Schwache Staaten, starker IS
24. Mai 2015Vor einer Woche eroberten sie Ramadi, nun Palmyra: Die Terroristen des Islamischen Staats (IS) bringen immer größere Teile Syriens unter ihre Kontrolle. Inzwischen beherrscht der IS gut die Hälfte des syrischen Territoriums. Auch im Irak unterwerfen die Dschihadisten Stadt um Stadt. Inzwischen halten sie fast ein Drittel des irakischen Staatsgebiets unter ihrer Kontrolle.
Doch so vergleichbar die Erfolge der Dschihadisten sind, so unterschiedlich sind in beiden Ländern die Gründe für ihren Vormarsch.
Fehlendes Vertrauen in den irakischen Staat
Im Irak macht sich die Terrororganisation die nach wie vor anhaltende konfessionelle Spaltung des Landes zunutze. Die hat vor allem politische Gründe. So pflegte der ehemalige Staatspräsident Nuri al-Maliki, ein Schiit, einen strikten anti-sunnitischen Kurs. Er hielt Sunniten von politischen Schlüsselpositionen fern. Die daraufhin einsetzenden Proteste wie etwa in der Provinz Anbar unterdrückte er brutal. Das trug wesentlich dazu bei, dass sich auch gemäßigte Sunniten dem IS anschlossen. Sie taten das nicht aus religiöser Überzeugung, sondern, um ihre politischen Interessen durchzusetzen. Diese von ihrem Staat enttäuschten Iraker machen Schätzungen zufolge rund 90 Prozent der IS-Kämpfer im Irak aus.
Seit September 2014 hat der Irak mit Haidar al-Abadi zwar einen neuen Präsidenten, der sich um die nationale Versöhnung bemüht. Aber noch hat er das Vertrauen der Sunniten nicht gewonnen. Zwar haben die gemäßigten irakischen Sunniten auch eine eigene Truppe aufgestellt, die gegen den IS kämpft. Doch die zählt nur rund 5000 Kämpfer. Um eine militärisch ernsthafte Rolle zu spielen, bräuchte sie weitere Freiwillige. Dass die sich anschließen, gilt angesichts der derzeitigen politischen Konstellation jedoch als unwahrscheinlich. Denn dazu bräuchte es das Vertrauen der Sunniten, dass der Staat in absehbarer Zeit auch ihre Belange berücksichtigt.
Misstrauen gegenüber dem Iran
"Das Vertrauen der Sunniten zu gewinnen, ist die Grundvoraussetzung, um den IS zu besiegen", erklärt der irakische Politikwissenschaftler Haidar Said in einem Gespräch mit dem mit der politischen Entwicklung des Nahen Ostens befassten Internet-Magazin Al-Monitor.. Doch genau daran fehlt es. Das geht so weit, dass die Sunniten ihre in das irakische Parlament entsandten Vertreter verdächtigen, sich nicht für ihre Belange einzusetzen, sondern für die des Iran. Der Iran hat auf die politischen Entscheidungsträger in Bagdad erheblichen Einfluss. Hinzu kommt, dass Teheran in den Kampf gegen den IS massiv involviert ist. Das löst bei vielen Sunniten die Sorge aus, sie würden, wenn sie sich der Anti-IS-Koalition anschlössen, letztlich für den (schiitischen) Iran arbeiten – und damit gegen ihre eigenen Interessen.
So entsteht ein Teufelskreis. Jede Gruppe kämpf auf eigene Faust gegen den IS – und wähnt sich darum vom Staat allein gelassen. "Wenn wichtige soziale Akteure wie die Volksfront, die Peschmerga und die sunnitschen Stämme jeweils einzeln gegen den IS vorgehen, heißt das, das sie sich entschieden haben, die Einheit des Landes nicht wiederherzustellen", schreibt der irakische Journalist Mustafa al-Kadhimi im Al-Monitor.
Geschwächte syrische Armee
Anders sieht die Lage in Syrien aus. Dort macht sich der IS die fortschreitende Schwächung der syrischen Armee zunutze. Einem Bericht der in London erscheinenden Zeitung "Al Hayat" zufolge verfügt das Militär über immer weniger Soldaten. Viele sind gefallen, andere desertiert. "Darum ist es zunehmend auf die Kämpfer der Hisbollah und weitere schiitische Milizen angewiesen", schreibt Al-Hayat.
Zwar versuchen einige Staaten der arabischen Halbinsel, allen voran Saudi-Arabien und Katar, weiterhin die gemäßigten Assad-Gegner zu unterstützen. Doch sind die Grenzen zwischen gemäßigten und radikalen oder gar dschihadistischen Kämpfern und Gruppierungen fließend. Viele der zugleich gegen den IS und das syrische Militär kämpfenden Gruppen sind sich nur in einem einig: nämlich ihre beiden Gegner zu besiegen. Darüber, wie es nach dem erhofften Sieg in Syrien weiter gehen soll, gehen die Vorstellungen auseinander.
Militärisch sind die gemäßigten Kräfte dringend auf Unterstützung angewiesen. Der Westen sollte sich darum mit der Türkei und den Golfstaaten zusammentun, schreibt Al-Hayat. Aufgabe dieser Koalition wäre es, die gemäßigten Kämpfer militärisch zu stärken. Parallel dazu käme es darauf an, auf Assads wichtigste Unterstützer, Iran und Russland, einzuwirken. "Sie sollten ihnen klar machen, dass die Investition in den syrischen Präsidenten sich nicht auszahlt." Tatsächlich hat Assad durch sein brutales Vorgehen gegen die zunächst unbewaffnete Opposition erst jenes Chaos ausgelöst, dass sich der IS nun zunutze macht. Im Kampf gegen die sunnitischen Dschihadisten sind sich die Assad-Unterstützer und seine Gegner in Ost und West eins. Noch hat dieses gemeinsame Interesse aber nicht zu einer gemeinsamen Haltung zum Umgang mit Assad und seinem Regime geführt.
Guerrillastrategie lässt Luftangriffe ins Leere laufen
Sowohl im Irak wie auch in Syrien ist der Kampf gegen den IS nicht leicht zu gewinnen. Die Armeen beider Länder sind dazu nicht in der Lage. Die USA, auf deren Schlagkraft es ankommt, sind nicht bereit, Bodentruppen in die beiden Staaten zu schicken, zumindest nicht in größerem Umfang. Aus der Luft allein ist der IS aber schwerlich zu schlagen. Seine Kämpfer verteilen sich auf viele kleine Gruppen – Luftangriffe machen deshalb keinen Sinn. Das Gleiche gilt für die dem IS zur Verfügung stehenden Waffen: Auch sie sind auf sehr viele kleinere Depots und Verstecke verteilt, so dass Luftangriffe auch in diesem Fall zu aufwendig sind oder in keinem Verhältnis zu den Wirkungen stehen.