Katastrophe blieb aus
17. April 2010Vor einem Jahr tauchte in Mexiko der erste Fall der neuartigen Schweinegrippe bei einem Menschen auf. Die Weltgesundheitsorganisation WHO löste im Juni 2009 Pandemiealarm aus. Rund 18.000 Todesfälle werden weltweit auf die Schweinegrippe und ihren Erreger, das H1N1-Virus, zurückgeführt.
Das sind weit weniger Todesfälle als bei normalen jährlichen Grippeepidemien. Bis Ende März 2010 starben in der Europäischen Union an der Schweinegrippe 1846 Menschen, teilte die Europäische Seuchenkontrollbehörde in Stockholm mit. Seit mehreren Wochen werden kaum noch neue Todesfälle und nur noch eine geringe Zahl von neuen Infektionen gemeldet.
Die meisten Todesfälle wurden in Frankreich, Großbritannien und Deutschland registriert. Viele Mitgliedsstaaten der EU, so die EU-Behörde, hätten die Erfassung von H1N1-Fällen inzwischen eingestellt. Mit einer weiteren Infektionswelle wird nicht mehr gerechnet. Bislang gab es nicht die befürchtete Verbindung von H1N1-Viren mit normalen Grippenviren. Die Schweinegrippe ist vorbei.
Pandemie oder Panik?
Der Höhepunkt der Epedemie wurde bereits Ende November letzten Jahres erreicht. Insgesamt sind über zehn Millionen Ansteckungen aufgezeichnet worden. Der Krankheitsverlauf war in den meisten Fällen jedoch relativ milde. Die Gesundheitsbehörden hatten sich im September 2009 noch auf eine Massenimpfung vorbereitet. Die Europäische Arzneimittelbehörde hatte im September zwei Impfstoffe zugelassen.
Allein die deutschen Bundesländer bestellten 50 Millionen Dosen. Nur zehn Prozent der Deutschen (acht Millionen) ließen sich entgegen der Erwartungen impfen. Die Gesundsheitsbehörden blieben auf viel Impfstoff sitzen. Nach harten Verhandlungen mit der Pharmaindustrie konnten 16 Millionen Impfdosen wieder abbestellt werden. Der Umsatz des Schweizer Pharmakonzern LaRoche mit dem Gippemittel Tamiflu schnellte im Jahr 2009 um ein Drittel in die Höhe.
WHO reagiert auf Kritik mit Untersuchungsbericht
Der Vorsitzende des Gesundheitsausschusses im Europarat in Straßburg, der deutsche Arzt Wolfgang Wodarg, warf der Weltgesundheitsorganisation der Vereinten Nationen (WHO) Panikmache vor. Die WHO habe voreilig die höchste Pandemie-Alarmstufe ausgelöst. Gute Geschäfte habe durch die vorschnelle Entscheidung vor allem die Pharmabranche gemacht, sagte der SPD-Politiker. Wodarg hält das Vorgehen der WHO für einen "der größten Medizinskandale des Jahrhunderts."
Die WHO will ihren Umgang mit der Schweinegrippe jetzt von unabhängigen Experten untersuchen lassen. Die Generaldirektorin der Weltgesundheitsorganisation, Margaret Chan, sagte am 14.04.2010 in Genf: "Wir wollen wissen was gut lief. Wir wollen wissen, was schief lief und- idealerweise - warum." Vorwürfe, die WHO habe sich bei ihren Entscheidungen von Impfstoffherstellern beeinflussen lassen, hatte der Grippeexperte der WHO, Keiji Fukuda, bereits im Januar als haltlos zurückgewiesen. Die WHO will ihren Untersuchungsbericht in einem Jahr vorlegen. Ein Zwischenergebnis soll bis zur Jahresvollversammlung der UN-Behörde im Mai fertig sein.
Die niedersächische Gesundheitsministerin Mechthild Ross-Luttman, die auf vielen Impfdosen sitzgeblieben ist, sagte zur Kritik an den hohen Ausgaben für unnötige Impfstoffe: "Niemand würde auf die Idee kommen, die Investionen in den Brandschutz als Defizit zu verbuchen, wenn es dann nicht brennt."
Im mexikanischen Dorf La Gloria, wo die Schweinegrippe ihre Ursprung hatte, soll jetzt ein Denkmal zur Erinnerung an die Epidemie errichtet werden. Der Schüler Edgar Hernandez, der sich als erster infizierte, überstand die Schweinegrippe übrigens mit normalen Grippemitteln und ist heute kerngesund.
Autor: Bernd Riegert
Redaktion: Fabian Schmidt