Schluss, Aus, vorbei - Theresa May kurz vor dem Rücktritt
24. Mai 2019Wer Theresa May in den vergangenen Monaten beobachtet hat, wunderte sich vor allem über ihre grenzenlose Widerstandskraft. Keine Demütigung im Unterhaus, kein weiterer Rücktritt eines Ministers schien sie zu beeindrucken. Wie ein politisches Stehaufmännchen war sie beim nächsten Termin wieder auf der Regierungsbank im Parlament oder beim Brexit-Gipfel in Brüssel zu sehen. Zwischendurch hatte sie sogar einmal die Stimme verloren vor lauter Stress, und selbst ihre Gegner bemitleideten sie wegen ihres schweren Jobs. Jetzt aber ist für die Premierministerin, die wie eine Katze sieben Leben zu haben schien, wohl das Ende der politischen Fahnenstange gekommen.
Rückzug im letzten Moment
Am Ende scheint es, dass ihre eigene Partei sie aus dem Amt jagt. Alle Mahner hatten im Laufe der Woche erklärt, dass dieser Freitag das letzte Datum sei, an dem sie noch in Würde selbst gehen könne. Denn am nächsten Montag, wenn die erwartungsgemäß für die Tories verheerenden Ergebnisse der Europawahl vorliegen werden, würden die "Männer in grauen Anzügen" aus dem mächtigen 1922-Hinterbänkler-Komitee, bei denen die parteiinterne Macht liegt, ihr unerbittlich den Strick überreichen.
Das abzusehende Desaster bei der Europawahl ist ein Grund für den Zorn der Konservativen gegen ihre Parteichefin. Je nach politischer Farbe machen die Brexiteers sie dafür verantwortlich, dass sie überhaupt bei dieser Farce mitmachen müssen, wo Großbritannien doch seit dem 29. März eigentlich ausgetreten sein wollte. Und die Gemäßigten sind wütend, weil sie nicht früher eine überparteiliche Lösung für den Brexit-Streit gesucht und stets den Hardlinern nachgegeben hatte, bis kein Kompromiss mehr möglich war. Außerdem gab es keinen vernünftigen Wahlkampf für die EU-Abstimmung und die Tories überließen Nigel Farage und seiner neu gegründeten Brexit-Partei widerstandslos das Feld. Das Ergebnis war Wut an allen Fronten.
Was den Zorn schließlich ins Unermessliche steigerte, war Mays Versuch, im letzten Moment noch einmal den Brexit-Deal in veränderter Form durchs Parlament zu peitschen. Sie fügte dem EU-Ausstiegsgesetz dabei ein paar Zugeständnisse hinzu, die ihr ausreichend Stimmen der Labour-Opposition garantieren sollten. Zentral ist dabei ein vorläufiger Verbleib in der Zollunion und das Versprechen für ein zweites Referendum.
An dem Punkt platzte schließlich Theresa Mays eigenen Kabinettsmitgliedern die Hutschnur. Das sei weit mehr, als am Dienstag bei der gemeinsamen Sitzung verabredet worden sei, schimpfte unter anderem Innenminister Sajid Javid. Fraktionschefin Andrea Leadsom trat schließlich am Mittwochabend unter Protest zurück. Sie wolle nicht helfen, dieses Gesetz im Unterhaus einzubringen, so die Erklärung. Danach stürzte sie sich, wie ein gutes Dutzend ihrer Kollegen, unmittelbar in den Kampf um die May-Nachfolge in der Downing Street.
Während die Regierungschefin noch im Unterhaus ihre letzte Brexit-Umdrehung vor halb leeren Bänken verteidigte, tagte die sogenannte Pizza-Connection der Brexiteers bereits in den Hinterzimmern, um die Premierministerin so schnell wie möglich aus dem Amt zu katapultieren.
Weg frei für den Kampf um die Nachfolge
Wenn May jetzt erwartungsgemäß ein Datum für ihren Rückzug vom Amt der Parteichefin ankündigen wird, das bereits in der ersten Junihälfte liegen soll, macht sie damit den Weg frei für den Kampf um ihre Nachfolge. Dabei werden von den rund 120.000 Mitgliedern der konservativen Partei Kandidaten vorgeschlagen, von denen die zwei Erstplatzierten dann im Unterhaus um die Unterstützung der Tory-Abgeordneten werben müssen.
Die endgültige Entscheidung über die Frage, wer zunächst Parteichef wird und damit auch den Anspruch auf das Amt des Premierministers erwirbt, treffen die Partei-Mitglieder. Nach den Umfragen hat Ex-Außenminister Boris Johnson derzeit die besten Chancen, weil er beliebt bei den Graswurzel-Konservativen ist. Im Unterhaus dagegen hat er zahlreiche Feinde, von denen viele seine Schwächen nur zu gut kennen. Auch fürchten gemäßigte Tories, dass er einen harten Brexit ohne Deal auslösen könnte. Dennoch scheint er die Nase vorn zu haben, weil er als guter Wahlkämpfer gilt, der am ehesten die Labour Party besiegen könnte.
Solange der Nachfolgestreit läuft, bleibt Theresa May noch im Amt. Auf jeden Fall wird sie also noch als Premierministerin den Staatsbesuch von Donald Trump und das Treffen der europäischen Regierungschefs zum D-Day in der Normandie Anfang Juni abwickeln, woran ihr viel zu liegen scheint. Außerdem sieht das britische System keine Übergangszeit ohne designierten Regierungschef vor: Wenn der eine geht, muss der nächste schon bereit stehen. Üblicherweise geben sich beide bei der Queen zu Demission und Amtseinführung die Klinke in die Hand.
May konnte den Brexit nicht "liefern"
Ihr eigene Sturheit, Fehlkalkulationen bei der Umsetzung des Brexit und fehlender politischer Spürsinn haben am Ende Theresa Mays politischen Untergang gebracht. Dabei hatte zuletzt Senior-Tory Ian Duncan Smith noch gegiftet, May habe das Sofa vor die Tür geschoben und sich in der Downing Street verbarrikadiert. Aber selbst die Rücknahme des fatalen EU-Austrittsgesetzes in letzter Minute konnte ihr nicht mehr helfen.
Die Premierministerin hatte zu viele Winkelzüge versucht, war zu sehr im Zickzack gelaufen und hatte es sich schließlich mit allen Seiten verdorben. Zuerst hatte sie die Remainer, die EU-Anhänger, an die Brexiteers verraten und auf einen harten Schnitt mit der EU gesetzt. Dann konnte sie aber deren Bedingungen etwa beim nordirischen Backstop nicht erfüllen. Zum Schluss war die Situation so verfahren, dass ihr Werben um Hilfe bei der Labour Party nur noch auf Achselzucken stieß. Wer würde Deals machen mit einer Premierministerin, die nur noch Tage im Amt sein würde?
Gefühlte tausend Mal muss May in den letzten Monaten versprochen haben, den Brexit zu "liefern". Am Ende wird sie das nicht schaffen, weil die Situation völlig verfahren scheint und sie nirgends mehr Rückhalt hatte. Und abgesehen davon hat May keine politische Hinterlassenschaft. Ihr Nachfolger muss irgendwie eine Lösung für die tiefe Spaltung im Volk und im Parlament finden, die der Brexit hervorgebracht hat. Dieser hat sich weit über jedes Erwarten hinaus als reines politisches Gift erwiesen.