Unabhängig - früher oder später
14. Oktober 2015In der Vergangenheit hielt die Schottische Nationalpartei (SNP) ihre Parteitage immer in kleinen schottischen Städten ab: Dunoon, Oban, sogar im winzigen Rothesay mit seinen knapp 5000 Einwohnern auf der Isle of Bute.
Doch die Zeiten haben sich geändert. In dieser Woche trifft sich die SNP in der schicken Umgebung des weitläufigen Aberdeen Exihibition and Conference Centre. Anders als bei anderen politischen Konferenzen sind Eintittskarten schwer zu bekommen. Die schottischen Nationalisten haben mittlerweile mehr als 110.000 Mitglieder, viermal mehr als vor einem Jahr, als die Schotten über die Unabhängigkeit abstimmten. Damals waren 55 Prozent gegen die Abspaltung von Großbritannien, 45 Prozent dafür.
In Aberdeen wird es keine formelle Debatte über eine neue Unabhängigkeitsabstimmung geben - trotz der Versuche von Mitgliedern der Parteibasis, das Thema auf die Agenda zu setzen. Die Frage der Unabhängigkeit beschäftigt viele Delegierte jedoch weiterhin.
Der Druck auf die erste Ministerin Schottlands und Vorsitzende der SNP, Nicola Sturgeon, ist groß, die Forderung nach einem zweiten Referendum ins Parteiprogramm für das kommende Jahr aufzunehmen. Umfragen zeigen, dass die Zustimmung für eine Abspaltung zuletzt anstieg. "Ich glaube nicht, dass sich die Menschen zufrieden geben, die [im September 2014] für die Unabhängigkeit gestimmt haben", sagt Natalie McGarry, Abgeordnete der SNP im britischen Unterhaus. "[Die Unabhängigkeit] bleibt weiterhin ganz oben auf der Agenda, aber gleichzeitig müssen wir akzeptieren, dass wir eine demokratische Wahl hatten, die wir verloren haben."
Langsam angehen lassen
Was die Unabhängigkeit betrifft, verfolgt die SNP schon seit langem eine Strategie der kleinen Schritte: Zunehmende Unterstütznung der Wähler bei gleichzeitiger Stärkung des Regionalparlaments in Edinburgh. Ein neues Referendum ist unwahrscheinlich, solange die Nationalisten nicht sicher sind, dass sie es gewinnen.
Sturgeon betont, nur eine "grundlegende Veränderung" der konstitutionellen Stellung Schottlands könne ein neues Referendum notwendig machen, beispielsweise bei einem EU-Austritt Großbritanniens, über den bis Ende 2017 abgestimmt werden soll. Ansonsten lehnt Sturgeon eine zweite Befragung kategorisch ab.
Die Abgeordnete McGarry sieht das auch so. "Etwas muss sich fundamental ändern, sodass die kostitutionellen Bedingungen nicht mehr dieselben sind, wie letztes Jahr." Allerdings könne die konservative Regierung in Westminster, die wenig Unterstützung in Schottland hat, "Dinge tun, die ein zweites Referendum nötig machen."
Ob es neue Abstimmung über die Abspaltung gibt, wird auch davon abhängen, ob die SNP bei den schottischen Parlamentswahlen im nächsten Jahr zum ersten Mal in ihrer Geschichte die absolute Mehrheit verteidigen kann. Die Nationalisten führen in den Umfragen, trotz einiger Probleme, wie etwa der Austritt der Abgeordneten Michelle Thomson aus der Partei, der unlautere Geschäfte im Immobiliensektor vorgeworfen werden.
Dass solche negativen Schlagzeilen keinen Einfluss auf die Beliebtheit der SNP haben, zeigt die fundamentale Veränderung in der schottischen Politik seit dem Referendum im letzten Jahr. Die Unterstützung für die Nationalisten steigt, hauptsächlich auf Kosten der einst dominanten Labour-Partei.
Jenseits der Parteibindung
"Das Unabhängigkeitsreferendum 2014 war ein politischer Moment, der Schottland in den letzten 300 Jahren am stärksten umgestaltet hat", sagt der politische Kommentator Iain Macwhirter. "Er markiert den Anfang vom Ende der Union von 1707, die Vertiefung einer eindeutigen schottischen politischen Kultur und das Ende der politischen Dominanz der Labour-Partei in Schottland."
Für die SNP ist der Wandel tiefgreifend. Die Partei wurde 1934 gegründet als Fusion der Nationalen Partei Schottland und der Schottischen Partei, zwei kleineren Parteien. In der anschließenden britischen Parlamentswahl kämpfe die neu gegründete Partei um acht Sitze - und gewann keinen einzigen.
Jahzehntelang kämpfte die SNP um politischen Einfluss. Dann, 1967, schockierten die Nationalisten das Etablishment: Sie gewannen in einer Nachwahl den Wahlkreis Hamilton, der bis dahin fest in Labour-Hand gewesen war.
In den 1970er Jahren ging die SNP mit dem Slogan "Das ist Schottlands Öl" in den Wahlkampf. Die Partei wollte mit der Ausbeutung der gerade entdeckten Erdölreserven in der Nordsee die Basis für eine Unabhängigkeit Schottlands legen. Das führte jedoch nicht zu einem Stimmenzuwachs.
Der Aufbau eines teilweise eigenständigen schottischen Parlamentes 1997 erwies sich schließlich als Wendepunkt im Schicksal der SNP. Die Partei konnte nach den Regionalwahlen 2007 eine Minderheitsregierung gründen. 2011 erreichten die Nationalisten die absolute Mehrheit und damit die Chance, den Traum eines Unabhängigkeitsreferndums zu verwirklichen.