Verliert Deutschland den Anschluss?
6. November 2013Das Internet ist aus dem Alltag vieler Menschen nicht mehr wegzudenken. 75 Prozent der über 14-jährigen Deutschen nutzen es. Das Netz gehört für die meisten von ihnen zur grundlegenden Infrastruktur, vergleichbar mit Strom und Wasser. Doch ob Arbeit, Verwaltung, Gesundheit oder Freizeit, die Internet-Anwendungen werden immer komplexer und die Datenraten explodieren. Wer im Netz im wahrsten Sinne des Wortes "unterwegs" sein will, der braucht eine hohe Übertragungsgeschwindigkeit.
Doch während in den Ballungsräumen das Highspeed-Internet mit Übertragungsraten von bis zu 100 Megabit pro Sekunde (MBit/s) selbstverständlich ist, ist auf dem Land - angelehnt an das www in vielen Internet-Adressen - oft noch "welt-weites Warten" angesagt. Übertragungsraten von weniger als einem MBit/s sind in ländlichen Regionen keine Seltenheit und es gibt noch genug "weiße Flächen", also Gebiete, in denen überhaupt kein Internet zur Verfügung steht. Aus einer aktuellen Digitalisierungs-Studie des Forschungsinstituts TNS Infratest, die das Bundesinnenministerium und die IT-Beauftragten von fünf Bundesländern in Auftrag gegeben haben, geht hervor, dass derzeit nur jeder zweite Deutsche das Internet und seine Dienste auf der Basis von Breitbandverbindungen nutzen kann.
Fehlende Infrastruktur schreckt ab
Doch was ist eigentlich eine Breitbandverbindung? Als derzeitiges Mindestmaß wird eine Geschwindigkeit von zwei MBit/s angenommen. Das reicht aber lediglich, um Texte in einer Suchmaschine zu finden und E-Mails zu verschicken. Bei Bildern und Videos stößt diese Übertragungsrate bereits an ihre Grenzen.
Heike Raab, Staatssekretärin im Innenministerium des Landes Rheinland-Pfalz, bezeichnet daher alle Regionen in Deutschland als "unterversorgt", in denen die Bandbreite unter 16 Mbit/s liegt. "Es ist nicht hinnehmbar, dass in Deutschland so große Unterschiede in der Verfügbarkeit von schnellem Internet bestehen", kritisiert Raab.
Die SPD-Politikerin weiß um die Folgen des digitalen Ungleichgewichts. Kaum ein Unternehmen siedelt sich in einer ländlichen Region an, wenn es dort keinen Zugang zum schnellen Internet gibt. "Um in Deutschland gleiche Entwicklungschancen sowohl im ländlichen Raum als auch im urbanen Raum zu schaffen, müssen wir überall hohe Bandbreiten zur Verfügung stellen", fordert Raab.
Verfehlte Ziele
Genau das hatte die Bundesregierung mit ihrer im Februar 2009 gestarteten Breitbandstrategie beabsichtigt. Bis Ende 2014 sollten 75 Prozent aller Haushalte mit einer Bandbreite von mindestens 50 Mbit/s ausgestattet sein. Angesichts des bis jetzt Erreichten sei das jedoch auf keinen Fall mehr zu schaffen, meint Wilhelm Dresselhaus, Vorstandsvorsitzender von Alcatel-Lucent Deutschland, einem der weltweit führenden Hersteller und Anbieter im Bereich Telekommunikations- und Netzwerkausrüstung.
Während die Infrastruktur in den Großstädten so weit ausgebaut ist, dass theoretisch 75 Prozent aller Haushalte eine schnelle Verbindung nutzen könnten, sind es in den ländlichen Gebieten derzeit gerade einmal zehn Prozent. In einer europaweiten Studie, die untersucht, wie viele Europäer eine Übertragungsgeschwindigkeit von mindestens zehn MBit/s nutzen können, landet Deutschland gerade einmal auf Platz 22.
Warum aber geht der Ausbau nicht voran? "In ländlichen Gebieten gibt es keine wirtschaftlich tragfähigen Geschäftsmodelle, das rechnet sich nicht", sagt Alcatel-Vorstand Dresselhaus. In einer Kostenstudie zum Breitbandausbau hat der TÜV Rheinland im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums errechnet, dass es rund 20 Milliarden Euro kosten wird, die noch unterversorgten Gebiete in Deutschland mit mindestens 50 MBit/s ans Netz zu bringen. Für jeden zusätzlich anzuschließenden Haushalt gebe es einen Investitionsbedarf von 660 bis 810 Euro.
Wer soll das bezahlen?
Richtig teuer wird es, wenn 95 Prozent der Haushalte in Deutschland angeschlossen sein werden. Die letzten fünf Prozent der Haushalte ans schnelle Datennetz anzubinden, koste pro Haushalt rund 3800 Euro, das wären in der Summe 40 Prozent der gesamten Investitionen. Dabei sind allerdings schon alle Möglichkeiten eingerechnet, den Ausbau durch den Einsatz verschiedener Technologien wie beispielsweise Funkübertragung möglichst preiswert zu gestalten.
Würde man alle Haushalte in Deutschland mit schnellen Glasfaserkabeln versorgen wollen, würde das nicht 20 Milliarden, sondern 93 Milliarden Euro kosten.
Die Kunden an den Kosten zu beteiligen, das funktioniere in den seltensten Fällen, sagen die Netzbetreiber. Sie erteilen auch allen Diskussionen darüber eine Absage, ob man für den Internetzugang auf dem Land höhere Preise verlangen sollte als in der Stadt. Stattdessen sei der Staat in der finanziellen Pflicht. Ohne den Einsatz von Fördermitteln werde es in einigen Gegenden in Deutschland ansonsten keinen Ausbau des Internets geben.
Eine Milliarde jährlich zusätzlich
Dieser Meinung sind auch knapp 600 IT-Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung, die TNS Infratest für ihre Digitalisierungs-Studie "Digitales Deutschland 2020" befragt haben. "Eine flächendeckende Breitbandausstattung in Stadt und Land, sowohl für Privatpersonen als auch für Unternehmen sollte höchste Priorität haben. Der Staat darf sich aus dieser Aufgabe nicht herausziehen, der Staat ist gefordert", fasst Robert Wieland, Geschäftsführer von TNS Infratest das Ergebnis der Studie zusammen.
Die Politik hat das Problem sehr wohl erkannt. In ihren Koalitionsverhandlungen sind Union und SPD in der Arbeitsgruppe Wirtschaft zu dem Ergebnis gekommen, dass zusätzlich eine Milliarde Euro pro Jahr für den Ausbau des schnellen Internets bereitgestellt werden sollte. Wie alle Vorhaben der zukünftigen großen Koalition steht die Summe allerdings unter einem Finanzierungsvorbehalt.
Die Netzbetreiber hoffen sehr, dass die Förderung kommt. Anders sei die Finanzierungslücke nicht zu schließen. Die Unternehmen würden dadurch aber nicht bessergestellt, betont Markus Isermann von der Deutschen Telekom. "Deckungslückenförderung heißt immer auch, dass Unternehmen einen Teil dazuschießen müssen. Das ist immer eine Kostenteilung und es geht dabei nicht darum, dass Unternehmen etwas bezahlt bekommen."
Ziele von gestern
Glaubt man den von TNS Infratest befragten IT-Experten, dann sind die derzeit geführten Diskussionen allerdings schon nicht mehr auf dem neuesten Stand.
Die als Ziel definierte Übertragungsgeschwindigkeit von 50 MBit/s werde schon in fünf bis zehn Jahren nicht mehr ausreichend sein, heißt es in der Studie "Digitales Deutschland 2020". Stattdessen seien flächendeckende Internetverbindungen mit Übertragungsraten von 300 MBit/s und mehr erforderlich, um den immer komplexer werdenden Anwendungen wie beispielsweise Telearbeit oder elektronische Gesundheitsbetreuung zu genügen.
Die Kosten für den Ausbau würde die höhere Bandbreite allerdings deutlich nach oben treiben. Die IT-Experten beziffern sie auf 80 Milliarden Euro.