Scholz, Laschet, Baerbock? Kümmert es die EU?
23. September 2021Offizielle Äußerungen amtierender Regierungschefs- oder -chefinnen in der EU gibt es keine, dafür aber viele, teils wilde Spekulationen von Denkfabriken, Eingeweihten und Gutinformierten, wer für das eine oder andere Land besser als Kanzler passen würde: Angela Merkels bisheriger Finanzminister Olaf Scholz (SPD) oder Merkels eigener Favorit Armin Laschet (CDU) oder gar die eher chancenlose Anti-Merkel-Kandidatin Annalena Baerbock (Grüne). Europapolitik spielte im Wahlkampf und bei den eher lahmen Fernseh-Triellen keine Rolle. Was die drei so vorhaben, wenn sie an die Macht kämen, bleibt schemenhaft für die EU.
Frankreich
Emmanuel Macron (Frankreich) kann sich freuen. Bis der neue Kanzler in Deutschland seine Koalition stehen hat, wird der französische Präsident zweifellos der mächtigste Politiker in der EU sein. Er wird turnusgemäß Ratspräsident im ersten Halbjahr 2022 und steht dann selber im Kampf um seine Wiederwahl im April 2022. Die künftige Alt-Kanzlerin Angela Merkel hatte Macron mit seinen großen europäischen Visionen ziemlich zappeln lassen. Ein Ausbau der Institutionen und ein lockere Fiskalpolitik waren mir ihr nicht zu machen. Nur bei der sensationellen Wende hin zu gemeinsamen Schulden der EU zum Aufbau nach der Corona-Krise arbeiteten die beiden so unterschiedlichen Charaktere Hand in Hand zusammen. Mit Olaf Scholz dürfte es vielleicht ein wenig leichter sein, gemeinsam Geld auszugeben. Schließlich rühmt sich Scholz, der eigentliche Erfinder des Corona-Aufbaufonds auf Schuldenbasis zu sein. Auch Macrons Idee von der notwendigen europäischen "Souveränität" bei Verteidigung, Industriepolitik oder dem Klimaschutz teilt Scholz.
Das tut aber auch Armin Laschet. Der CDU Kandidat besuchte im Wahlkampf wie Scholz den Elyseepalast und rühmte sich selbst als eine Mischung aus Macron und Merkel. Paris sei ihm als Mann aus Aachen im äußersten Westzipfel Deutschlands näher als Berlin. Der französische Europaminister Clement Beaune gab am Dienstag noch den ewig gültigen Lehrsatz für die deutsch-französische Lokomotive in der EU zu Protokoll: "In Europa bist du niemals alleine stark...Wir können nicht ohne Deutschland, Deutschland kann nicht ohne uns." Das heißt übersetzt wohl, egal wer Kanzler(in) wird, Paris und Berlin werden zusammenarbeiten. Kandidatin Baerbock hatte übrigens keine Lust, nach Paris zu reisen. "Der Elysee ist kein Ort für Wahlkampf", ließ sie verlauten. Manche munkeln, sie sei auch gar nicht eingeladen gewesen.
Polen
Mateusz Morawiecki (Polen) wird sich wohl ärgern, dass die Ära Merkel zu Ende geht und nun vielleicht ein härterer Wind in Sachen Rechtsstaatlichkeit und Werte aus Berlin nach Osten wehen könnte. Der polnische Ministerpräsident von der nationalkonservativen PiS liegt im Dauerstreit mit der EU-Kommission und dem Europäischen Gerichtshof, weil die Justizreformen in Polen europäischem Recht widerspricht. Der ehemalige Berater von Morawiecki, der Philosoph und Lobbyist Tomasz Krawczyk, sagte der DW, für Warschau würde es jetzt schwerer, weil die neue Regierung in Berlin, egal welcher Couleur, weniger Rücksicht nehmen werde. Merkel sei eine "Polen-Versteherin" mit ausgleichendem Gemüt gewesen. Die EU-Kommission habe in Berlin wohl bald einen härteren Verbündeten, mutmaßte Krawczyk. Der CDU-Kandidat Armin Laschet hat Polen im Wahlkampf besucht und irgendetwas unspezifisches von "praktischen Lösungen" im Streit um die Rechtsstaatlichkeit gemurmelt.
Die grüne Annalena Baerbock würde sicher den harten Kurs ihrer grünen Kollegen im Europäischen Parlament gegen die in Polen zunehmend LGBTQ-feindliche Politik unterstützen. Ideal wäre Baerbock aber für den PiS-Premier auf einem anderen Feld. Sie ist gegen die von Polen strikt abgelehnte deutsch-russische Gaspipeline Nord Stream 2. Laschet will sie in Betrieb nehmen. Scholz schwurbelt von "fertig bauen, aber eigentlich braucht man sie nicht unbedingt".
Die erwartungsfrohen Sechs
Die sozialdemokratischen Regierungschefs- und chefinnen von Schweden, Finnland, Dänemark bis hin nach Malta, Spanien und Portugal würden jubilieren, wenn Olaf Scholz nach 16 Jahren schwarz Deutschland auf rot schalten würde. Das wäre ein großer Schub für die in den letzten zehn Jahren schwer gebeutelten europäischen "Sozis", die langsam wieder aufsteigen. Für die acht konservativen Regierungschefs wäre es umgekehrt genauso bedauerlich, wenn das größte Land der EU nicht mehr von einem Christdemokraten geführt würde.
Die Menschen
Und der Europäer an sich? Nach einer Umfrage der Denkfabrik "European Council on Foreign Relations" liebte eine Mehrheit der befragten Europäer ihre EU-Krisenmanagerin Angela Merkel, weil sie für Verlässlichkeit stand. Von Deutschland erwarten die Befragten mit einer neuen Regierung ebenfalls Verlässlichkeit und zurückhaltende Finanzpolitik. Insgesamt sehen die Europäer nach dieser Erhebung aber das "Goldene Zeitalter" Deutschlands zu Ende gehen.
Der Experte
Wie denkt man in Brüssel? Deutschland bleibt der größte, wirtschaftlich leistungsfähigste und einflussreichste Mitgliedsstaat, egal wer im Kanzleramt sitzt. Es werde keinen großen dramatischen Bruch in der deutschen Europapolitik geben, glaubt der Direktor der Denkfabrik "European Policy Centre", Janis Emmanouilidis im DW-Gespräch. "Es wäre ja schön, wenn es eine Idee gäbe, in welche Richtung sich die EU bewegen soll. Orientierung wäre wünschenswert. Ich bin leider nicht sehr zuversichtlich, dass die von der neuen Regierung in Berlin kommen wird." Bei den deutschen EU-Beamten herrscht pragmatische Gelassenheit vor. Erst einmal gehe die Arbeit normal weiter, egal wer die Wahl gewinne. Die großen Entscheidungen werden verschoben, bis die neuen Leute sich eingearbeitet haben und dann werde man weitersehen.