Schiefergas: Weshalb Deutschland zögert
26. September 2013Vom Vaca-Muerta-Becken in Argentinien über die Silur-Formationen in Nordafrika bis zum Bazhenov-Gebiet im westlichen Sibirien - insgesamt 23 so genannte Hotspots für unkonventionelles Erdgas, darunter Schiefergas, hat die US-amerikanische Energieberatungsfirma IHS weltweit identifiziert. Dafür wurden die geologischen und geochemischen Charakteristika wie unter anderem die Porosität, die Durchlässigkeit, die Dicke und der Druck des Bodens analysiert.
In den USA wird längst nicht mehr von Potenzial gesprochen - das, was da ist, wird in Leistung umgewandelt. Allein 2011 haben die USA 477 Milliarden Kubikmeter unkonventionelles Gas gefördert, darunter 197 Milliarden Kubikmeter an Schiefergas.
Seit einigen Jahren wirbeln sie die Energiemärkte durcheinander und scheinen auf dem Weg zu einem der größten Energieexporteure zu werden. Während in den USA der Fracking-Boom längst in vollem Gange ist, herrscht in Europa aber überwiegend Skepsis - vor allem in Deutschland. Dabei werden in Europa und auch in Deutschland Schiefergas-Vorkommen vermutet.
Braucht Deutschland das Schiefergas?
Fracking in Deutschland - ergibt das ökonomisch Sinn? Esther Chrischilles vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln ist da vorsichtig: "Es hängt von der Entwicklung der Erdgaspreise auf der einen und den Förderkosten bei einer solchen Technologie auf der anderen Seite ab. Aus heutiger Sicht ist die ökonomische Attraktivität einer ausgiebigen Schiefergasförderung nicht in Sicht", sagt Chrischilles. Das liege unter anderem auch daran, dass die Förderkosten in Deutschland deutlich höher eingeschätzt werden als in den USA. Die Flächenpotenziale seien viel geringer. "Außerdem haben wir hier in Deutschland ganz andere Umweltauflagen. Und die Gaspreise aktuell sind zu niedrig, dass sich eine umfangreiche Schiefergasförderung lohnen würde."
Die Internationale Energieagentur vermutet Vorkommen an Schiefergas in verschiedenen Regionen in Europa - darunter in Portugal, im südöstlichen Frankreich, sowie in Paris und Umgebung, in den baltischen Ländern, in Ungarn und Rumänien und eben auch im Norden Deutschlands. Derzeit deckt Deutschland seinen Erdgas-Bedarf zu etwa 13 bis 15 Prozent aus heimischer Förderung. Der Rest muss importiert werden - aus Russland, Norwegen und den Niederlanden. "Der heimische Anteil geht aber zurück, weil unsere Lagerstätten allmählich erschöpft sind. Und da kommt das Thema Schiefergas für Deutschland ins Spiel", sagt Hans-Joachim Kümpel, Präsident der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR). Laut einer Studie der BGR ist das Schiefergas-Potenzial, das gefördert werden kann, zehn Mal mehr als das, was Deutschland an konventionellem Erdgas an Reserven zur Verfügung hat. "Wenn wir den Anteil, den wir heimisch fördern, in Zukunft auch durch Schiefergas-Förderung abdecken, dann kämen wir damit etwa 100 Jahre weit", sagt Kümpel.
Vor- und Nachteile für die Wirtschaft
Aber was, wenn Deutschland aus umwelttechnischen Bedenken das Schiefergas nicht fördern möchte? Droht dann ein Wettbewerbsnachteil? "Es gibt natürlich einen Wettbewerb der Standorte. Nun werden aber gerade die energieintensiven Unternehmen, die teure und schwere Maschinen haben, nicht von heute auf morgen ihre Zelte in Deutschland abbrechen können. Fakt ist, dass sie sich langfristig von Deutschland weg bewegen könnten, dorthin, wo die Energiepreise niedriger sind", sagt Michael Bräuninger, Forschungsdirektor am Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut. Auf der anderen Seite profitiere Deutschland, wenn in anderen Ländern Industrie aufgebaut wird, weil Deutschland Maschinen und Know-How exportieren könne. "Wenn in den USA also ein Umbau des Energiemarktes stattfindet, dann profitiert in Teilen auch die deutsche Industrie davon."
Unternehmen wie Siemens spüren die Nachfrage an deutschem Know-How deutlich. In diesem Jahr hat das Unternehmen einen Auftrag für die Lieferung zweier Gasturbinen in die USA in Höhe von 400 Millionen Euro erhalten. "Die USA führen nun klar mit fast der Hälfte der bisher verkauften H-Klasse-Gasturbinen die Liste der Käuferländer an. Das ist ein Beleg für die große Dynamik im dortigen Gaskraftwerksmarkt", sagt Roland Fischer von Siemens Energy.
Risiken und Chancen für die Umwelt
Skepsis gilt vor allem der Methode, mit der das Schiefergas gefördert wird. Ein Gemisch aus Wasser, Sand und Chemikalien wird unter hohem Druck tief ins Erdreich gepresst. Umweltschützer sehen darin unter anderem eine Gefahr für das Grundwasser. "Wenn es zu einer Schiefergas-Förderung käme, dann wird es keine landwirtschaftliche Beeinträchtigung durch ein dichtes Netz an Bohrungen geben, wie das in den USA der Fall ist. Wir würden die höchsten Standards beim Ausbau der Bohrungen und beim Umgang mit Frackingflüssigkeit an der Oberfläche zur Anwendung bringen. Der Schutz des Trinkwassers erfordert höchste Priorität", sagt BGR-Präsident Hans-Joachim Kümpel.
Wenn es um die Umwelt geht, dann will Deutschland gerne eine Vorreiterrolle übernehmen. Doch die generelle Absage an Schiefergas-Exploration ist für Dieter Helm, Energieexperte und Professor an der Oxford Universität, ein Widerspruch zur Umwelt-Prämisse der Bundesregierung. "Deutschland ist ein Land, das sich den Klimawandel auf die Fahne schreibt, und gleichzeitig verstärkt es den Ausbau von Kohlekraftwerken", sagt Helm. "Das ist ein Widerspruch an sich. Deutschland ist abhängig vom Gas und sollte zumindest Tests erlauben, um Schiefergas-Vorkommen zu entdecken. Solange es das verbietet, hat es keine andere Chance, außer noch mehr Kohle zu verbrennen und dadurch noch mehr CO2 zu produzieren. Das Ergebnis: Die CO2-Emissionen steigen in Deutschland."
Auch Esther Chrischilles vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln spricht sich gegen ein generelles Nein zum Fracking aus: "Es ist vernünftig, Technologien nach ihren Chancen und Risiken abzuwägen und das auch gewissenhaft zu tun. Eine Technologieoffenheit ist einfach auch ein wichtiger Standortfaktor um nicht bei Entwicklungen, die sich ökonomisch dann auch lohnen könnten, frühzeitig die Klappen dicht zu machen." Deutschland müsse dabei nicht alleine spielen. Man könne sich vorstellen, eine europäisch konzertierte Förderstrategie zu verfolgen, sagt Chrischilles.