Schottland: Hitzige Debatte um Hassrede-Gesetz
5. April 2024Beleidigungen, Anfeindungen, Hassreden - im öffentlichen Raum und in den Sozialen Netzwerken sind sie ein großes Problem. Weltweit versuchen Regierungen daher, mit gesetzlichen Regelungen stärker gegen solche Phänomene vorzugehen - in Deutschland etwa mit dem "Netzwerkdurchsetzungsgesetz".
Auch das Europaparlament fordert EU-weit eine stärkere Verfolgung von Hassverbrechen. Da klingt es erst einmal nach einer guten Idee, dass auch die schottische Regierung eine Verschärfung der bisherigen Regelungen auf den Weg bringt.
Welche Regelung gilt in Schottland?
Seit dem 1. April ist der so genannte "Hate Crime and Public Order (Scotland) Act" in Kraft. Damit werden nicht mehr nur rassistisch motivierte Taten und Aufrufe zum Hass in Schottland unter Strafe gestellt - ein Gesetz hierzu gibt es in Großbritannien schon seit den 1980er-Jahren. Nun macht sich auch strafbar, wer Hass aufgrund von Alter, Behinderung, Religion, sexueller Orientierung oder Transgender-Identität schürt. Im schlimmsten Fall drohen bis zu sieben Jahre Haft.
Opferverbände und LGBTQ-Aktivisten begrüßten die Einführung. Siobhian Brown, die für den Opferschutz zuständige schottische Ministerin, sagte, das neue Gesetz werde dazu beitragen, "sicherere Gemeinschaften aufzubauen, die frei von Hass und Vorurteilen leben". Das Gesetz sei ein "wesentliches Element" zur Bekämpfung der teils "traumatischen Auswirkungen physischer, verbaler oder online getätigter Angriffe" auf viele Menschen.
In ganz Schottland wurden mehr als 400 Meldestellen eingerichtet, an denen - teils auch anonym - Beschwerden über Hassverbrechen abgegeben werden können: in Polizeistationen und auf der Webseite der schottischen Polizei, aber auch in Rathäusern, Cafés, Unis oder bei zivilgesellschaftlichen Organisationen. "Schottlands Polizei nimmt alle Hassverbrechen ernst", heißt es auf ihrer Webseite. "Wir wollen, dass ihr sie meldet!"
Enormer Ansturm bei Schottlands Polizei
Zahlreiche Schotten sind dieser Aufforderung bereits nachgekommen. Rund 4000 Anzeigen, meldeten britische Medien, seien in den ersten beiden Tagen seit Inkrafttreten des Gesetzes bei der Polizei eingegangen.
Kritiker des Gesetzes befürchten, dass die Polizei dem Ansturm nicht gewachsen sein könnte. Jede Beschwerde muss gewissenhaft geprüft werden. Die Scottish Police Federation bemängelte jedoch, ihre Polizisten hätten bislang lediglich eine zweistündige Online-Schulung bekommen, um die eingehenden Anzeigen bewerten zu können.
Erst vor gut einem Monat hatte Schottlands Polizei ein Pilotprojekt verkündet, demzufolge kleinere Delikte wie Ladendiebstähle, Einbrüche oder Fälle von Vandalismus nicht mehr in jedem Fall verfolgt würden - um ihre Beamten vor Überlastung zu schützen. Dies alles veranlasste David Kennedy, den Generalsekretär der Scottish Police Federation, gar zu der Aussage, das nun in Kraft getretene Hassrede-Gesetz könne "das Vertrauen in die Polizei zerstören".
Provokantes Statement - oder Hassrede?
Auch zahlreiche Oppositionspolitiker und Prominente liefen in den vergangenen Wochen Sturm gegen das neue Gesetz. Dessen schwerwiegendstes Problem sei es, dass es keine genaue Trennlinie ziehe, wann eine Aussage noch als "provokantes Statement" gelte und ab wann sie die Grenze hin zu einer strafbaren Hassrede überschreite.
Ein Hassverbrechen, heißt es auf der Webseite der schottischen Polizei, sei "jede Straftat, die aus Sicht des Opfers oder irgendeiner anderen Person (ganz oder zum Teil) motiviert ist durch Boshaftigkeit oder Böswilligkeit gegenüber einer sozialen Gruppe." Wie das jedoch rechtlich umzusetzen ist, scheint auch den schottischen Abgeordneten nicht eindeutig klar zu sein. "Es gibt keine einzelne akzeptierte Definition von Hassverbrechen", heißt es in einem Memorandum des Parlaments in Edinburgh zu dem neuen Gesetz.
Brown hatte in einem BBC-Interview Ende März für Aufsehen gesorgt, als sie erklärte, es sei nicht ausgeschlossen, dass bereits das sogenannte Misgendern strafrechtlich verfolgt werden könne - also das absichtliche Zuordnen einer Trans-Person zu einem Geschlecht, das nicht ihrer selbst gewählten Identität entspricht.
Es ist nicht zuletzt diese Rechtsunsicherheit, die die Kritiker des Gesetzes auf den Plan ruft, weil sie eine Beschneidung ihrer Meinungsfreiheit befürchten. Zu ihnen gehören etwa strenggläubige Christen und Muslime aufgrund ihrer konservativen Ansichten über Frauen, Transgender oder Homosexualität.
Feministinnen gegen Transgender
Ein besonders erbitterter Streit tobt jedoch seit Tagen im Internet zwischen einer Reihe genderkritischer Feministinnen und verschiedenen Transgender-Aktivisten. Diese Feministinnen sprechen Menschen, die als biologisch männlich geboren wurden, das Recht ab, sich als Frau zu definieren und kritisieren, dass Schutzräume für Frauen durch eine Ausweitung von Transgender-Rechten ausgehöhlt werden könnten.
Zudem kritisieren sie, dass ausgerechnet Frauen nicht zu den Personengruppen gehören, die durch das neue Gesetz geschützt werden sollen. Die schottische Regierung hatte jedoch angekündigt, ein eigenes Gesetz gegen Frauenhass auf den Weg zu bringen.
Zu einer Wortführerin auf Seiten der Feministinnen hat sich dabei die Harry-Potter-Autorin Joanne K. Rowling aufgeschwungen. Rowling hatte in der Vergangenheit schon mehrfach mit transphoben Äußerungen auf sich aufmerksam gemacht. Sie befürchtet durch das neue Gesetz einen "Verstummungseffekt": Menschen mit abweichenden Meinungen würden sich nun kaum noch trauen, ihre Meinung kundzutun - aus Sorge, sich damit eventuell strafbar zu machen.
Sie selbst ist von diesem angenommenen Effekt offensichtlich nicht betroffen. Am Montag hatte Rowling einen langen Text auf der Social-Media-Plattform X veröffentlicht, in dem sie das neue Gesetz und Transgender-Menschen heftig kritisierte. Gleichzeitig erklärte sie, dass sie sich darauf freue, bei ihrer Rückkehr nach Schottland für ihren Post verhaftet zu werden.
"Sehr hohe Schwelle"
Mitglieder der schottischen Regierung waren in den vergangenen Tagen sichtlich darum bemüht, die Wellen der Empörung zu glätten. Es habe "viele Falschinformationen rund um das Gesetz" gegeben, sagte Ministerin Brown. Und Premierminister Humza Yousaf sprach von einer "sehr hohen Schwelle", ab der das Gesetz tatsächlich greifen würde.
Immerhin: Seinen ersten Belastungstest hat der neue "Hate Crime Act" bereits hinter sich. Rowling, teilte die schottische Polizei am Mittwoch mit, werde für ihre Äußerungen nicht strafrechtlich belangt.