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Schüsse, Bilder, Sensationen

Kersten Knipp24. Juli 2016

Die Berichterstattung einiger Medien vom Münchener Amoklauf hat viel Kritik auf sich gezogen. Der Fall zeigt einmal mehr, vor welchen moralischen Schwierigkeiten Journalisten heute stehen.

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Presse zum Amoklauf in München (Foto: Getty Images/J. Koch)
Bild: Getty Images/J. Koch

Die Sicherheitskräfte in München waren noch im Einsatz, da sah sich die Pressestelle der Polizei genötigt, per Twitter einen dringenden Appell an die Öffentlichkeit zu richten: "Keine Videos oder Bilder von Polizeikräften im Einsatz online stellen, helft nicht den Tätern!"

Einen genauen Adressaten hatte der Aufruf nicht. Offenbar richtete er sich an Bürger und Medienvertreter gleichermaßen. Einige missachteten die Aufforderung, wie ein kurze Zeit später veröffentlichter weiterer Aufruf der Polizei nahelegte. "Noch einmal", begann dieser Tweet und auch er forderte die Adressaten dazu auf, keine Bilder ins Netz zu stellen. Bürger, die sich als Journalisten verstehen, waren an diesem Abend offenbar gleichermaßen unfähig oder unwillig, elementare Grundsätze der Berichterstattung zu beachten wie einige professionelle Medien. Denn Bilder vom Einsatz liefen weiterhin in Echtzeit über die Bildschirme.

Wettbewerb um das erste Bild

Professionelle Journalisten und die längst mit einem Stück hocheffizienter Medientechnologie - dem Smartphone - ausgerüsteten Bürger stehen längst in einem unausgesprochenen Wettbewerb: Wer liefert das schnellste Bild von einem Tatort, wer bedient als Erster das Informationsbedürfnis - und die Neugier - der Öffentlichkeit? Es ist ein Wettkampf, bei dem die etablierten Medien fast unausweichlich den Kürzeren ziehen: Denn wo immer etwas passiert - zufällig anwesende Bürger filmen oder fotografieren es und laden es dann ins Netz. Bis die ersten Journalisten, sollten sie nicht zufällig angerückt sein, vor Ort sind, haben zahlreiche Fotos und Filmchen den Weg ins Internet längst gefunden.

Deutschland Olympia Einkaufszentrum in München Hauptbahnhof Großeinsatz (Foto: picture-alliance/AP Photo/S. Widmann)
Fast wie im Film: Polizeieinsatz in MünchenBild: picture-alliance/AP Photo/S. Widmann

Die Medien stehen somit unter gewaltigem Druck. Sie sehen sich Erwartungen ausgesetzt, die sie in verantwortlicher Weise nur sehr schwer erfüllen können. "Wir müssen schnell sein, aber mit ruhigem Kopf", erklärt der Nachrichtenchef des Deutschlandfunks, Marco Bertolaso, anlässlich der Berichterstattung über den Münchener Amoklauf. "Ein Nachrichtenredakteur, eine Nachrichtenredakteurin muss vor allen Dingen Widerstand leisten können gegen den Druck der medialen Umwelt."

Keine Informationen - doch die Sendung läuft

Aber auch dieser Widerstand kann rasch an Grenzen stoßen: Von den etablierten Medien wird erwartet, dass sie berichten - und zwar auch dann, wenn die Situation außer Bildern und Gerüchten nicht viel hergibt. In München war das über Stunden der Fall. Alles war unklar: die Anzahl der Täter ebenso wie die Motive. Das Problem: Berichten muss man trotzdem. Der Fall von München habe diese Verlegenheit in aller Deutlichkeit offenbart, schreibt der FAZ-Medienredakteur Michael Hanfeld: "Auf den Kanälen, die auf aktuelle Berichterstattung umschalten, beginnt ein Wettlauf um die schnellste Information. Diese kann nur bruchstückhaft sein."

Sind die Sendungen einmal angelaufen, muss man liefern - und zwar auch dann, wenn es noch keine relevanten Informationen gibt. Die Journalisten, so Hanfeld weiter, gerieten in eine Lage, in der sie ihre Aufgabe - Informationsbeschaffung - schlichtweg nicht erfüllen könnten: "Ihnen bleibt also gar nichts anderes übrig, als zu spekulieren." In dieser Situation seien sie geradezu dazu gezwungen, unseriös zu arbeiten: "Wenn es nichts Neues gibt, spielen sie Was-wäre-wenn?"

Sie tun es aus keinem anderen Grund als dem, dass die Sendung gerade läuft, also gefüllt werden muss - sei es mit Informationen, sei es mit Spekulationen. Die eigentlich naheliegende Option, nämlich die Berichterstattung auszusetzen, verbietet sich. Die Konkurrenz ist groß, und wer einmal nicht zur Stelle ist, dem traut man leicht auch beim nächsten Mal nichts zu.

Deutschland #München auf einem iPhone
#München: der Renner im Netz:Bild: picture-alliance/dpa/K.-J. Hildenbrand

Zwischen Information und Sensation

Informationen geraten aber auch von anderer Seite unter Druck: dem Hang zu Sensation und pervertierter Unterhaltung. Immer schwerer grenzt sich Berichterstattung von reißerischer Sensationsmache ab. Objektive, zurückhaltende Berichterstattung, ein sparsamer Umgang mit Bildern und, falls nötig, eine spärliche, dafür aber verlässliche Informationspolitik werden von Teilen des Publikums als ungenügend angesehen. "Das Informationsgeschäft rutscht unter ökonomischem Druck, aber auch unter dem Zeitdruck ab in eine Mischung aus Kampagnen- und Mainstream-Journalismus", sagt DLF-Nachrichtenchef Marko Bertolaso. "Das heißt, dass fast alle Redaktionen einige wenige große Themen aufgreifen und zwar, weil die anderen die auch aufgreifen. Ein Kreislauf, der sich immer dreht."

Unter diesem Druck ist die Versuchung groß, auf besonders aufwühlende Bilder zu setzen: solche, die den Täter und solche, die die Opfer zeigen. Enthemmte Gewalt und das Leid, das sie entfacht: Das sind die besonders zugkräftigen Motive, mit denen sich besonders Quoten und Auflagen steigern lassen. Tatsächlich zeigte eine große Boulevardzeitung auf ihrer Homepage die kaum verpixelten Fotografien der Opfer des Münchener Attentäters. Ein DW-Kollege vor Ort berichtete, wie sich Kamerateams immer wieder auf weinende Angehörige der Opfer gestürzt und sie gefilmt hätten. "An alle, die Bilder von Opfern veröffentlichten", twitterte die Münchener Polizei ebenfalls am Freitagabend: "Hört auf damit! Habt Respekt vor dem Leid der Angehörigen."

Die Barbarei der Tat zieht die Barbarei der Berichterstatter an. In München zeigte sich einmal mehr, dass Bilder vieles sind - nur nicht unschuldig.