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Schuldenfalle Gefängnis - Armut im Knast

13. Oktober 2022

Wer mit Schulden ins Gefängnis geht, läuft mit noch mehr heraus, heißt es. Weil die Lebensmittelpreise steigen, spitzt sich die Krise für die Häftlinge zu.

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Ein Vollzugsbeamter und ein Mann an der drehbank
Drehbank in der Schlosserei der Justizvollzugsanstalt in OldenburgBild: Carmen Jaspersen/dpa/picture alliance

In Deutschland leben ungefähr 45.000 Menschen, die nicht viel Wahlfreiheit haben. Sie können zum Beispiel keine Sonderangebote der Supermärkte auswerten, um sich die neuesten Schnäppchen für Brot, Margarine oder Sonnenblumenöl zu sichern. Sie können auch nicht zu den 1000 Tafeln hierzulande gehen, wo Menschen in Armut kostenfreie Lebensmittel bekommen. 

Sie können nur jede Woche auf einer Liste ankreuzen, welche Produkte sie gern - zusätzlich zur kostenfreien Grundversorgung - kaufen möchten. Teilweise zu Preisen, die weitaus höher sind als "draußen" - weil ein Unternehmen fast alle 160 Gefängnisse in Deutschland beliefert und damit quasi ein Monopol hat. So kann zum Beispiel eine Flasche Mineralwasser im Knast 34 Cent kosten - statt 19 Cent beim Discounter. Ein Aufschlag um fast 80 Prozent.

Die Rede ist von den 45.000 Menschen, die in Deutschland in den Justizvollzugsanstalten sitzen. Sie scheinen noch weitaus mehr von der Inflation betroffen zu sein, als andere Teile der Bevölkerung. Aber sie haben keine Lobby.

Häftlinge in der Politik kaum ein Thema

Es gibt hierzulande nur ganz wenige Menschen, die sich für die Belange der Häftlinge einsetzen und davor warnen, welche gravierende Folgen die Inflation für diese fast vergessene Gruppe hat. Juliane Nagel, Abgeordnete der Linken im sächsischen Landtag, ist eine von ihnen. "Die viel zu niedrige Vergütung für arbeitende Gefangenen muss endlich erhöht werden. Zirka 2000 der 3500 Gefangenen in den sächsischen Justizvollzugsanstalten gehen einer Erwerbstätigkeit nach, bekommen dafür einen Hungerlohn von maximal 2,15 Euro pro Stunde und sind nicht einmal in die gesetzliche Rentenversicherung inkludiert", sagt sie.

Juliane Nagel
"Es wäre nur gerecht, wenn Gefangene für die geleistete Arbeit den Mindestlohn verdienen" - Juliane NagelBild: Jan Woitas/dpa/picture alliance

Die Politikerin beschreibt ziemlich genau die Realität im Knast in ganz Deutschland: die meisten Häftlinge arbeiten, in zwölf von 16 Bundesländern sind sie dazu verpflichtet. Sie arbeiten in Küchen, werkeln Holz für Schreinereien oder schrauben für Schlossereien Bauteile zusammen. Und bekommen dafür ein bis drei Euro pro Stunde.

Inflation frisst das wenige Geld auf

Damit soll den Häftlingen, heißt es, "der Wert regelmäßiger Arbeit für ein straffreies Leben vor Augen geführt werden." Beamtendeutsch für Resozialisierung, für die Vorbereitung auf ein Leben in Freiheit, denn arbeitende Gefangene gelten rechtlich nicht als Arbeitnehmer. Die Gefangenen empfinden es dagegen als Signal, dass sich ehrliche Arbeit nicht lohnt.

Denn das wenige Geld geht nun für Hygieneartikel wie ein Deo, Shampoo oder den Rasierapparat drauf. Für die Telefongespräche nach draußen. Oder für Lebensmittel wie Obst, Joghurt oder Mineralwasser, die über die Gemeinschaftsversorgung hinausgehen. Früher war es fast ein Ding der Unmöglichkeit, im Gefängnis etwas anzusparen. Heute, im Oktober 2022, in Zeiten der Inflation, ist es aussichtslos.

Häftlinge haben nun geklagt: für eine angemessene Entlohnung einerseits, die sich am Mindestlohn orientiert. Und für adäquate Preise bei den Lebensmitteln. Diese seien schon vor dem Krieg in der Ukraine höher als im Supermarkt gewesen - obwohl die Haftanstalten verpflichtet sind, den Gefangenen einen Einkauf zu marktgerechten Preisen zu ermöglichen.

Resozialisierung oder Ausbeutung?

Manuel Matzke hat selbst jahrelang die Listen für zusätzliche Lebensmittel angekreuzt, hat jeden Cent umgedreht, um irgendwie zum Monatsende hinzukommen und kennt die Sorgen der Häftlinge wie kein zweiter. Er war wegen Wirtschaftsbetruges im großen Stil mehrere Jahre in Sachsen in Haft und ist nun Bundessprecher der Gefangenengewerkschaft. Matzke sagt:

"Wir haben eine sehr strikte Ausbeutung der Gefangenen, wenn sie in Arbeit sind. Das Entgelt für die Produkte des täglichen Lebens in einer Justizvollzugsanstalt sind jenseits von Gut und Böse. Den Hashtag #ichbinarmutsbetroffen können die Häftlinge in Deutschland definitiv unterschreiben."

Manuel Matzke
"Wir haben ganz viele Produkte, die einfach in Haft viel, viel mehr kosten als in Freiheit" - Manuel MatzkeBild: Gefangenen Gewerkschaft/GGBO

Matzke kennt auch die Argumente der Gegenseite: die Kosten des Justizvollzugs seien hoch. Die Gefangenen müssten nichts für Bekleidung, die Grundverpflegung und die Unterbringung bezahlen. Und mit der Arbeit der Häftlinge machten die Haftanstalten keinen Profit. Doch Matzke will das nicht so stehen lassen.

"Gefangenen geht es noch schlechter als Hartz-IV-Empfängern, auch wenn immer gesagt wird, dass ihnen alles serviert wird. Sie möchten Unterhalt zahlen, Schulden regulieren und Opfer entschädigen. Aber das ist für sie alles nicht machbar. Wir haben in den Gefängnissen inflationsbedingte Preissteigerungen, aber die Vergütung der Gefangenen wird nicht erhöht. Das ist eine Ungerechtigkeit, die nicht vermittelbar ist."

Bundesregierung will Rentenanspruch durchboxen

Mit Schulden ins Gefängnis, mit noch mehr Schulden heraus - der Satz ist heute aktueller denn je. Hinzu kommt: die Arbeit in den Gefängnissen wird nicht auf die Rente angerechnet, hinter der Entlassungstür wartet schon das Schreckgespenst der Altersarmut. Experten vermuten, dass insbesondere wegen des fehlenden Rentenanspruchs die Rückfallquote so hoch sei. Fast jeder zweite Gefangene begeht in den ersten drei Jahren in Freiheit wieder ein Verbrechen.

Ein Mann arbeitet an einer Nähmaschine
Arbeit an der Nähmaschine: Schneiderei in der Justizvollzugsanstalt Weiterstadt Bild: Silas Stein/dpa/picture alliance

Immerhin steht die Aufnahme von Häftlingen in die Rentenversicherung im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung. Ein längst überfälliger Schritt, sagt der Bundessprecher der Gefangenengewerkschaft, Manuel Matzke:

"Die Schulden der Menschen, die in Haft sind, werden immer mehr, wenn sie in Haft sind. Und selbst bei einer vorzeitigen Entlassung musst Du in den meisten Fällen ein kriminalpsychologisches ärztliches Gutachten anfertigen lassen, welches Dich nochmal zwischen 5000 und 6000 Euro kostet. Im Endeffekt ist Knast ein Teufelskreis, aus dem Du nicht wieder herauskommst."

Porträt eines blonden Manns im schwarzen Hemd
Oliver Pieper DW-Reporter und Redakteur