Scharia-Polizei-Urteil: "Ein gutes Signal"
11. Januar 2018Der Bundesgerichtshof hat am Donnerstag entschieden: Öffentliche Auftritte mit Warnwesten und der Aufschrift "Shariah Police" können strafbar sein. Der Bundesgerichtshof verwies den Fall deshalb zur Neuverhandlung zurück an das Landgericht Wuppertal. Sieben Männer hatten 2014 in Wuppertal einen nächtlichen Rundgang unternommen und Warnwesten mit dem Aufdruck "Sharia-Police" - zu deutsch: "Scharia-Polizei" - getragen. Sie forderten Muslime zudem zu einem aus ihrer Sicht korantreuen Lebensstil auf.
Deutsche Welle: Herr Rohe, waren Sie von dem Urteil überrascht?
Mathias Rohe: Nicht wirklich. Ich habe das Wuppertaler Urteil auch kritisch gesehen, weil es aus meiner Sicht zu kurz gegriffen hat. Man kann natürlich sagen: Für den deutschen Durchschnittsbürger sehen die "Sharia Police"-Westen aus wie ein Karnevalskostüm. Aber es gibt eben auch Bevölkerungsteile, in denen durch so ein Auftreten massiver sozialer Druck ausgeübt werden kann. Und wenn sich da jemand als Scharia-Polizei aufspielt - wir wissen ja aus Religions-Diktaturen wie Saudi-Arabien, was das konkret heißen kann - dann ist das durchaus geeignet, die Leute zu verängstigen und einzuschüchtern. Man muss nun prüfen, ob das nicht tatsächlich diese Wirkung ausgelöst hat.
Was bedeutet Scharia denn eigentlich genau ?
Scharia ist sehr vielgestaltig. Es beschreibt im Grunde die gesamte Normenlehre des Islam. Darunter fallen harmlose Dinge wie religiöse Vorschriften - das fällt bei uns unter Schutz der Religionsfreiheit - , aber auch Dinge, die teilweise sehr problematisch sein können. Man denke an drakonische körperliche Züchtigungen für bestimmte Delikte, an Ungleichbehandlungen nach traditionellem islamischem Recht und Ähnliches mehr. Man muss auch hier schauen: Was ist konkret gemeint? Ist Scharia hier ethischer Maßstab für anständiges Verhalten? Ich meine: Nein. Stattdessen spielt es sehr deutlich an die Religionspolizei-Funktionen an, wie wir sie aus Saudi-Arabien, dem Iran oder aus anderen Ländern kennen, in denen Menschen im Namen der Religion in brutaler Weise drangsaliert werden. Das sind Leute, die einen Machtanspruch in der Öffentlichkeit ausüben wollen und offensichtlich auch Freude daran haben, andere zu tyrannisieren. Dagegen muss man sich wirklich zur Wehr setzen.
Zurück zum Urteil: Die Richter des Bundesgerichtshofes hatten erklärt, dass es entscheidend sei, ob die Aktion geeignet war, andere Menschen einzuschüchtern. Die Wirkung der Aktion auf Muslime soll gemessen werden. Wie kann man sich das denn in einem Gerichtsprozess vorstellen?
Das ist sicherlich nicht ganz einfach. Man könnte zum Beispiel versuchen, Leute zu finden, die damals mit der "Sharia Police" konfrontiert wurden. Man könnte sie dann als Zeugen befragen, was sie dabei empfunden haben. Das dürfte vermutlich das Einfachste sein. Es ist vorstellbar, dass sich da welche melden. Es kann natürlich auch sein, dass einige Angst haben, auszusagen. Dann müsste man möglicherweise eine abstraktere Prüfung vornehmen. Man könnte zum Beispiel Anthropologen einschalten, die aus ihrer Fachkenntnis über bestimmte muslimische Communities heraus sagen können, ob die Aktion einen so starken Druck ausübt, dass man typischerweise davon ausgehen muss, dass Leute sich davon einschüchtern lassen.
Am Bundesgerichtshof wurde auch gesagt, dass das Ursprungs-Urteil widersprüchlich gewesen sei. Können Sie sagen, warum das Gericht das so beurteilt hat?
Die Richter haben nicht berücksichtigt, dass es eine bestimmte Bevölkerungsgruppe geben kann, die von so einer Aktion besonders betroffen ist. Stattdessen haben sie sich ganz allgemein und pauschal den Sachverhalt angeguckt. Das ist der eigentliche große Widerspruch.
Wie bewerten Sie das Urteil auf die Zukunft hin gesehen?
Ich denke, es ist ein gutes Signal. Es greift den Umstand auf, dass es bestimmte Bevölkerungsgruppen gibt, die vielleicht durch solch einen Druck besonders verwundbar sind. Man kann nicht sagen, dass alle Menschen, die hier leben, sich in der gleichen Situation befinden. Wenn jemand versucht, mit diesem islamischen Extremismus Druck auszuüben, trifft es vor allem und zuallererst die Muslime. Und deswegen muss man auch schauen, welche konkreten Auswirkungen eine "Scharia-Polizei" auf die Muslime hat. Und wenn es negative Auswirkungen gibt, dann ist das Grund genug, einzuschreiten. Für mich ist es im Grunde auch ein positiver Schritt - hin zur Gleichbehandlung aller Leute in diesem Land. Jeder braucht den gleichen Schutz vor solchen Dingen.
Mathias Rohe ist Rechts- und Islamwissenschaftler. Er ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Rohe war von 2006 bis 2009 Mitglied der Deutschen Islamkonferenz.
Das Gespräch führte Stephanie Höppner.