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Schwarze Romantik

Jochen Kürten27. September 2012

Ist die Romantik eine deutsche Erscheinung? Nein, sagen die Ausstellungsmacher im Frankfurter Museum "Städel". Sie weiten den Blick auf Europa, zeigen die dunkle Seite der Romantik und stellen Bezüge zur Moderne her.

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Mitarbeiter des Städel-Museums hängen das Gemälde "Die Welle" von Carlos Schwabe von 1907 im Ausstellungsraum auf. (Foto: Andreas Arnold dpa/lhe)
Bild: picture-alliance/dpa

Keine Kunstrichtung, sondern eine die Jahrhunderte durchziehende Gesinnung sei die Romantik, sagt Max Hollein, Direktor des Städel. Das Frankfurter Museum hat die Ausstellung "Schwarze Romantik" mit dem Untertitel "Von Goya bis Max Ernst" versehen. Goya war bekanntlich ein Spanier und gehört mit seinen Bildern voller Grauen und Kriegsschrecken ebenso zur Romantik wie das deutsche Malergenie Caspar David Friedrich. So radikal hat das wohl noch niemand vorher formuliert - und mit einer großartig zusammengestellten Kunstschau auch bewiesen, wie jetzt das Städel in Frankfurt.

In Deutschland sei der Begriff der Romantik in den letzten Jahrzehnten fast ausschließlich positiv besetzt, meint Felix Krämer, der die Ausstellung konzipiert hat. "Bei Romantik denken wir an das gemeinsame Glas Wein im Abendlicht und vielleicht noch an Caspar David Friedrich". Nicht nur Abendstimmung am Meer, eine untergehende rote Sonne oder Frühlingserwachen auf dem Lande in zarten Pastelltönen - was gehört dann also noch zur Romantik? In vielen Ländern Europas hätten Maler in der Zeit nach der französischen Revolution Bilder angefertigt, die auch den Schrecken der nachrevolutionären Jahre festgehalten haben, sagt Krämer. Das seien Zeitgenossen der Romantiker.

Das Plakat zur Ausstellung "Schwarze Romantik" wird auf einer Main-Brücke montiert Copyright: DW/Jochen Kürten
Kaputzenmänner unter sich: Montage des Ausstellungsplakats mit Ernst Ferdinand Oehmes "Prozession im Nebel"Bild: DW

"Die haben alle die Erfahrung gemacht, dass die Aufklärung nicht zu einer besseren, einer aufgeklärten Gesellschaft geführt hat, sondern zum Gegenteil", meint Krämer. Die französische Revolution habe in den unterschiedlichen Ländern zum blutigen Terror geführt. Das hätten die Künstler in ihren Bildern verarbeitet. Aufklärung und Terror, das ist ein Zwillingspärchen, das zusammengehört - und so ist die Kunst auf beides eingegangen, die bildende Kunst und die Literatur, später im Übrigen auch das Kino. Auch das zeigt die Schau "Schwarze Romantik" in Frankfurt eindrucksvoll.

Der Schrecken der Zeit und die Nachtseite der Romantik drückten sich vielfältig aus: In Spanien bildete Goya das Grauen der Schlachten in "Die Schrecken des Krieges" in aller Drastik ab. Der Mensch wird zum Kannibalen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Englische Künstler wie John Martin und Samule Colman, vor allem aber der in England arbeitende Schweizer Johann Heinrich Füssli zeigen die ganz individuellen Folgen für den Menschen. Der Wahnsinn nimmt Besitz von ihnen, bei Füssli sitzt ein kleiner, furchterregender Gnom auf einer Frau. Es ist der im Bild festgehaltene Irrsinn, der Besitz ergreift von der menschlichen Psyche. Und in Frankreich zeigen Künstler wie Théodore Géricault und Eugène Delacroix die fürcherlichen Nachwehen des politischen Sturms im eigenen Lande.

Paul Hippolyte Delaroche (1797–1856) Bild: Die Frau des Künstlers, Louise Vernet, auf ihrem Totenbett, 1845/46 Foto: © Musée des Beaux-Arts de Nantes
Ästhetisierter Tod: "Die Frau des Künstlers, Louise Vernet, auf ihrem Totenbett" von Paul Hippolyte DelarocheBild: Musée des Beaux-Arts de Nantes

Und in Deutschland? Caspar David Friedrich malte seine großartigen Landschaftspanoramen. Doch auch sie hätten damals eine ganz andere Wirkung auf die Betrachter gehabt, sagt Felix Krämer. Heinrich von Kleist, ein Zeitgenosse Friedrichs, denkt beim Anblick des Gemäldes "Mönch am Meer" nicht an Seelenruhe und romantische Verzückung. Ihn erinnert es vielmehr "in seiner Einförmigkeit und Uferlosigleit" an die Apokalypse, "als ob einem die Augelieder weggeschnitten wären". Der Horror, der einst den Dichter beim Betrachten des Bildes ergriffen hat, sei heute nicht mehr nachzuvollziehen, meint Krämer, damals aber sei er ganz real gewesen.

Schönheit und Schrecken, all das liegt bei den Künstlern nah beieinander. Und das kann den Betrachter ja auch anziehen: "Schon Aristoteles hat in seiner Poetik angemerkt, dass etwas, dass im Leben abstoße, in der Kunst erfreuen könne." Auf solche überraschende Verwandtschaften ist Felix Krämer gestoßen. Er hat sich zweieinhalb Jahren intensiv mit den Nachtseiten der Romantik beschäftigt. Die Romantik war eine gesamteuropäische Kunstrichtung. Und sie zeigt eben nicht nur das Erhabene, das Schöne und von Gott geschaffene.

Arnold Böcklins Villa am Meer (Foto: Städel Museum, Frankfurt am Main)
Wie eine Toteninsel - Schwarze Romantik bei Arnold Böcklin: "Villa am Meer"Bild: Städel Museum, Frankfurt am Main

Und noch eine weitere These stellt der Kurator mit seiner Kunstschau auf: der Begriff der Romantik taugt weniger als Epochenbegrenzung. Vielmehr sei er Ausdruck einer Geisteshaltung, also auch noch im Hier und Jetzt, in der Moderne, verhaftet. In der Kunst zeigen das Entwicklungen wie der Symbolismus und der Surrealismus, keine stilistischen Kunstexperimente, sondern inhaltlich fundierte Kunstrichtungen, so Krämer. Auch die Literatur und das Kino nahmen diese Einflüsse auf. Frankfurt dokumentiert das mit Ausschnitten aus Klassikern der Filmgeschichte. Murnaus "Faust" ist dort ebenso zu sehen wie die von Salvador Dalí entworfenen Traumsequenzen in Alfred Hitchcocks Film "Spellbound".

Besonders verblüffend sind in diesem Rahmen die Sequenzen aus dem Hollywood-Horrorklassiker "Frankenstein" (1930). Das von Menschenhand erschaffene Monster mit dem großen, eckig-unförmigen Kopf, im Film dargestellt von Boris Karloff, ist einer Zeichnung Goyas aus dem Jahre 1799 entlehnt. Und wenn die weibliche Protagonisten nach der Attacke des Monsters Frankenstein im Film ohnmächtig auf den Diwan niedersinkt, dann entsprechen Körperhaltung und Gestik exakt und bis ins Detail einem Gemälde Füsslis aus dem Jahre 1790.

Filmstill aus Friedrich Wilhelm Murnaus Faust – Eine deutsche Volkssage (Foto: © Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung)
Schwarze Romantik im Kino: Friedrich Wilhelm Murnaus Faust-Verfilmung von 1926Bild: Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung

Und was sagt uns das heute? Die menschliche Psyche ist facettenreich und vieldeutig. Das Unterbewußte ist der ständige Begleiter des Menschen. "Freud ohne die Romantik ist nicht vorstellbar!", sagt Krämer. Und man kann noch weiter gehen, um die Bedeutung von Kunstausstellungen wie "Schwarzen Romantik" hervorzuheben. Wer die Bilder Goyas studiert und die allabendlichen Fernsehnachrichten verfolgt mit den Bildern des Grauens aus der arabischen Welt, deren Ursprünge ja auch in einem aufklärerischen Impetus zu finden waren, dem wird bewusst, dass auch heute Aufklärung und Schrecken zusammengehören.