Schrecksekunde für Thailänds Militär
11. Februar 2019Die an unerwarteten Wendungen nicht arme thailändische Politik kennt seit Freitag letzter Woche eine neue Eskapade. Prinzessin Ubolratana erklärte, kurz bevor die Frist dafür ablief, sie wolle als Spitzenkandidatin für das Amt der Premierministerin bei den Wahlen im kommenden März kandidieren. Und zwar für die Thai Raksa Chart-Partei, die der im Putsch von Mai 2014 gestürzten Familie Shinawatra zugeordnet wird. Chef der Familie ist seit Jahren im Exil lebenden Ex-Premiers Thaksin. Am selben Abend erklärte Ubolratanas Bruder, König Vajiralongkorn, die Kandidatur seiner Schwester für ungültig, worauf die Thai Raksa Chart-Partei die sensationelle Kandidatur der Prinzessin sofort annullierte.
Aber der Reihe nach: Die Ankündigung war brisant, gefährdete sie doch die von der Militärregierung unter Premierminister und Ex-General Prayuth Chan Ocha sorgfältig geplante Übernahme der politischen Kontrolle des Landes. Die per Referendum 2017 vom Volk angenommene neue Verfassung sieht bei den Wahlen nämlich vor, dass die Nationalversammlung den neuen Premier mit einfacher Mehrheit vorschlagen kann. Der König muss ihn dann noch ernennen.
Rechnung durchkreuzt
Dabei hat das Militär eine Art Rückversicherung eingebaut. Die Nationalversammlung hat insgesamt 750 Sitze: 250 Senatoren und 500 Abgeordnete. Die 500 Abgeordneten werden vom Volk in den Wahlen Ende März gewählt. Die 250 Senatoren aber werden durch ein von der Militärregierung eingesetztes Komitee bestimmt. Das bedeutet: Die Militärregierung geht bei den Wahlen mit einem Vorsprung von 250 Sitzen ins Rennen, um den neuen Premier und die Regierung zu bestimmen. Zusammen mit den Stimmen der promilitärischen Parteien, allen voran die Palang Pracharat Partei, sollte das ausreichen, um den Wunschkandidaten des Militärs ins Amt zu hieven.
Die Kandidatur der landesweit beliebten Prinzessin Ubolratana stellte diese Rechnung aber infrage. Das Ansehen der Prinzessin und der Einfluss der weiterhin vor allem in Thailands ärmerem Norden und Nordosten beliebten Shinawatras hätten möglicherweise ausgereicht, um mit einem Parteienbündnis die Stimmenmehrheit in der Nationalversammlung zu erreichen. Außerdem wäre in Thailand ein Wahlkampf gegen ein Mitglied der Königsfamilie nur mit angezogener Handbremse möglich, da ihr traditionell und aufgrund der Gesetze Respekt entgegengebracht werden muss.
Das große Rätselraten
Die Nachricht kam – obwohl zwei Tage zuvor die Gerüchteküche in Bangkok brodelte - derart überraschend, dass vielen ausländischen Experten und selbst thailändischen Journalisten eine Einordnung schwer fiel. Der Vizepremierminister der Militärregierung verweigerte nach der Ankündigung jede Stellungnahme.
Der Schritt war auch deshalb so irritierend, da er einen Bruch mit der königlich-buddhistischen Tradition darstellte. Der in Thailand vorherrschende Theravada-Buddhismus kennt eine strenge Trennung von weltlicher und spiritueller Sphäre. Politik und insbesondere Parteipolitik mit ihren Machtkämpfen und Ränken gilt vielen Gläubigen als schmutzig. Jeder gute Buddhist macht folglich einen weiten Bogen um die Politik. Der König, der auch der oberste Schutzherr des Buddhismus ist, hält sich folglich aus der Tages- und Parteipolitik heraus, obwohl er zweifelsohne ein bedeutender politischer Machtfaktor ist, aber eben nur im Hintergrund.
Position des Königshauses
Die zentrale Fragen lauteten also: Wie lässt sich die Kandidatur mit der Monarchie vereinbaren? Und wie steht der König Maha Vajiralongkorn dazu?
Die Antwort auf die erste Frage lautete, dass die Prinzessin, die 1972 einen Amerikaner geheiratet hatte und damals auf ihren königlichen Status hatte verzichten müssen, nicht mehr den traditionellen Maßstäben der Königsfamilie unterstand.
Bezüglich der zweiten Frage gingen fast alle Beobachter davon aus, dass ein derartiger Schritt mit dem König abgesprochen sein musste. Doch dann platzte am späten Abend des gleichen Tages (Freitag) die zweite Bombe: In der Nacht wurde im Fernsehen per königlichem Dekret erklärt, dass "das Engagement eines hochrangigen Mitglieds der Königsfamilie in der Politik, welcher Art auch immer, mit den Traditionen, Gebräuchen und der Kultur des Landes unvereinbar sei und demnach unangemessen."
Die kurze Episode beweist, dass der innerthailändische Machtkampf und die Spaltung des Landes, den die Militärregierung ihren eigenen Verlautbarungen nach schließen wollte, weiterhin besteht. Offensichtlich reicht er bis ins Königshaus hinein, welches bisher immer Garant und Symbol für die nationale Einheit war. Zugleich hat König Vajiralongkorn, der sechs Wochen nach den Wahlen gekrönt werden soll, seinen Machtanspruch noch einmal untermauert, indem er seine Schwester umgehend und erfolgreich in die Schranken gewiesen hat.
Folgen für die Wahlen
Der seit Jahrzehnten andauernde Teufelskreis trat am Freitag – vielleicht zum letzten Mal – in aller Deutlichkeit zutage. Auf politische Wahlen, die das Thaksin-Lager seit Jahren gewinnt, folgt ein Putsch. Nach dem Putsch bemühen sich die konservativen Kräfte aus Königshaus, Beamten und Militär um Reformen, die das politische System zu ihren Gunsten umformen, ohne allerdings den demokratischen Anspruch ganz aufzugeben. Dann kommt es zu Wahlen, die Thaksin mit einer umgetauften Partei bisher immer für sich gewinnen konnte.
Dieses Mal wollte das Militär es besser machen, aber die Kandidatur der Prinzessin hätte die Pläne der Junta beinah durchkreuzt. Thaksin ist weiterhin sehr kreativ, wenn es um die eigene Macht geht, allerdings hat es den Anschein, dass er dieses Mal zu hoch gepokert hat. Der Schaden für die Reputation seiner Partei durch das riskante Manöver ist immens. Nicht bei seiner Kernwählerschaft, aber bei den unentschiedenen Wählern, die er gebraucht hätte, um die Mehrheit in der Nationalversammlung zu erringen. Die Aussichten des Militärs bei den Wahlen am 24. März zu gewinnen, sind damit besser als noch am Freitag.