Schluss mit Streit, ab jetzt sozial
14. Juni 2013Nachdem die Linke im September 2009 mit 11,9 Prozent der Stimmen einen überraschenden Erfolg bei der Bundestagswahl feierte, hatte sie in den folgenden Jahren kaum noch Grund zum Jubeln. In deutschlandweiten Umfragen schwankt sie mittlerweile zwischen sechs und neun Prozent. Vor ziemlich genau einem Jahr, im Juni 2012, schrammte sie auf ihrem Göttinger Parteitag knapp an einer Spaltung vorbei. Zuvor hatte der Streit zwischen sogenannten Reformern oder Pragmatikern - meist aus dem Osten - und radikalen Antikapitalisten - meist aus dem Westen - die Partei mehr als drei Jahre lang gelähmt.
Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn räumt ein, man sei immer noch seit vergangenem Sommer "in einer permanenten Aufholjagd zu dem, was drei Jahre vorher versäumt worden ist". Das werde auch bis zur Bundestagswahl so bleiben, sagte der Linken-Politiker vor dem an diesem Freitag (14.06.2013) beginnenden Bundesparteitag in Dresden, auf dem das Wahlprogramm verabschiedet werden soll.
Bei ihrer Aufholjagd fehlt der Linken das frühere Zugpferd Oskar Lafontaine, dem die Erfolge im Westen wesentlich zu verdanken waren. Der 69-Jährige erklärte nach einer Krebserkrankung und zunehmenden Kontroversen über seinen scharf antikapitalistischen Kurs den Rücktritt von allen Ämtern in der Bundespartei. Er ist nur noch Fraktionsvorsitzender im Saarländischen Landtag. Vom Glamourpaar der deutschen Linken mischt deshalb nur noch der weibliche Teil, Lafontaines Lebensgefährtin Sahra Wagenknecht, in der Parteispitze mit, zuletzt vor allem im Streit um einen möglichen Ausstieg aus dem Euro.
Stark im Osten, schwach im Westen
Bei Landtagswahlen büßte die Linke seit 2011 die meisten der mühsam errungenen Sitze in den westdeutschen Länderparlamenten wieder ein. Bei der Bundestagswahl am 22. September muss sie die Schwäche im bevölkerungsreichen Westen mit ihrer traditionellen Stärke im Osten ausgleichen. Die könnte ihr allerdings im Notfall noch ins Parlament helfen, denn bereits drei Direktmandate in ostdeutschen Wahlkreisen würden die 5-Prozent-Sperrklausel außer Kraft setzen.
Das derzeitige Führungsduo Katja Kipping (ostdeutsch) und Bernd Riexinger (westdeutsch) hat es in seiner einjährigen Amtszeit immerhin geschafft, dass der Frieden hält, der in Göttingen zwischen den zahlreichen Flügeln und Strömungen geschlossen wurde. "Die Partei hat sich innerlich stabilisiert und bindet mit ihren klassischen Themen Soziales, Frieden und Osten weiterhin sechs bis acht Prozent der Wählerstimmen", sagt der Lüneburger Politikwissenschaftler Ralf Tils.
Spiegelbild des fragilen inneren Gleichgewichts war das Rangeln um die Spitzenkandidatur: Nicht weniger als acht gleichrangige Spitzenkandidaten bietet die Linke für die Bundestagswahl auf, um Ost und West, Frauen und Männer, Flügel und Strömungen, von der Kommunistischen Plattform bis zum Netzwerk Reformlinke, einigermaßen zufrieden zu stellen. Das Spitzenteam hat mit Gregor Gysi einen eloquenten Star und mit der jungen Ko-Vorsitzenden Katja Kipping auch ein charmantes Gesicht. "Wir haben einen neuen Politikstil in der Führung etabliert: Es gibt jetzt viel mehr ein gemeinsames Beraten", freut sich Kipping.
Wettlauf um soziale Kompetenz
Permanente Selbstbeschäftigung und Zerstrittenheit über Jahre hinweg sind freilich nicht der einzige Grund für schlechte Umfragewerte. Der zeitweilige Höhenflug der Linken fiel mit dem Höhepunkt der Empörungswelle über die sogenannten Hartz-IV-Gesetze zusammen. Die von der Regierung Schröder initiierten Arbeitsmarkt- und Sozialreformen trieben viele Sozialdemokraten und Gewerkschafter in die Arme der von Lafontaine geführten "Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit", die mit der ostdeutschen PDS zur Partei "Die Linke" fusionierte.
Mittlerweile sind die Sozialdemokraten unter der Führung von Sigmar Gabriel auf Distanz zu den Härten der Schröderschen Reformen gegangen, haben ihren traditionellen Markenkern "soziale Gerechtigkeit" wieder entdeckt. Zwar überschreibt die Linke ihr Wahlprogramm 2013 mit dem Slogan "100 Prozent sozial". Doch in Umfragen sprechen die Wähler die größte soziale Kompetenz meist eindeutig den Sozialdemokraten zu (und neuerdings sogar der CDU von Kanzlerin Angela Merkel, aber das ist ein anderes Thema).
Viele Forderungen von Sozialdemokraten und Linken im sozialen Bereich ähneln sich, wobei sich die Linke bemüht, die Rivalin zu übertrumpfen. So fordert sie von allen Parteien den höchsten Mindestlohn (10 Euro pro Stunde), den höchsten Satz für Hartz-IV-Empfänger (500 Euro pro Monat), eine Mindestrente von 1050 Euro und das niedrigste Renteneintrittsalter, will den Reichen die höchsten Steuern abknöpfen (Spitzensteuersatz 53 Prozent). In allen EU-Staaten soll eine einmalige Abgabe auf Vermögen ab einer Million Euro erhoben werden.
Alle Vorschläge seien durchgerechnet, sagt der Ko-Vorsitzende der Partei, Bernd Riexinger. 165 Milliarden Euro Mehrausgaben stünden staatliche Mehreinnahmen von 180 Milliarden Euro gegenüber. Zur Zügelung des Finanzmarktes will die Linke Hedgefonds verbieten. Sie fordert den Stopp aller Rüstungsexporte, die Beendigung aller Auslandseinsätze der Bundeswehr und die Überführung der Energieversorgung in öffentliche Hand.
Streit über Regierungsbeteiligung auf Eis
"Wir sind die Einzigen", so leitet Fraktionschef Gregor Gysi immer noch gern seine Sätze ein, um den Unterschied zur "neoliberalen Allparteienkoalition" der anderen Parteien zu betonen. Andererseits schließen die Parteispitzen von Sozialdemokraten und Grünen die Linke zumindest offiziell aus ihren Überlegungen für eine Koalition nach der Bundestagswahl aus. Politikwissenschaftler Tils sieht die Linke im Moment nur als "Zaungast am Rand des Wahlkampfrings" und prophezeit:" Eine machtpolitische Perspektive wird es für sie erst bei der nächsten Bundestagswahl 2017 geben können." Immerhin erspart dies der Partei derzeit weitere Selbstzerfleischung darüber, ob man sich an einer Bundesregierung beteiligen sollte oder nicht.
Doch ein anderes brisantes Thema vor dem Parteitag in Dresden ist die von Ex-Parteichef Oskar Lafontaine ins Spiel gebrachte Abschaffung des Euro und die Rückkehr zur alten Europäischen Währungsunion mit kontrollierten Wechselkursen geworden. Die Linken-Führung betont dagegen, es sei nicht ihr politisches Ziel, aus dem Euro auszusteigen. Lafontaines immer noch zahlreiche Anhänger in der Partei dürfte das nicht ruhen lassen.