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Schüler machen Geschäfte

Suzanne Cords1. Oktober 2012

Baguette, Getränke und Schokoriegel in Eigenregie verkaufen: Im Pausenkiosk zeigen Schüler, was sie als junge Unternehmer drauf haben und lernen ganz nebenbei fürs spätere Berufsleben.

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Pausenkiosk an der Anne Frank Schule in Mettmann Bild: Suzanne Cords am 18.9.2012
Bild: DW/Suzanne Cords

Während ihre Mitschülerin den Schlüssel für den Kiosk auf dem Pausenhof holt, gehen die 14-jährige Hacer Tosun und ihre Cousine Meryem noch mal die Warenliste durch. "Käsebrötchen ist da, kostet einen Euro, Geflügelbaguette, Schokoriegel, und heute haben wir auch Donuts für 80 Cent." Die beiden Mädchen genießen das ruhige Abzählen. Mit gutem Grund. Kurz nach dem Pausengong ist vor dem kleinen Verkaufsfenster die Hölle los.

Jeder der Schüler, die vor dem Kiosk Schlange stehen, will der erste sein, der einen Snack ergattert. Schon nach zehn Minuten sind sie ausverkauft. Ein erster Blick in die Kasse ergibt die ungefähren Einnahmen: "Irgendwas mit 70 Euro", schätzt Hacer und beschließt: "In der zweiten Pause rechnen wir das zusammen, und dann bringen wir das zur Bank."

Wirtschaft im Alltag

Seit einem Jahr stehen die Hauptschülerinnen der Anne-Frank-Schule in Mettmann bei Düsseldorf abwechselnd mit einem anderen Team in der Pause im Kiosk. Sie ordern die Ware, füllen Lieferscheine aus, koordinieren Dienstpläne, kalkulieren die Erlöse und zahlen die Einnahmen täglich auf ein Konto ein.

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Das Team des PausenkioskBild: DW

Die Idee zur Pausenkiosk-Firma stammt vom Betriebswissenschaftler Tim Breker. Längst könnte der 25-jährige Absolvent einer Elite-Uni als Manager oder Banker um die Welt jetten, stattdessen möchte er mit seinem sogenannten "em-Schülerfirmennetzwerk" benachteiligten Schülern helfen und ihnen das Thema Wirtschaft näherbringen. "In unserer heutigen Gesellschaft muss man wirtschaftliche Grundlagen verstehen, um durchs Leben zu kommen", meint er. "Daher ist es besonders cool, so etwas an einem praktischen Projekt zu lernen."

Einfach machen

Zwei Jahre lang hat Tim Breker bei der Bildungsorganisation "Teach First" als Hilfslehrer an einer Hauptschule gearbeitet. Dort erkannte der Betriebswirt sofort, woran es bei leistungsschwachen Schülern mangelte: nicht nur an wirtschaftlichem Denken, sondern auch an Selbstvertrauen. Deswegen nannte er sein Schülerfirmennetzwerk auch kurz "em", als Abkürzung für "einfach machen".

"So eine 'Einfach machen-Kultur' fehlt bei den Lehrern und Schülern", beobachtet der Betriebswissenschaftler. Die Lehrer seien so oft "in diesem Hamsterrad Schule" drin, dass sie sich nicht frei genug fühlten, mal etwas Neues zu machen. "Und die Schüler haben oft nicht den Mut dazu." Breker spricht aus Erfahrung. Gerade Hauptschüler fühlten sich beim stundenlangen Theoriebüffeln oft überfordert, praktische Lernprojekte seien da viel effektiver, meint er.

Kopfrechnen unter Stress

Daher reist Breker von Schule zu Schule und versucht, Rektoren von seinem Konzept zu überzeugen. Die Lehrer haben keine Extraarbeit, denn Breker bringt den Acht- bis Zehntklässlern in einem Workshop das nötige wirtschaftliche Know How bei. Die Ware beziehen sie über ihn.

Pausenkiosk an der Anne Frank Schule in Mettmann Bild: Suzanne Cords am 18.9.2012
Will Kioske an allen Schulen: Jungunternehmer Tim BrekerBild: DW/Suzanne Cords

In einer ersten Testphase begleitet Breker seine Schützlinge täglich, später schaut er nur noch sporadisch vorbei und freut sich, wenn es gut läuft. "Ich habe festgestellt, dass viele Schüler mittlerweile das Kopfrechnen besser beherrschen", erzählt er. "Und das sogar unter Stress, wenn eine Meute Mitschüler den Kiosk belagert."

Ein finanzieller Erfolg

Im letzten Schuljahr hat die Schülerfirma an der Anne-Frank-Schule Mettmann 11.000 Euro umgesetzt - eine Zahl, die sich Tim Breker regelmäßig auf der Zunge zergehen lässt. "Das ist wirklich toll, wenn man sich überlegt, dass das Geld ist, was wirklich physisch nur durch die Hände der Schüler gegangen ist", findet er. Denn von der Warenbestellung bis hin zur Abrechnung läuft alles über die Schülerfirma. Was am Ende des Jahres als Gewinn übrig bleibt, liegt zwischen 200 und 1000 Euro. Von dem Geld gönnt sich die Schülerfirma dann einen Ausflug, eine Grillfete oder eine Stadtrallye.

Pausenkiosk an der Anne Frank Schule in Mettmann Bild: Suzanne Cords am 18.9.2012
Viel Kundschaft am PausenkioskBild: DW/Suzanne Cords

Während mancher Lehrer anfangs skeptisch war, ob das Modell funktioniert, stand und steht Schulsozialpädagoge Frank Cyran voll hinter dem Projekt. "Die Kinder lernen Verantwortung  und selbständiges Handeln", sagt er. "Wenn mal Probleme untereinander da sind, helfe ich gern, aber mittlerweile ist der Kiosk ein Selbstläufer." Jetzt geht es vor allem darum, Nachwuchs in den nächsten Klassen heranzuziehen, der nach dem Schulabschluss der anderen den Kiosk übernimmt.

Zukunftspläne

Da vertraut man in der Anne-Frank-Schule auf Tim Breker. Sechs Schulen hat er bisher unter Vertrag. Nicht allzu viele also, aber er ist optimistisch, dass sich das Konzept Schülerfimennetzwerk durchsetzt. Bis Mitte 2013 soll das Projekt auf eigenen Füßen stehen, so lange lebt er von Existenzgründerzuschuss und Erspartem. Und an jedem Brötchen, das über den Tresen geht, verdient er ein paar Cents mit; da ist er ganz Unternehmer.

Um den Pausenkiosk zu fördern, hat der Betriebswissenschaftler zusätzlich eine Crowdfunding-Kampagne gegründet. Wer das Projekt gut findet, kann hier spenden. Die Schüler zumindest sind begeistert. Hacer jedenfalls macht es Spaß, mit den Kunden zu reden. Und, so betont die Schülerin, der Ein- und Verkauf sowie das Kopfrechnen bringt ihr auch etwas für die berufliche Zukunft. "Ich will später Einzelhandelskauffrau werden, und da ist diese Arbeit doch schon mal eine gute Übung."

Titel: Pausenkiosk an der Anne Frank Schule in Mettmann alle Fotos: @Suzanne Cords am 18.9.2012
Da geht's lang zu den Snacks...Bild: DW