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Politik

Schreckgespenst Unabhängigkeit

Yuhan Zhu
7. März 2017

Die Wahl des neuen Hongkonger Regierungschefs wird nach Pekings Vorstellungen ablaufen. Dennoch malt man dort das "Schreckgespenst" der Unabhängigkeit Hongkongs an die Wand, wie China-Experte Joseph Cheng erläutert.

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China Neujahresproteste in Hongkong
Bild: picture alliance/dpa/Kyodo

Deutsche Welle: In seinem Rechenschaftsbericht vor dem Volkskongress hat der chinesische Ministerpräsident Li Keqiang zum ersten Mal den Begriff "Gang Du", also die Unabhängigkeit Hongkongs, benutzt. Er warnte davor, dass in Hongkong junge Menschen mit der Abspaltung liebäugeln. Wie interpretieren Sie seine Aussage, kurz vor der Wahl des neuen Hongkonger Verwaltungschefs am 23. März?

Joseph Yu-Shek Cheng Politikwissenschaftler
Jeseph ChengBild: Privat

Joseph Cheng: Das ist das erste Mal, dass die chinesische Führung in so einem wichtigen Dokument die Strömung in der Hongkonger Bevölkerung, die mit der Unabhängigkeit sympathisiert, klar benennt. Das zeigt, dass sie der Problematik große Bedeutung beimisst.

Die meisten Einwohner Hongkongs sind sich allerdings dessen bewusst, dass Unabhängigkeit kein gangbarer Weg ist. "Gang Du" ist für viele junge Menschen vielmehr Ausdruck ihrer Frustration über die Politik in der Sonderverwaltungsregion Hongkong.

Peking erhofft sich durch diesen Begriff in offiziellen Dokumenten gute Argumente gegen die von den Hongkonger Demokraten geforderten direkten Wahlen des Regierungschefs. Peking will damit sagen: Schaut mal, einige Anhänger von "Gang Du" sind durch direkte Wahlen ins Hongkonger Stadtparlament gewählt worden, deswegen kann der Verwaltungschef nicht allgemein und direkt gewählt werden. Deswegen interpretiere ich die Aussage der chinesischen Führung über "Gang Du" als Angstmacherei und Legitimation für weitere Einmischung.

Hong Kong Legislativrat - Protest gegen China
Yau Wai Ching, gewählte Anhängerin von "Gang Du", wurde vom Obersten Gericht Hongkongs aus dem Legislavrat ausgeschlossen, nachdem Peking eine Interpretation des Grundgesetzes beschlossen hatteBild: Reuters/B. Yip

Peking warnt schon immer gebetsmühlenartig vor Unabhängigkeit Taiwans ("Tai Du") und Tibets ("Zang Du"). Jetzt fast in einem Atemzug auch vor "Gang Du". Was bedeutet das für Hongkong?

Jetzt schlägt Peking Alarm, indem es das Schreckgespenst der Unabhängigkeit Hongkongs an die Wand malt. Damit könnte Peking erneut versuchen, Gesetze zur inneren Sicherheit in Hongkong auf den Weg zu bringen, wie sie in Artikel 23 des Hongkonger Grundgesetzes vorgesehen sind.

Artikel 23 sieht unter anderem Strafklauseln gegen "Untergrabung des Staatsgewalt", "Subversion" und "Verrat von Staatsgeheimnissen" vor. Diese Gesetzgebung war 2003 am Widerstand der Hongkonger gescheitert. Damals gingen 500.000 Menschen auf die Straße. Befürchten sie, dass die entsprechenden Gesetzesvorhaben erneut eingeleitet werden?

Genau das befürchte ich. Wir haben im Moment drei Kandidaten für das Amt des Verwaltungschefs. Alle drei haben signalisiert, sie würden diese Gesetzesvorhaben wieder auf den Weg bringen.

Hong Kong Wahlen Carrie Lam Kandidatin
Pekings Wunschkandidatin Carrie LamBild: picture-alliance/empics/Y. Mok

Wie nimmt Peking jetzt Einfluss auf die Wahlen des Nachfolgers vom scheidenden Verwaltungschef  Leung Chun-ying?

Als einzige Kandidatin erhält Carrie Lam Cheng Yuet-nogr Unterstützung aus Peking bei ihrem Wahlkampf. Sie war die Leiterin der städtischen Verwaltung. Zhang Dejiang, Vorsitzender des Nationalen Volkskongresses, hat auf der Sitzung mit den Hongkonger Delegierten klargemacht, dass Peking hohe Ansprüche an den nächsten Verwaltungschef oder die nächste Verwaltungschefin stelle.

Wenn ich meine Hongkonger Brille aufsetze, bedeutet diese Aussage die Nicht-Unterstützung des anderen Kandidaten John Tsang Chun-wah. Tsang war zwar jahrelang Stadtkämmerer und hat reichliche politische Erfahrungen. Volles Vertrauen von Peking hat er allerdings nicht.

Die Menschen in Hongkong glauben, dass das geltende Wahlsystem, nach dem der Verwaltungschef von einer Kommission und nicht von den Wählern direkt gewählt wird, nicht demokratisch ist. Nun mischt sich offensichtlich die Pekinger Regierung ein. Das ist enttäuschend. Übrigens zeigen auch die jüngsten Umfragen, dass Pekings Wunschkandidat nicht von der Mehrheit der Wählerinnen und Wähler unterstützt wird.

Joseph Yu-shek Cheng ist emeritierter Politikprofessor an der City University of Hongkong. Er war von 1992 bis 2015 Koordinator des Forschungsprojekts Contemporary China.

Das Gespräch führte Zhu Yuhan.