Schaulaufen der EU-Kommissare
29. September 2014"Na ja, das ist alles irgendwie Theater hier", sagte ein erfahrener Mitarbeiter eines Parlamentariers lässig an der Wand des überfüllten Sitzungssaales lehnend mit einem Lächeln. "Aber das Stück ist ganz gut und er ist auch nicht schlecht", fügt er mit einem Kopfnicken in Richtung Podium hinzu. Dort müht sich Günther Oettinger seit zwei Stunden, die fragenden Parlamentarier von seiner Kompetenz zu überzeugen. Die Anhörungen der 27 neuen EU-Kommissare laufen nach strengem Drehbuch ab. 45 Fragen werden gestellt. Sie dauern jeweils eine Minute. Auf jede Frage darf Günther Oettinger zwei Minuten antworten. Die Reihenfolge der Fragesteller ist strikt nach Fraktionen zugeteilt. Die Jury sitzt erhöht im Rücken des Probanden. Über ihr schwebt eine riesige digitale Stoppuhr, die rote Kreuze zeigt, sobald die Redezeit rum ist. Die Fragen sind aufgeschrieben. Die Antworten muss Oettinger improvisieren. Theater eben.
Der 60-jährige CDU-Politiker Oettinger war fünf Jahre in Brüssel als Kommissar für Energie zuständig. Er darf bleiben, muss aber das Ressort wechseln. Das ist so üblich in Brüssel, warum kann niemand so recht begründen. Ungeschriebenes Gesetz? Zu viel Kompetenz? Günther Oettinger wird in der nächsten EU-Kommission jedenfalls für "digitale Wirtschaft und Gesellschaft" zuständig sein. So hat es der neue EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker mit der Bundesregierung ausgehandelt. Oettinger musste sich in wenigen Wochen neben seinem eigentlichen Job in das neue Fachgebiet einarbeiten. "Da wurden Vokabeln gepaukt und Frage-Antwort-Sessions geprobt", weiß der Parlamentsmitarbeiter. "Das wird richtig geübt. Und das machen natürlich alle so. Zumindest die Profis."
Alle Fragen werden gelassen pariert
Als Günther Oettinger verfolgt von Fernsehkameras den Sitzungssaal betritt, strebt er zunächst auf den falschen Platz zu, muss von Helfern ein wenig dirigiert werden. Das bleibt aber auch der einzige Patzer an diesem Abend in Brüssel. Er lächelt viel, grüßt die Abgeordneten, schmeichelt ihnen, spricht von der hohen Kompetenz des Parlaments und lobt ehrgeizige Ziele. Die Fön-Frisur sitzt perfekt.
Oettinger lässt sich nicht aus der Ruhe bringen, auch nicht durch die Frage des Abgeordneten Martin Sonneborn von der "Partei", eines satirischen Einzelkämpfers aus Deutschland. Der Spaß-Politiker, der keiner Fraktion angehört, fragt unter anderem: "Wie wollen sie sicherstellen, dass das Internet nicht vergisst, das Sie ihren Führerschein wegen 1,4 Promille Blutalkohol verloren haben?" Günther Oettinger pariert gelassen, er sei für das Recht auf Vergessen im Internet. Er stehe dazu, dass er vor 25 Jahren seinen Führerschein abgeben musste. "Dass das nicht vergessen wird, dafür sorgen die Zeitungsarchive und Leute wie Sie", sagte der EU-Kommissar mit leichtem Lächeln. Martin Sonneborn ist zufrieden, dass der Kommissar auf seine Fragen antworten musste. Es war schon ein wenig aufregend. "So ähnlich wie im mündlichen Abitur."
Alle Vokabeln kommen flüssig
Im Verlauf des Abends spricht Oettinger viel über Netzneutralität, Urheberschutz und digitale Infrastruktur als Grundlage für die Wirtschaft der Zukunft. Er verspricht Zusammenarbeit mit dem Parlament, Arbeitnehmervertretern und Nichtregierungsorganisationen, bekennt sich aber auch dazu, dass Europa zwei, drei "global player" im digitalen Weltmarkt brauche. Man dürfe digitales Wirtschaften nicht nur amerikanischen Firmen überlassen. Er spricht sich gegen zu viel Kontrolle im Netz aus. "Wenn ein Prominenter Nacktfotos von sich ins Internet stellt, dann ist das einfach blöd. Vor Dummheit kann ich die Menschen nicht schützen", sagt Oettinger auf eine Frage nach verschärftem Urheberschutz im Internet. Er gibt aber zu, dass er von diesem Feld noch nicht so viel Ahnung habe. "Ich will mich vortasten. Fragen Sie mich in einem Jahr noch einmal."
Nach drei Stunden sind die Abgeordneten im überfüllten Saal weitgehend zufrieden. Günther Oettinger kam professionell rüber, schob die rote Mappe mit seinen Unterlagen weg und sprach frei zu allen Themen. Er blieb bei seiner Muttersprache Deutsch. Die vom "Partei"-Abgeordneten Martin Sonneborn verlangte Antwort auf Englisch verweigert er. "Ich antworte auf alles, aber ich lasse mir nichts befehlen", kontert Günther Oettinger. Er hält sich an die Mahnung des Ausschuss-Vorsitzenden Jerzy Buzek, langsam zu sprechen. "Alles, was wir hier sagen, muss in 23 Sprachen übersetzt werden. Das muss sehr sorgfältig geschehen, deshalb bitte langsam", so Buzek.
Wackelkandidaten und Bauernopfer
Ein Stockwerk tiefer müht sich der kroatische EU-Kommissar Neven Mimica in seiner Anhörung in etwas holprigem Englisch, die Abgeordneten von seiner Kompetenz in Sachen Entwicklungshilfe zu überzeugen. Er hat Mühe, die richtigen Worte zu finden. Der Saal ist halb leer. Im Gegensatz zu Oettinger eine eher schlecht besuchte Vorstellung.
Auf volle Säle können die Kommissare mit wichtigen Portfolios hoffen oder die, von denen es heißt, sie würden besonders hart befragt werden. Das könnte nach Einschätzung der CSU-Abgeordneten Angelika Niebler vor allem dem britischen EU-Kommissar Jonathan Hill blühen, der ausgerechnet für die Kontrolle der Finanzmärkte zuständig sein soll. Umstritten ist auch der ungarische Kandidat Tibor Navracsiscs, der für bürgerliche Freiheiten in Europa eintreten soll, obwohl es damit in Ungarn nicht zum Besten stehen soll. Der Spanier Miguel Arias Canete, der für Energie zuständig sein wird, hatte wohl Verbindungen zur Ölindustrie und fiel im Parlament durch Macho-Sprüche auf. Die designierte EU-Kommissarin Alenka Bratusek ist ebenfalls umstritten. Sie, so erzählen es ihre Gegner, habe sich quasi selbst nominiert. Sie war nämlich Regierungschefin in Slowenien, wurde abgewählt und schickte sich kurz vor dem Ausscheiden aus dem Amt noch selbst nach Brüssel. Da sie ein sehr gutes Verhältnis zum neuen Chef, zu Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat, werden ihr diese Verfahrensfragen wohl verziehen werden, schätzen Abgeordnete aus Slowenien.
Finale am 22. Oktober
Bis zum 7. Oktober dauern die Anhörungen noch. Sollten an der Eignung eines Kommissars Zweifel bestehen, könnte das Parlament deren Austausch verlangen. Das ist in den vorangegangenen EU-Kommissionen auch passiert. "Niemand kann vorhersagen, ob es auch diesmal ein so genanntes Bauernopfer gibt", so die CSU-Parlamentarierin Angelika Nieber. "Das kommt darauf an, ob jemand während seiner Anhörung wirklich Fehler macht." Am 22. Oktober dann stimmt das Parlament über die gesamte Kommissionsmannschaft ab, die dann am 1. November ihr Amt antreten soll. Der einzige Kommissar, der sich keiner öffentlichen Befragung stellen muss, ist der aus Luxemburg. Jean-Claude Juncker ist von den Staats- und Regierungschefs vorgeschlagen und vom Parlament zum Präsidenten der EU-Kommission gewählt worden.