Schlaganfall bei Jüngeren
13. April 2014Als Vanessa aufwacht, kann sie ihren linken Arm nicht mehr bewegen, auch ihr linkes Bein versagt seinen Dienst. "Ich dachte: Irgendetwas stimmt nicht mit mir. Irgendwie ist die linke Seite eingeschlafen", erzählt sie.
Aber ziemlich schnell wird ihr klar, dass sie einen Schlaganfall erlitten hatte. Aus ihrem engeren Umfeld kannte die heute 28-jährige eine solche Situation. Jetzt hatte sie selbst einen Schlaganfall. Das Datum wird sie nie vergessen: die Nacht vom 11. September 2006.
Weltweite Studie
Vanessa ist keine Ausnahme. Das zeigt auch die "Global Burden of Disease"-Studie. Das Projekt der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Weltbank hat die Entwicklung der häufigsten Erkrankungen seit 1990 verfolgt. Ein Ergebnis: immer häufiger trifft es auch jüngere Menschen. In diese Gruppe gehören die 20- bis 64-jährigen, bei denen die Schlaganfallrate innerhalb von zwanzig Jahren von 25 auf 31 Prozent gestiegen ist. Weltweit tritt jeder 20. Schlaganfall bei Kindern und Jugendlichen auf.
Die Gründe hierfür hat die Studie nicht untersucht. Nach Ansicht des Neurologen Gerhard Hamann gibt es verschiedene Gründe: "Rauchen, bei Frauen die Pille, Übergewicht und auch die Einnahme von Drogen wie etwa Cannabis, Ectasy, Kokain oder Amphetamine können Schlaganfälle auslösen", erklärt der Vorsitzende der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft. Allein in Deutschland erleiden jährlich rund 10.000 Menschen unter 45 Jahren einen Schlaganfall.
Insgesamt ist die Zahl der Schlaganfälle in 20 Jahren weltweit um 68 Prozent gestiegen, die Zahl der Todesfälle um 26 Prozent. Während in Industrieländern wie Deutschland, in Westeuropa und in Nordamerika die Vorsorge, die Diagnose und die Behandlungsmöglichkeiten immer besser werden, sehe das in Niedriglohnländern anders aus, so Hamann. "Gerade in Ostasien, in China, Korea, Thailand und Vietnam ist die Rate sehr hoch. Man rechnet für 2010 weltweit mit etwa 16,9 Millionen Schlaganfällen."
Zu jung für einen Schlaganfall?
Vanessa glaubt, die Ursache bei ihr selbst liege in der Kombination von Antibabypille und Rauchen. Das hat sie mittlerweile aufgegeben. Glücklicherweise hatte sie nach ihrem Schlaganfall keine Sprachstörungen und konnte einen Krankenwagen rufen. "Sie haben natürlich gefragt, wie alt ich bin, ob ich irgendetwas am Rücken habe, an der Bandscheibe vielleicht. Dabei kommt es ja auch manchmal zu Lähmungserscheinungen. Eine andere Frage war, ob ich Drogen genommen hätte."
Die Rettungssanitäter hätten die Situation dann realistischer eingeschätzt. Vanessa wurde in die Stroke Unit eines nahegelegenen Krankenhauses eingeliefert und dort erst einmal rund um die Uhr beobachtet. Ein Schlaganfall in so jungen Jahren ist eben nicht alltäglich.
Schwierige Diagnose
Die Risikofaktoren bei älteren Menschen sind vor allem Herzerkrankungen wie Vorhofflimmern, Arteriosklerose, Veränderungen der Hals- oder Gehirngefäße. Auch hoher Blutdruck, erhöhter Blutzucker und Übergewicht kommen als Ursache infrage. Beim älteren Menschen würden die Gefäße immer starrer, bei jungen Menschen hingegen seien sie flexibel, sagt Hamann."Da kann es durch mechanische Belastung, durch einen Schlag an den Hals, einen Volleyball an den Kopf, einen Auto- oder Fahrradunfall zu Rissen der Halsgefäße kommen. Die können dann einen Schlaganfall auslösen."
Auch Entzündungen wie etwa Windpocken können die Gefäße angreifen. Experten schätzen, dass in Deutschland jährlich etwa 300 Kinder, darunter Neugeborene und sogar Kinder im Mutterleib, einen Schlaganfall erleiden. Die Diagnose ist meist schwierig. "Wenn ein Achtjähriger zum Kinderarzt komme, denkt der ja nicht als erstes an einen Schlaganfall."
Auch der Verlauf unterscheide sich von dem beim Erwachsenen: Die Gefäße seien ja meist vollkommen gesund. "Wenn bei Kindern der Kernspin zeigt, dass sie einen kompletten Schlaganfall hatten, bei dem ein Erwachsener halbseitig gelähmt bleiben würde, dann ist dieses Kind im Alltag vielleicht kaum auffällig. Kinder haben eine extrem gute Kompensation", sagt Hamann. Aber nicht alle Kinder kommen so glimpflich davon.
Anlaufstelle für Betroffene
Lisa hatte im Alter von sechs Wochen einen Schlaganfall. Auf der Internetseite von SCHAKI - der Selbsthilfegruppe für Schlaganfallkinder - stellt sich die heute 14-Jährige selbst vor. Seit dem Schlaganfall hat sie eine Halbseitenlähmung rechts. "Damit ich meine rechte Seite weiter trainieren kann, bekomme ich zweimal in der Woche Krankengymnastik und war auch schon dreimal in einer Reha-Klinik. In meiner Freizeit gehe ich gerne mit Lucky, dem Hund von meiner Oma, spazieren."
Lisas Mutter, Britta Nikolei, ist eine von zwei Frauen, die SCHAKI leiten, Eltern und Betroffene beraten. Sie weiß, dass oft allein schon die Diagnose einem Spießrutenlauf gleicht: "Bei uns war es so, dass die Ärzte in der Klinik von Anfang an gesagt haben: Ihr Kind hat nur Blähungen. Dann krampfen sie schon mal und schreien eben auch viel."
Aber Britta Nikolei ließ nicht locker. Wenige Tage später brachte sie ihre Tochter erneut in die Klinik. Dort wurden dann eingehendere Untersuchungen gemacht: Das Ultraschallbild vom Kopf zeigte eine Hirnschädigung. "Es hieß dann: Wir schauen mal, wie es sich in den nächten Wochen und Monaten entwickelt." Alles habe sie selbst organisieren müssen, angefangen bei der Physiotherapie.
Ihre Erfahrungen gibt Britta Nikolei in der Selbsthilfegruppe an andere weiter und hat ganz einfach ein offenes Ohr für andere betroffene Eltern.
Ein beschwerlicher Neuanfang
Und Vanessa? Sie hat eine leichte Spastik im linken Arm und im linken Bein zurückbehalten. Das schränke sie kaum ein. Umstellen musste sie ihr Leben letztendlich aber dennoch ganz gewaltig.
Vor dem Schlaganfall war sie Pferdewirtin. Sie hat einen eisernen Willen und wollte in jedem Fall wieder in ihrem alten Beruf arbeiten. “Ich hatte das Ziel, vom Rollstuhl wieder in den Pferdestall zu kommen, und das habe ich auch tatsächlich geschafft." Sie hat noch zwei Jahre in ihrem alten Beruf gearbeitet, hat ihn dann aber schlussendlich doch aufgegeben, "weil die Kälte in den Ställen zu einem großen Problem wurde. Ich habe relativ schnell Erfrierungen in Armen und Beinen bekommen, weil die Regulation der Körpertemperatur nicht hundertprozentig ist."
Vanessa hat eine Umschulung zur Industriekauffrau gemacht und arbeitet heute in der Buchhaltung eines mittelständischen Unternehmens. Seit 2011 engagiert sie sich für junge Menschen mit Schlaganfall, kümmert sich über die Organisation "helpedia" um Spenden. Dreimal die Woche geht es zum Sport: Rennrad fahren, Schwimmen und Laufen. "Ich bin sehr aktiv und habe einen Wahnsinnsspaß daran, einfach Sport zu machen. Ich weiß es halt einfach auch zu schätzen."