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Schwache Impfungen begünstigen Mutationen

25. Januar 2021

"Escape-Mutanten" könnten einer zu schwachen Immunantwort entwischen und den Erreger aggressiver machen. Auch bereits Genesene könnten sich erneut infizieren und die Impfstoffe bräuchten ein Update.

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Coronavirus- COVID-19 - Mikrografie
Bild: Imago/NIAID-RML

Eigentlich sollte SARS CoV-2 im brasilianischen Manaus keine Chance mehr haben: Bereits im August hatten sich drei Viertel der Bewohner in der Hauptstadt der Provinz Amazonas infiziert. Genug also, um eine solide Herdenimmunität zu entwickeln. Aber im vergangenen Dezember füllten sich schlagartig wieder die Krankenhäuser.

Möglicherweise haben sich die Menschen mit den neu aufgetauchten P.1.Virusvariante infiziert, die bei einigen Menschen der menschlichen Immunantwort "entwischt". Klarheit soll jetzt eine Sequenzierung der Proben bringen.

Brasilien Beerdigung von Corona-Toten
Eigentlich müsste es im brasilianischen Manaus eine Herdenimmunität geben, aber die Krankenhäuser füllen sich wiederBild: Lucas Silva/dpa/picture alliance

Solch ein "Immune Escape", die die menschliche Immunabwehr umgeht, bereitet Forschenden und Verantwortlichen große Sorgen, denn es könnte bedeuten, dass auch bereits Genesene sich erneut infizieren können und dass die bereits im Einsatz befindlichen Impfstoffe nicht mehr wirken bzw. eine Auffrischung benötigen.

Bislang aber scheint das Coronavirus nicht gegen die COVID-19-Impfstoffe resistent geworden zu sein, so der Vakziologe Philip Krause, der eine WHO-Arbeitsgruppe zu COVID-19-Impfstoffen leitet. "Die nicht ganz so gute Nachricht ist, dass die schnelle Entwicklung dieser Varianten darauf hindeutet, dass sich das Virus schneller zu einem impfstoffresistenten Phänotyp entwickelt könnte, als uns lieb ist", schränkt Krause im Science Magazine ein.

Die Evolution der Virusvarianten

Um sich zu vermehren, schleusen Viren ihre Erbinformationen in eine Wirtszelle ein, bei jeder Reproduktion treten kleine Kopierfehler auf und jeder dieser Fehler verändert auch den genetischen Code des Virus, es mutiert. 

Die jetzt eingesetzten Impfstoffe üben dabei einen evolutionären Druck auf das Virus auf, es werden vor allem jene Virusvarianten selektiert und vermehrungsfähig bleiben, die sich durch ihre Mutationen dem Zugriff des Immunsystems entziehen.

Symbolbild DNA-Fehler
Bei jeder Reproduktion entstehen Kopierfehler, das Virus mutiertBild: picture-alliance

Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass ein Virus durch Selektion immer tödlicher wird, denn wer seinen Wirt schnell tötet, kann sich schlechter ausbreiten und verschwindet, während sich harmloserer Varianten wieder ausbreiten.

Aber jüngste Erkenntnisse der britischen "New and Emerging Virus Threats Advisory Group" deuten darauf hin, dass die zuerst in Großbritannien entdeckten Variante nicht nur um bis zu 70 Prozent ansteckender ist, sondern eventuell auch tödlicher sein könnte. Die Datenlage dazu gilt noch als schwach. 

Gegenteiliger Effekt durch schwache Impfstoffe

Wenn allerdings schwache Impfstoffe eingesetzt werden oder die zweite Impfung zu weit herausgezögert wird, dann kann dieser Mechanismus genau das Gegenteil bewirken. Davor warnt der Virologe Andrew Read von der Pennsylvania State University. Seine Forschungen mit Hühnerviren brachten ihn bereits 2001 zu der Schlussfolgerung, dass schwach wirksame Impfstoffe unter Umständen sogar die Entwicklung gefährlicher Virenstämme begünstigen.

Brasilien Corona-Pandemie | Impfstart | CoronaVac Sao Paulo
Erst die zweite Impfdosis sorgt wie ein Booster für eine starke ImmunabwehrBild: Nelson Almeida/AFP

Deshalb wird auch eine herausgezögerte zweite Impfdosis, wie jetzt schon in Großbritannien und bald möglicherweise in den USA, so kritisch gesehen. Zwar haben so mehr Menschen einen ersten Schutz, aber sie können keine ausreichend starke Immunantwort aufbauen. Der Körper kämpft länger gegen die gefährlicheren Virenstämme an und das Virus hat derweil länger Zeit, sich vor dem Impftod zu schützen. Trifft solch ein Virus dann auf ungeimpfte Personen, können die Auswirkungen verheerend sein. 

Eine weit verbreitete Verzögerung der zweiten Dosis könnte einen Pool von Millionen von Menschen schaffen, die zwar genug Antikörper haben, um das Virus zu verlangsamen und um nicht zu erkranken, aber nicht genug, um das Virus auszulöschen. Das könnte das perfekte Rezept für die Entstehung von impfstoffresistenten Stämmen sein, sagt der Virologe Florian Krammer von der Icahn School of Medicine am Mount Sinai im Science Magazine

Andere Wissenschaftskollegen halten dagegen eine unkontrollierte Ausbreitung des Virus durch die erhöhte Übertragbarkeit für das größere Risiko. "Es ist ein Gemetzel da draußen", so der Evolutionsmikrobiologe Andrew Read von der Pennsylvania State University. Er hält es für sinnvoll, jetzt zunächst einmal so viele Menschen wie möglich zumindest einmal zu impfen: "Doppelt so viele Menschen mit teilweiser Immunität muss besser sein als volle Immunität bei der Hälfte von ihnen."

Wird wie beim Grippeimpfstoff ein saisonales Update nötig?

Zum Glück sind viele Impfstoffe auch durch die normale Viren-Evolution nicht unwirksam geworden. So konnten zum Beispiel weder das Pockenvirus noch das Masern-Virus eine Mutation entwickeln, die der durch den Impfstoff ausgelösten Immunität entkam.

Grippeschutzimpfung
An die alljährlich nötige Auffrischung der Grippeschutzimpfung gaben wir uns inzwischen gewöhntBild: picture alliance/dpa/J. Stratenschulte

In der Vergangenheit haben nur wenige Viren eine Resistenz gegen Impfstoffe entwickeln können, mit Ausnahme der saisonalen Grippe, die sich so schnell von selbst entwickelt, dass sie jedes Jahr einen neu entwickelten Impfstoff benötigt.

Verhält sich SARS-CoV-2 ähnlich, müssten auch die Corona-Impfstoffe regelmäßig aktualisiert werden. Ein solches Update kann bei den mRNA-Impfstoffen laut BioNTech-Pfizer innerhalb weniger Wochen hergestellt werden. Aber die Testung und Zulassung sowie Produktion und Verteilung des angepassten Impfstoffs dauert bekanntlich - und schon jetzt warten viele Impfzentren sehnlichst auf den derzeit gültigen Impfstoff. 

DW Mitarbeiterportrait | Alexander Freund
Alexander Freund Wissenschaftsredakteur mit Fokus auf Archäologie, Geschichte und Gesundheit@AlexxxFreund