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Saudi-Arabien: Schwierige Position im Gaza-Krieg

10. Januar 2024

Der Gaza-Krieg zwingt Saudi-Arabien zu einem Balanceakt zwischen seiner Annäherung an Israel und panarabischer Solidarität. Deutschland zeigt derweil Bereitschaft, Kampfjet-Lieferungen an Riad nicht mehr zu blockieren.

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Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman
Der saudische Kronprinz Mohammed bin SalmanBild: Sergei Savostyanov/Sputnik/REUTERS

Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz will die Lieferung von Kampfjets des Typs Eurofighter an Saudi-Arabien nicht weiter blockieren - trotz deutlich vernehmbarer Bedenken in Teilen seiner Partei und Regierungskoalition. Der Kanzler teile die Einschätzung von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, dass Saudi-Arabien im gegenwärtigen Nahost-Konflikt eine "sehr konstruktive Haltung" gegenüber Israel einnehme, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Montag (08.01.2024) in Berlin. Er verwies darauf, dass die saudische Luftwaffe auch mit Eurofightern Raketen abgefangen habe, die die Huthi-Rebellen im Jemen Richtung Israel abgeschossen hatten.

Baerbock hatte bereits am Sonntag bei ihrem Besuch in Israel gesagt, die Bundesregierung werde sich dem britischen Wunsch nach Bau und Lieferung von Eurofighter-Jets an Riad nicht weiter "entgegenstellen". Berlins Haltung ist entscheidend, denn Großbritannien kann Eurofigher nur mit dessen Zustimmung an die Saudis liefern, da Teile des Flugzeugs in Deutschland produziert werden. 

Das Argument der "konstruktiven Haltung" Saudi-Arabiens wiegt für Scholz und Baerbock offenkundig schwerer als die Bedenken in Teilen ihrer Regierungsparteien wegen Saudi-Arabiens Rolle im Jemen-Krieg und saudi-arabischen Menschenrechtsverletzungen. Mit diesem realpolitischen Ansatz stehen sie nicht alleine. Auch US-Außenminister Antony Blinken fand nach seinem Besuch in Riad am Montag positive Worte für die Rolle Saudi-Arabiens. Man habe über die Normalisierung des Verhältnisses zwischen Saudi-Arabien und Israel gesprochen, berichtete er aus seiner Unterredung mit dem saudischen Kronprinz Mohammed bin Salman (MbS). Es gebe bei den Saudis ein "klares Interesse, diese fortzuführen", erklärte Blinken Agenturberichten zufolge. 

Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock bei ihrem Besuch in Israel
Sieht eine "sehr konstruktive Haltung" Saudi-Arabiens: Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock bei ihrem Besuch in IsraelBild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Annäherung bislang nur ausgesetzt

Damit kommen Blinken, Scholz und Baerbock zu anderen, deutlich positiveren Einschätzungen als manche Nahost-Experten, die nach dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober und dem folgenden Gaza-Krieg eine wachsende Distanz zwischen Israel und den Saudis gesehen hatten. Diese Annäherung zu stoppen, hatte offenkundig auch zu den Motiven der Hamas für den groß angelegten Terrorangriff gehört. Der israelisch-saudische Normalisierungsprozess sei vom Tisch, hatte es etwa Anfang Dezember noch seitens mehrerer Teilnehmer auf dem Doha-Forum geheißen - einem Treffen arabischer und internationaler Nahost-Experten. Tatsächlich hatte Saudi-Arabien den Annäherungsprozess angesichts des Krieges mit tausenden Toten in Gaza zumindest vorerst ausgesetzt. Formell beendet wurde er bisher jedoch nicht. Faktisch liegt die Annäherung damit auf Eis.

Dieser Normalisierungsprozess war zuvor jedoch schon weit gediehen. Ermutigt durch Äußerungen israelischer und saudi-arabischer Spitzenpolitiker, war sogar immer wieder über den baldigen Abschluss eines historischen Abkommens beider Länder spekuliert worden, die bisher nicht einmal offizielle diplomatische Beziehungen miteinander pflegen - wohl aber informelle Kontakte. Zuletzt hatte Saudi-Arabien im Sommer 2022 sogar seinen Luftraum für israelische Flugzeuge geöffnet. 

Doch Israels militärische Antwort auf den Angriff der in Deutschland, der EU, den USA und weiteren Staaten  als Terrororganisation eingestuften Hamas veränderte die Lage: Wie die meisten arabischen und islamisch geprägten Länder bewertete Riad Israels militärisches Vorgehen in offiziellen Verlautbarungen viel kritischer als die meisten westlichen Staaten. So rief MbS im November bei einem digitalen Gipfel der sogenannten BRICS-Staaten dazu auf, keine Waffen mehr an Israel zu liefern. Manche Beobachter gingen sogar davon aus, dass sich Saudi-Arabien unter dem Eindruck des Gaza-Kriegs sogar seinem Erzrivalen Iran annähern würde.

Saudi-Arabien habe sich hinsichtlich des Krieges deutlich artikuliert - hieß es auch in einer Analyse des Politik-Magazins "Foreign Policy" vom 18. Dezember: Riad stehe an der Spitze einer diplomatischen Anstrengung, die darauf abziele, die Rechtmäßigkeit der israelischen Militärkampagne ebenso in Frage zu stellen wie deren diplomatische Unterstützung seitens der USA.

Tatsächlich hatte der saudische Außenminister Faisal bin Farhan al-Saud die Leitung eines von der Arabischen Liga und der Organisation für Islamische Zusammenarbeit initiierten diplomatischen Komitees übernommen, das sich - gegen Israels Willen - für einen sofortigen Waffenstillstand einsetzt. Es sei bemerkenswert, dass Bin Farhans erste Gesprächstermine hierzu in Peking und Moskau stattfanden, so Foreign Policy - und eben nicht in Washington: "Ein klares Signal an Washington, dass Saudi-Arabien in dieser sich ständig weiterentwickelnden multipolaren Welt andere Optionen hat", konstatierte das Fachblatt. Und: "Die saudischen Führungseliten wollen vermeiden, in den israelischen Diskurs eingespannt zu werden."

Vertriebene Palästinenser vor ihren Zelten im Gazastreifen, Januar 2024
Vertriebene Palästinenser vor ihren Zelten im Gazastreifen, Januar 2024Bild: Majdi Fathi/NurPhoto/picture alliance

Unveränderte Interessen

Trotz aller Israel-kritischen Rhetorik sei eines allerdings ebenfalls klar, sagt Philipp Dienstbier, Leiter des Regionalprogramms Golf-Staaten der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) mit Sitz in Jordanien: Die außenpolitischen Interessen Saudi-Arabiens hätten sich auch nach dem Beginn des Gaza-Krieges nicht grundlegend geändert. So käme das saudische Königreich dem Wunsch der USA nach einem guten Verhältnis zu Israel entgegen, weil es weiter auf eine Sicherheitspartnerschaft mit Washington setze. "Nach der Enttäuschung über die ausgebliebene US-Reaktion auf den Beschuss saudischer Erdölanlagen im Jahr 2019 verspricht sich Saudi-Arabien nun eine solidere und verlässlichere Sicherheitspartnerschaft mit den USA", so Dienstbier. "Dazu geht es Riad um US-Unterstützung bei seinem Nuklearprogram wie auch um Rüstungskooperation."

Ähnlich konkrete Interessen verfolge das Land auch direkt mit Blick auf Israel selbst, so Dienstbier. Im Zuge seiner wirtschaftlichen Modernisierung suche das Königreich einen engen wirtschaftliche Austausch mit den bedeutenden Volkswirtschaften in der Region. "Und da steht Israel natürlich ganz vorn, gerade mit Blick auf die Hochtechnologie. Auch gemeinsame Interessen an Handel und Infrastrukturprojekten verbinden die beiden Länder", so der deutsche Experte.

Warum dann aber die öffentlich klar vernehmbare Kritik an Israel? Philipp Dienstbier meint, Saudi-Arabien habe es in der jetzigen Situation für notwendig erachtet, eine andere Rhetorik zu gebrauchen. Denn das Königreich reklamiere einerseits einen Führungsanspruch in der islamischen Welt für sich und könne daher nicht ohne eine Perspektive für die Palästinenser die Beziehungen zu Israel normalisieren - ebenso stehe die Staatsführung aber seitens weiter Teile der eigenen Bevölkerung und der politischen Elite unter Druck. "So versucht Saudi-Arabien aufgrund dieser verschiedenen Perspektiven und Interessen eben jenen Balanceakt, wie wir ihn seit dem 7. Oktober beobachten", so Dienstbier.

Ausschnitt aus einem Modell der saudischen Retortenstadt Neom
Zukunftsinvestition: Ausschnitt aus einem Modell der saudischen Retortenstadt NeomBild: Eliot Blondet/ABACA/picture alliance

Auf regionale Stabilität angewiesen

Bei alldem hat Saudi-Arabien ein enormes Interesse daran, die Stabilität der Region trotz des Gaza-Krieges bestmöglich aufrechtzuerhalten. Denn Krisen und Kriege in der Nachbarschaft stehen den eigenen Modernisierungsplänen im Wege. Wie fragil Sicherheit und Stabilität derzeit jedoch in der gesamten Region sind, zeigen die Angriffe der Huthi-Milizen auf die internationale Schifffahrt im Roten Meer. Dass die Saudis mehrere von den Huthis Richtung Israel abgefeuerte Raketen abgefangen haben, habe "Saudi-Arabien zwar nicht bestätigt - aber eben auch nicht dementiert", so Dienstbier.   

Über Jahre hinweg hatte Saudi-Arabien eine internationale militärische Allianz gegen die vom Iran unterstützten Huthi-Milizen im Jemen geführt. Eine zuletzt ausgehandelte Waffenruhe hält weitgehend an, obwohl sie formell längst ausgelaufen ist. Neuerdings bestehen offenkundig sogar Chancen, dass der kriegsgeplagte Jemen dauerhaft befriedet wird.

Aber bis es soweit kommt, sichert Saudi-Arabien seine Grenzregion weiterhin mit größerem Aufwand ab. Entsprechend sind auch jene militärischen Anlagen noch in Betrieb, mit denen sich das Königreich in den vergangenen Jahren gegen Beschuss aus dem Jemen verteidigte.

"Das könnte natürlich mit dazu beigetragen haben, dass das Königreich die Angriffe der Huthis präventiv abgefangen hat", meint Philipp Dienstbier. So verstanden, wäre der Abschuss der von den Huthis abgefeuerten Raketen nicht zwingend als direktes militärisches Abfangmanöver zugunsten Israels zu werten - sondern eher als Selbstschutz, der aber indirekt auch Israel zugute kommt. 

Gaza-Streifen: Humanitäre Lage verschlechtert sich weiter

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika