Florescu: "Heimat zu inszenieren, ist zu wenig"
2. April 2018Der deutschsprachige Schriftsteller Cătălin Dorian Florescu wurde am 27. August 1967 in Rumänien geboren und lebt seit 1982 in Zürich. Für seine Werke erhielt er bedeutende Preise. Im Herbst 2017 erschien im Verlag C.H. Beck sein neuer Erzählband mit dem Titel "Der Nabel der Welt" und vor wenigen Wochen im Residenz Verlag sein Sachbuch "Die Freiheit ist möglich".
Florescu ist regelmäßiger Kolumnist der Deutschen Welle. Am Rande der Leipziger Buchmesse, wo Rumänien dieses Jahr Gastland war, äußerte er sich zu den prägenden Themen unserer Zeit - Heimat, Migration, Populismus.
Deutsche Welle: Schon in Ihrem ersten Roman "Wunderzeit" geht es um Migration. Das Thema zieht sich dann wie ein roter Faden durch Ihr ganzes Werk. Die Stichworte: Leben im Exil, Entwurzelung, Identitätssuche. Warum eigentlich immer noch, obwohl Sie doch seit 36 Jahren in der Schweiz leben?
Cătălin Dorian Florescu: Die Frage ist berechtigt. Es gibt wahrscheinlich auch ein Recht auf das Ankommen. Ein Recht darauf, nicht mehr Emigrant zu sein. Nach 36 Jahren könnte man das erwarten. Aber vermutlich stimmt das Gegenteil: Dass man ein Leben lang an dieser Entwurzelung nagt. Auch weil die Verbindung mit dem Ort, an dem man geboren wurde, sehr stark bleibt. Die Zeit der Kindheit zählt bekanntermaßen doppelt. Man kann sehr pragmatisch sein und damit abschließen. Man kann die Jugend oder die Heimat verdrängen und sich nur seiner Gegenwart verschreiben. Ich finde aber, es entsteht ein Verlust und die Vielfalt in der eigenen Biografie ist wichtig. Als Künstler kann man nicht anders, als sich selbst beim Leben zu beobachten. Schreiben ist für mich auch ein sehr genaues Hinschauen und nicht Wegschauen, sonst würde ich aufhören. Beim genauen Hinschauen wird mir bewusst, dass es auch ein wichtiges Thema weltweit ist.
Wie suchen Sie sich Ihre Geschichten aus?
Es ist eine Mischung aus Auswählen und Treffen von Menschen, von Situationen, die zu mir sprechen, zu meiner Seele. Man muss offen sein, damit man dieses Sprechen auch hört, sonst zieht es an einem vorbei. Eigentlich ist es von Buch zu Buch unterschiedlich. Jetzt habe ich in Bukarest recherchiert, weil ich vor etwa fünf Jahren ein Gespräch mit einer Frau führte, deren Mann - ein älterer Herr, der heute in Sibiu lebt - in den 1950er Jahren einer von vielen Tausenden politischer Gefangenen zur Zeit des Kommunismus war.
Kommen wir zurück auf das Thema Migration. Was bedeutet für Sie Heimat? Wo sind Sie Zuhause?In meinem Alltag spielt die Empfindung der Heimat, auch der Begriff, fast keine Rolle. Ich bin dermaßen europäisiert, bin so viel unterwegs - und das seit so vielen Jahren - dass ich dieses Gefühl der absoluten Geborgenheit in einer sicheren Heimat nicht habe und auch nicht brauche. Ich habe vermutlich zwei Zuhause, aber keine Heimat. Die Faszination für Rumänien ist sicherlich der Geist meiner Geschichten. Rumänien ist ein Ort, den ich viel besser verstehe. Ich suche mir immer die Themen dort aus. Vielleicht ist es doch Heimat, aber ich scheue mich davor, es so zu nennen. Ich würde den Menschen, die dort leben, Unrecht tun, wenn ich etwas beanspruche, was sie täglich erfahren. Nicht nur die schönen Seiten. Rumänien meine Heimat zu nennen, ist ein bisschen illegitim. Heimat ist nicht nur das Schöne. Heimat zu inszenieren - mit Sarmale (rumänische Krautwickel, Anm. d. R.), mit Folklore oder Weihnachtsliedern, das ist zu wenig. Oft wird das verwechselt. Die Populisten fokussieren sich genau darauf. Heimat heißt, etwas zu teilen, zu bewirken, zu gestalten - und zwar zusammen und in der Gegenwart. Sich politisch einzusetzen, zumindest indem man wählt.
Sie sind ein Autor der DW-Kolumne "Mein Europa", reisen viel, beschäftigen sich viel mit dem Thema Europa. Vielerorts sind die Populisten im Aufwind. Finden Sie die aktuelle Entwicklung gefährlich?Ja, sie ist gefährlich. Die Populisten haben gelernt, sich digital zu bewegen. Gerade in Österreich wurden die Wahlen im Wesentlichen auch im Internet gewonnen. Die Populisten haben gelernt, die kritischen Medien zu umgehen, sie reden direkt zu ihren Leuten, und das schafft eine Parallelwelt, in der sich alle bestätigen. Sie haben eigene digitale Zeitschriften, Blogs usw. Gerade für jemanden wie mich, der aus einer humanistischen Denkschule kommt - ich bin ja auch Psychologe - ist jede Form von Simplifizierung, von Vorurteil, von Klischee besorgniserregend.
Sie schreiben in einer Ihrer DW-Kolumnen, dass bedauerlicherweise viele Menschen eher mit dem Bauch als mit dem Verstand wählen.
Vor einigen Tagen ist ein Sachbuch von mir erschienen über Verantwortung, Lebenssinn und Glück in unserer Zeit: "Die Freiheit ist möglich". Wir leben in einer unübersichtlichen Welt, in der weiterhin die Werte des Marktes vermittelt werden.
Wir sind stark geprägt von dem abstrakten Wert, den wir uns geben, von unserer Leistungsfähigkeit, von unserer Fähigkeit, uns einzufügen, Güter anzuhäufen, aber weniger von Werten. Was habe ich für Werte, zu denen ich unbedingt stehe? Es ist schon eine Lachnummer, Ethik zu erwähnen - in Schulen zum Beispiel. Wenn Schulleiter nur von einem reden: den Digitalisierungszug nicht zu verpassen. Digitalisierung ohne Ende.
Aber das ist eine Blase. Wodurch ist der Mensch, der diese Digitalisierung bedient, erfüllt? Was trägt er in sich? Wie schaffen wir eine humanistische Bildung? Wir sind viel mehr beschäftigt, uns digital zu exponieren, das sind aber nur Symbole auf einem Bildschirm. Ein solch isoliertes, einsames Individuum ist natürlich sehr manipulierbar und handelt mehr vom Bauch her. Es freut sich über jeden Rettungsring, der ihm zugeworfen wird - sei es auch von den Populisten. Ich schlage vor, in Bildung zu investieren.
Sie reisen sehr viel durch Rumänien, kommen mit vielen Menschen in Berührung. Wie beurteilen Sie die jetzige Situation in dem Land?
Aus den Gesprächen, die ich mit Freunden, die auch Journalisten sind, führe, geht eine große Unzufriedenheit hervor, ein Gefühl der Ohnmacht. Es ist ein Teufelskreis. Egal, was man tut, man landet wieder bei Lügen und Korruption. Wenn sich dieses Gefühl in die Mitte einer Gesellschaft einschleicht, dann ist es sehr gefährlich. Denn dann denken noch mehr, dass man nur durch Korruption vorwärts kommt. Ansonsten gibt es kaum Perspektiven, man möchte nur raus. Unter den Jugendlichen wollen sehr viele ihr Land verlassen. Es gibt bereits einen Aderlass - an Ärzten, Krankenschwestern, Informatikern usw. Apathie ist zu spüren. Und diese kommt nur denen zugute, die ungestört regieren wollen.
Das Gespräch führte Medana Weident.