Schicksalswahl in Mazedonien
8. Dezember 2016"Diesmal entscheiden wir uns nicht nur für eine Partei, sondern wir wählen zwischen Regime und Leben", sagt Zoran Zaev, der Vorsitzende der größten oppositionellen Partei des Balkan-Landes, SDSM (Sozialdemokratische Liga Mazedoniens). "Deswegen ist die Verantwortung so groß." Die Worte seines politischen Gegners Nikola Gruevski, Chef der regierenden konservativen VMRO-DPMNE (Innere Mazedonische Revolutionäre Organisation - Demokratische Partei für Mazedonische Nationale Einheit), klingen nicht viel weniger dramatisch: "Am 11. Dezember trifft man eine Entscheidung über die Zukunft Mazedoniens. Es wird über ein Mazedonien entschieden, dass keine Erpressung und fremde Einmischung zulässt."
Landesweite Proteste
Für die beiden steht viel auf dem Spiel. Zoran Zaev hat Anfang 2015 einen Abhörskandal öffentlich gemacht: Telefonmitschnitte offenbarten, was viele Mazedonier schon ahnten - Korruption, Machtmissbrauch und eine Kontrolle der Institutionen und der Medien durch die Regierung. Mazedonien fiel in eine tiefe innenpolitische Krise, es folgten landesweite Proteste. Zur Überwindung der Krise wurde unter anderem die Sonderstaatsanwaltschaft SJO eingesetzt. Das vereinbarten die größten Parteien des Landes. Die SJO soll die Telefonmitschnitte strafrechtlich auswerten, und wird dabei von der EU und den USA unterstützt.
"Die bisherige Regierungspartei VMRO-DPMNE hat ein großes Interesse daran, ihre Macht zu erhalten: Denn es geht auch um die Frage der Aufarbeitung der Anschuldigungen gegen diese Partei und das sehr große Risiko, dass man möglicherweise im Gefängnis landet", sagt Florian Bieber, Leiter des Zentrums für Südosteuropastudien an der Karl Franzens Universität Graz, im DW-Gespräch. Auch für die Opposition seien diese Wahlen besonders wichtig: "Wenn sie verliert, ist die Wahrscheinlichkeit, weiter an den Rand gedrängt zu werden, sehr groß."
Turbulenter Wahlkampf
Gerade deshalb gleicht der Wahlkampf in Mazedonien eher einem Wahl-Krieg. Oppositionspolitiker Zaev bezeichnet seinen Kontrahenten Gruevski als einen "Kriminellen, Banditen und Mafioso", der "die staatliche Institutionen kontrolliert und mit dem Abhören Tausender Bürger einen Putsch durchgeführt" habe.
Die oppositionellen Sozialdemokraten wollen im Falle eines Wahlsieges sogar spezielle Abteilungen an Gerichten einführen, die sich mit den Ermittlungen der SJO beschäftigen sollen. Gruevski hingegen, der auch von den Ermittlungen betroffen ist, hat stets wiederholt, dass die Verlängerung des Mandats der SJO nur zu eine Vertiefung der Krise führen würde.
Im Fall eines Wahlsiegs von Gruevskis Konservativen wäre es "schwer zu glauben, dass diese Partei die SJO ihre Arbeit tun lassen wird", meint Balkan-Experte Bieber. "Natürlich würde es Druck von Außen geben, dass beispielweise eher andere Politiker der VMRO in die erste Reihe kommen. Doch die Möglichkeiten, von Außen Druck auszuüben, sind sehr eingeschränkt."
Viele Versprechen, wenig Vertrauen
So liegt fast alles in den Händen der Wähler. Sie wurden in den letzten drei Wochen des Wahlkampfes mit Versprechen bombardiert: vom Mindestlohn über höhere Renten bis zu optimalen Voraussetzungen für junge Unternehmer. Doch die Bürger sind skeptischer geworden. "Ich glaube nicht an diese Versprechen", sagt ein Rentner im Gespräch mit der DW. "Ich werde den Politikern erst dann vertrauen, wenn sie auf ihre Immunität verzichten."
Genauso wenig überzeugt sind die meisten Wähler von den ethnozentrischen Botschaften der Regierungspartei und ihren Warnungen vor einer angeblich geplanten Föderalisierung des Landes. Darin sieht der mazedonische Politik-Experte Dzelal Neziri eine Kampagne mit dem klaren Ziel, die Wähler von den Skandalen der Regierung abzulenken und den Fokus auf ethnische Konflikte zu richten. (Anm. d. Red.: Neben der mazedonischen Mehrheit lebt im Balkan-Land auch eine große albanische Minderheit, die rund 25 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmacht, auch Türken, Bosnier, Serben, Roma und andere Minderheiten sind vertreten.) Die regierenden Parteien - die mazedonische VMRO-DPMNE und die albanische Demokratische Union für Integration - würden keine neuen Ideen einbringen, kritisiert auch der Politologe und Kommunikationswissenschaftler Sefer Tahiri: "Sie setzen immer noch auf die nationalistische Karte, um mehr Stimmen zu bekommen." Umfragen zufolge sind die Wähler im kleinen Balkan-Staat aber kaum an ethnischen Fragen interessiert, sondern vor allem an Frieden und einem besseren Leben.
NGO hat im Wahlkampf Unregelmäßigkeiten registriert
Mehr als 1,7 Millionen Mazedonier sind wahlberechtigt. Doch nicht jeder ist davon überzeugt, dass die Wählerliste ordnungsgemäß vorbereitet ist und dort beispielsweise nicht die Namen von Verstorbenen auftreten - wie bereits mehrmals in der Vergangenheit. Der Politologe Tahiri hofft, dass die Wahlen "normal" verlaufen werden - was in Mazedonien keine Selbstverständlichkeit ist. "Wir haben keine richtigen demokratischen Rahmenbedingungen, aber wir haben immerhin optimale Voraussetzungen für die Wahlen", meint er. Die Nichtregierungsorganisation "Most", die auch diese Wahl beobachtet, hat allerdings schon einige Unregelmäßigkeiten registriert: Nach ihren Angaben werde Druck auf Beamte ausgeübt, für die regierenden Parteien zu stimmen. Außerdem habe "Most" einen Missbrauch staatlicher Ressourcen - wie Räumlichkeiten und Verkehrsmittel - während des Wahlkampfs festgestellt.
Die EU hatte noch vor Beginn des Wahlkampfes in Mazedonien mitgeteilt, dass sie glaubwürdige Wahlen erwarte, die dem Land die Chance auf einen Neuanfang eröffnen. Der Politologe Sefer Tahiri mutmaßt, dass es "keinen eindeutigen Wahlsieger geben wird", und Mazedonien ab dem 12. Dezember eine Koalition von zwei mazedonischen und zwei albanischen Parteien haben könnte.
Obwohl die meisten Bürger den Wahlkampf-Versprechen der Politiker nicht glauben, hoffen sie weiterhin auf eine bessere Zukunft - jenseits von parteipolitischen Linien. Sie seien einfach "hungrige Menschen, hungrig auf ein normales Leben": So bringt es ein mazedonischer Twitter-Nutzer auf den Punkt.