Schockstarre nach Trumps Antrittsrede
21. Januar 2017Fortan werden die Vereinigten Staaten sich vorwiegend um die eigene Achse drehen: So könnte man die Antrittsrede des 45. US-Präsidenten Donald Trump zusammenfassen. Die nationalen Egoismen, die sich in Washington ankündigen, rufen in der Welt ganz unterschiedliche Reaktionen hervor - aber auch im Land selbst.
Während sich vielerorts Schockstarre breitmacht, weil der polternde Milliardär auch nach dem Amtseid, den er auf zwei Bibeln geschworen hatte, so sprach, als befände er sich weiter im Wahlkampf, zeigt sich einer demonstrativ gelassen: Wladimir Putin.
"Er ist nicht unser Mann - er ist Amerikaner"
Der Kreml-Herrscher tritt nicht selbst vor die Mikrofone; er lässt seinen Sprecher Dmitri Peskow verkünden, was Moskau in diesem historischen Moment zu sagen hat. Der russische Präsident werde Trump "in den kommenden Tagen" zu dessen Amtsübernahme gratulieren. Und ja, Putin sei bereit, seinen neuen US-Kollegen zu treffen - die Vorbereitungen dafür würden allerdings nicht Tage, sondern Monate in Anspruch nehmen. Im übrigen gelte: "Er ist nicht unser Mann. Er ist Amerikaner."
Auch mehrere deutsche Stimmen heben sich vom Chor der Angstvollen deutlich ab. Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte, das transatlantische Verhältnis werde in den kommenden Jahren "nicht weniger wichtig, als es in der Vergangenheit war". Bei Meinungsverschiedenheiten ließen sich Kompromisse immer am besten finden, wenn man sich "im Respekt miteinander austauscht", so Merkel.
Wolfgang Schäuble, der vor drei Jahrzehnten sein erstes Ministeramt übernahm und seither fünf US-Präsidenten kommen und gehen sah, sagte mit Blick auf den sechsten Herrn des Weißen Hauses: "Wir haben eine bewegte Zeit, aber man darf nicht den Fehler machen, stets das Hier und Jetzt zu überschätzen."
"Jede Zeit hat ihre Probleme"
Im "Spiegel"-Interview hatte Schäuble kurz den Volksaufstand in Ungarn 1956, die Suezkrise mit drohenden Atomangriffen auf Paris und London und die Kubakrise von 1962 Revue passieren lassen, um dann lakonisch anzufügen: "Jede Zeit hat ihre Probleme, auch die heutige." Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel erklärte, man müsse Trump ernst nehmen - denn der meine es "bitter ernst". Zugleich mahnte er: "Wir dürfen weder unterwürfig sein noch Angst haben."
In den USA selbst treiben die ersten Signale des neuen Amtsinhabers dessen Gegner auf die Straße. Hunderttausende Demonstranten kamen in Washington zusammen, um dem neuen Präsidenten zu zeigen, dass sie seine Politik nicht stützen: Verfechterinnen der Frauenrechte, die Trump rhetorisch mit Füßen getreten hatte; Anhänger der Sozialpolitik seines Vorgängers Barack Obama, dessen Gesundheitsreform der Nachfolger bereits demontiert; Kämpfer für religiöse Toleranz und gegen Rassismus.
Dekret gegen "Obamacare"
Noch am Abend seiner Vereidigung hatte Trump begonnen, die Politik seines Vorgängers Barack Obama rückgängig zu machen. So unterschrieb er in einer seiner ersten Amtshandlungen eine Anordnung, mit der die Gesundheitsreform rückgängig und die flächendeckende Gesundheitsvorsorge in den USA abgeschafft werden könnte.
Das von Trump und seiner republikanischen Partei versprochene Ersatzinstrumentarium für "Obamacare" ist bisher nicht in Sicht. In den ersten Stunden der Präsidentschaft wurden der neue Verteidigungsminister James Mattis sowie Heimatschutzminister John Kelly vereidigt - beide sind ehemalige Generäle der US-Streitkräfte. Mattis steht für einen kritischeren Umgang mit Russland, als Trump ihn angekündigt hatte. Es sind die ersten beiden voll arbeitsfähigen Mitglieder des neuen Kabinetts.
Weltweiter Protest gegen Trump
Auf der anderen Seite des Pazifiks, in Australien, nahmen die weltweiten Anti-Trump-Kundgebungen ihren Auftakt. Tausende Menschen protestierten in Sydney und Melbourne gegen den erwarteten Kurs der Supermacht Nummer eins. Und auch das weltweite Presseecho spiegelt eine Mischung aus Sorge und Entsetzen.
"Von diesem Tag an wird unser Land von einer neuen Vision geleitet", hatte der frisch vereidigte Präsident in seiner betont nationalistischen Rede versprochen. Die spanische Zeitung "El País" antwortet darauf: "Wir wussten bereits, dass Trump nicht wie ein Präsident reden kann. Und wir bezweifeln, dass er in der Lage sein wird, wie einer zu handeln." Die liberale dänische Tageszeitung "Politiken" konstatiert: "Donald Trump ist das Symbol eines neuen Anfangs, dessen Ende viele fürchten."
jj/ml (dpa, afp, rtr)