb von zehn Jahren verfünffacht. Mit einem kleinen Schönheitsfehler, sagt Volker Treier, Chef der außenwirtschaftlichen Abteilung im Deutschen Industrie- und Handelskammertag DIHK: "Man hat die Zeit des Booms leider nicht genutzt, um wichtige Reformen durchzuführen."
Indien sei eines der prominentesten Beispiele, so Treier zur DW: "Man hat das viele Geld genutzt, um zu konsumieren und auch im Staatshaushalt viel zu verbrauchen. Jetzt kommt die Quittung, und der Weg wird hart." Indes glaubt auch Treier nicht, dass es wie vor 16 Jahren zu Panikreaktionen kommen wird: "Es wird eine Phase des schwächeren Wachstums geben, aber es wird sicher keinen Absturz in eine richtige Rezession geben."
Abwertung hilft dem Export
Viele Schwellenländer haben die fetten Jahre nicht für Strukturreformen genutzt. Nun kämpfen sie nicht nur mit dem Verfall ihrer Währungen und mit sinkenden Wachstumsraten, sondern auch weiterhin mit ihren alten Problemen, der schlechten Infrastruktur, der Bürokratie und der Korruption - auch das schreckt die Investoren ab.
Bleibt ein einziger Trost: Eine abgewertete Währung macht das betroffene Land auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähiger, die Exporte werden begünstigt, sagt Nicolas Schlotthauer zur DW: "Das ist etwas, das gerade bei exportorientierten Volkswirtschaften übersehen wird: Durch die Abwertung steigt mittelfristig die Wettbewerbsfähigkeit der Volkwirtschaft auf dem Weltmarkt, weil Produkte im Ausland günstiger verkauft werden können."