Schuhe, die wirklich glücklich machen
12. November 2015Der Grund dafür, dass Obaid Rahimi im September 2012 das Land besuchte, in dem er auf die Welt kam, war ein freudiger Anlass: die Heirat seines Cousins, Familienfest inklusive. Zehn Tage weilte Rahimi damals in Afghanistan. Als der 28-Jährige ankam, schien die Sonne, die Tagestemperaturen lagen deutlich über 20 Grad. Die Kinder liefen in Sandalen durch die staubigen Straßen. Als Rahimi Afghanistan wieder verließ, war es bitterkalt, in der Nacht und am Morgen lagen die Temperaturen unter dem Gefrierpunkt. Die Jungen und Mädchen hatten noch immer die gleichen Sandalen an. Denn es waren die einzigen Schuhe, die sie besaßen - falls sie nicht gar barfuß unterwegs waren.
"Es ist herzzerreißend, wenn man sieht, wie ein Kind, das nichts oder fast nichts an den Füßen hat, gegen die Kälte kämpft", erinnert sich Rahimi. Dieser Anblick brannte sich ein. Er beschloss zu helfen. Wieder daheim im bayerischen Passau schaute sich der junge Mann, der in jener Zeit noch Betriebswirtschaftslehre studierte, Untersuchungen der Vereinten Nationen an, die seinen Ansatz bestätigten. "Flüchtlinge waren gefragt worden, was sie am meisten benötigen. Viele nannten Schuhe." Die Idee für Shoemates war geboren.
Shoemates - so heißt das kleine Startup, das nach dem Prinzip verfährt: "Get one, give one". Sprich: Für jedes Paar Schuhe, das über das Online-Portal der Firma verkauft wird, erhält ein afghanisches Kind ein Paar feste Schuhe aus einem Ledergemisch. Wer das Konzept als PR-Idee nach der Masche "Mitleid erwecken, um Geld zu verdienen" abtut, wird Rahimi und seinen Mitstreitern nicht gerecht. "Gutes zu tun, ist eine schöne Sache", sagt der 28-Jährige. Von seiner Firma leben können weder Rahimi noch seine vier Mitarbeiterinnen. "Sie alle haben noch andere Einkünfte. Wir sind kein big player, der bei Google ganz oben auftaucht, wenn man mit *Schuhe* sucht."
Sozial und ökologisch
Rahimi gehört zu der jungen Generation Firmengründern, die von Beginn an den Gedanken der Nachhaltigkeit - sozial und ökologisch - als zentralen Bestandteil ihres Geschäftsgebarens verfolgen. Bevor der Betriebswirt Shoemates gründete, rief er 2012 gemeinsam mit Kommilitonen als erstes soziales Unternehmensprojekt "Headmates" ins Leben. Auch das - es existiert nach wie vor und wird über dieselbe Website wie Shoemates vermarktet - verfolgt das Ziel gesamtgesellschaftlicher Verantwortung. Rentnerinnen, die Rahimi stets liebevoll "Omis" nennt, stricken modische Mützen aus Alpaka-Wolle, die wiederum aus Regionen in Peru stammt, wo die Menschen bitterarm sind.
"Unsere Omis verrichten eine Tätigkeit, die ihnen Spaß macht, und haben soziale Kontakte. Wir treffen sie regelmäßig", sagt Rahimi. "Die Höhe ihres Lohns können sie selbst bestimmen." Verpackung und Vertrieb der Mützen und Schuhe laufen unter Einbindung zweier Behindertenwerkstätten in Plattling, östlich von Regensburg gelegen, und Passau.
Überlegungen, "was machen wir im Sommer?", fielen mit der Reise nach Afghanistan zusammen, wo dem Startup-Unternehmer der Mangel an Schuhen ins Auge stach. So kamen Rahimi und seine Freunde auf Schuhe, entwickelten ihr Konzept und beteiligten sich an einem Wettbewerb der Universität Passau, aus dem sie als Sieger hervorgingen. So weit, so gut. Aber welche Schuhe? Das Team einigte sich auf den Handel mit Espadrilles, leichten und bequemen Leinenschuhen ohne Schnürsenkel. Diese Schuhe haben ihren Ursprung in Spanien, sind in Lateinamerika enorm populär und liegen seit wenigen Jahren auch in Europa wieder stark im Trend. Redet Rahimi über ihre Herstellung, merkt man, dass er BWL studiert hat. "Ein Schuh kann mit ziemlich geringem finanziellem Aufwand produziert werden. Gleichzeitig ist ein Schuh ein Produkt, das sich jeder selbst kauft und so gut wie nie verschenkt."
Lokale Beziehungen helfen
Mit Hilfe der deutschen Außenhandelskammer und der IHK Niederbayern fand die Shoemates-Mannschaft einen chinesischen Hersteller, dessen Qualitätsstandards bei Produktion und Nachhaltigkeit nach Angaben Rahimis vom TÜV als "hoch" zertifiziert sind. Ab Frühjahr sollen die Espadrilles auch in Spanien gefertigt werden. Doch wie erhalten Kinder in Afghanistan ihre Schuhe und wer sorgt dafür, dass sie an die Richtigen gelangen? Hier helfen Rahimis Wurzeln. Er kam als Sechsjähriger mit seinen Eltern - sein Vater war ein politisch Verfolgter - nach Deutschland und spricht fließend Persisch. "Gott sei Dank verfügen wir über eine gute Infrastruktur."
Sein Onkel hält nach Angaben Rahimis Kontakt zu der afghanischen Fabrik, die die Lederschuhe herstellt, die an die Kinder gehen. Zudem arbeite er bei einer lokalen Menschenrechtsorganisation in der westafghanischen Provinz Herat, die die Verteilung bewerkstellige. "Die NGO ist seit Jahren in Afghanistan aktiv, wir vertrauen ihr. Am Ende eines jeden Jahres muss sie einen nachvollziehbaren Bericht vorlegen. Das ist alles absolut sicher", fasst der 28-Jährige zusammen. Dabei erweist er sich als Kenner des Landes. "Familiäre Kontakte vor Ort sind wichtiger und bieten mehr Sicherheit als Verträge, wie das in Europa der Fall ist. Meinem Onkel vertrauen die Menschen - und er vertraut ihnen.“
Das Prozedere beschreibt der Jungunternehmer wie folgt: "Wir kalkulieren so, dass das Geld die Herstellung eines Paares Espadrilles, das wir hierzulande verkaufen, und ein Paar Schuhe für ein afghanisches Kind reicht. Das wird dann hochgerechnet für eine Bestellung von 800 oder 1000 Stück." Zunächst erhalte der Betreiber der Manufaktur 30 Prozent des Gesamtkostenbetrages. "Das gibt der Firma Sicherheit, dass die Rohmaterialkosten gedeckt sind." Nach Auslieferung der Ware fließe das übrige Geld, das die Produktion der gespendeten Kinderschuhe beinhalte.
Arbeitsplätze sind wichtiger als Spenden
Vor Ort zu produzieren, begrüßt das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ganz entschieden, weil damit immer die Schaffung von Arbeitsplätzen verbunden ist, die wiederum Steuereinnahmen nach sich ziehen. Rahimi, der auch ein Philosophiestudium erfolgreich abgeschlossen hat, verfolgt den Ansatz, wirtschaftlicher Zusammenarbeit den Vorrang vor Entwicklungshilfe zu geben. Deshalb startet der deutsche Jungunternehmer einen Versuchsballon. Die afghanische Manufaktur, die die Kinderschuhe herstellt, fertigt nach seinen Angaben "durchaus hochwertige Kalbslederschuhe" für den Iran, Tadschikistan und andere Länder der Region. Nun soll die Fabrik, wie der junge Mann berichtet, 100 Stück von drei Modellen für den deutschen Markt produzieren.
Schuhspenden seien sehr wichtig, meint Rahimi. Aber fünf neue Arbeitsplätze seien noch wichtiger. "Die größte Hilfe ist, die Menschen darin zu unterstützen, dass sie Selbstbewusstsein und Vertrauen erlangen, dass sie endlich wieder über sich selbst sagen: Wir können etwas."