Saudi-Arabien, Kashoggi und das Recht
3. März 2021Über 300 Seiten ist die Anzeige stark. Ein Jahr lang hat ein Team der Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen (RoG) recherchiert, mit Betroffenen gesprochen, Experten befragt, Hinweise gesammelt. Jetzt hat RoG die Anzeige dem Generalbundesanwalt in Karlsruhe übergeben- und die Vorwürfe wiegen schwer: Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman und mehrere hohe Regierungsvertreter sollen Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach dem Völkerstrafrecht begangen haben. Der grausame Mord an dem Journalisten Jamal Kashoggi im saudischen Generalkonsulat in Istanbul im Herbst 2018 ist da nur der herausragendste Fall. Es geht um die systematische Verfolgung von Journalisten generell in dem Land.
Die Anzeige bezieht sich auf den Umgang der saudischen Regierung mit insgesamt 35 Journalisten. Darunter ist auch der Blogger Raif Badawi. Der hatte es gewagt, die Rolle der Religion in Saudi-Arabien zu kritisieren. Dafür war Badawi 2013 nicht nur zu zehn Jahren Haft verurteilt worden, sondern auch zu 1000 Peitschenhieben. 2015 hatte die Deutsche Welle Badawi mit dem "Freedom of Speech Award" ausgezeichnet. Wegen der katastrophalen Lage für Journalisten belegt das Königreich auf der Rangliste der Pressefreiheit Platz 170 von 180 Ländern.
Den Haag scheidet aus
Verbrechen gegen die Menschlichkeit, so bezeichnet das deutsche Völkerstrafgesetzbuch Tatbestände, die "im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung" begangen werden. Vor knapp 20 Jahren wurde das Völkerstrafgesetzbuch in Deutschland verabschiedet. Gleich in Artikel 1 ist das sogenannte Weltrechtsprinzip prominent verankert. Das erlaubt es deutschen Staatsanwälten und Gerichten, Verbrechen auch dann zu verfolgen, wenn die Tat nicht in Deutschland begangen wurde und weder Täter noch Opfer Deutsche sind. Grundsätzlich wären Ermittlungen, wäre Strafverfolgung also möglich.
Dennoch gäbe es einen besseren Ort, um Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verfolgen: den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Aber Saudi-Arabien gehört nicht zu den Unterzeichnerstaaten des Rom-Statuts von 1998 und hat sich damit nicht dem Weltgericht unterworfen. Trotzdem kann auch in solchen Fällen Den Haag um Zug kommen. Aber nur, wenn der Fall vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen an den Internationalen Strafgerichtshof überwiesen wird. Im Fall Syriens zum Beispiel wurde das bislang durch ein russisches Veto verhindert.
Sanktionen gegen das Weltgericht
Im vergangenen Herbst kritisierte Bundesaußenminister Heiko Maas vor dem deutschen Bundestag, "dass die drei ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates USA, China und Russland den Internationalen Strafgerichtshof weiterhin nicht anerkennen". Maas bemängelte damals auch, dass Washington Vertreter des Internationalen Strafgerichtshofes sogar mit Sanktionen bedroht.
Also doch Karlsruhe. Bei der Bundesanwaltschaft sind zwei Abteilungen mit der Verfolgung von Völkerrechtsverbrechen befasst. Bislang vor allem im Kontext des syrischen Bürgerkrieges und der Verbrechen des sogenannten "Islamischen Staats". Die "war crimes unit" des Generalbundesanwalts gilt im europäischen Vergleich als besonders gut ausgestattet. Erst letzte Woche wurde ein ehemaliger Mitarbeiter des syrischen Geheimdienstes wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt.
Jetzt sei die Frage, betont der Jurist Wolfgang Kaleck, welche Ermittlungsansätze die Bundesanwälte haben. Als Direktor der Berliner Nichtregierungsorganisation ECCHR (European Centre for Constitutional and Human Rights) hat der Jurist Kaleck große Erfahrung mit Völkerrechtsstaftaten. Bei allen Strafanzeigen, die auf dem Weltrechtsprinzip beruhen, stelle sich die Frage, was eine deutsche Staatsanwaltschaft an Ermittlungen leisten könne. "Die Bundesanwaltschaft hat immer wieder klargestellt, dass sie natürlich nicht in allen Fällen von schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen, in denen Völkerstrafrechtsverletzungen zur Diskussion stehen, ermitteln kann", ruft Kaleck in Erinnerung.
Zudem hat das Völkerstrafrecht hohe Hürden aufgestellt. Einzelverbrechen werden nicht erfasst - selbst wenn sie so grausam sind wie der Mord an Jamal Kashoggi. Die Schwelle zum Völkerstrafrecht ist erst überschritten, wenn "systematische und ausgedehnte" Angriffe auf ganze Gruppen von Menschen nachgewiesen werden. Hier argumentiert RoG, Medienschaffende insgesamt würden als Gruppe verfolgt, allein auf Grund ihrer Tätigkeit. Weil dies Teil einer Regierungspolitik sei, die Journalisten von Kritik abhalten will, könne von Systematik gesprochen werden. Und da die Zahl an inhaftierten Journalistinnen und Journalisten im weltweiten Vergleich so hoch ist, sei die Verfolgung auch "ausgedehnt".
Zweierlei Maß
Allerdings gibt es auch eine politische Dimension. Wolfgang Kaleck ist sich sicher: "Es gelten unterschiedliche Maßstäbe, wenn es gegen mächtige Menschenrechtsverletzer geht. Und natürlich ist Saudi-Arabien einer der wirtschaftlich mächtigsten Staaten der Erde. Alles, was mit dem saudischen Königshof zusammenhängt, wird mit Samthandschuhen angefasst."
Ein Zufall wollte es, dass die Anzeige von RoG gegen den saudischen Kronprinzen kurz auf die Veröffentlichung eines US-Geheimdienstberichtes folgte, der Mohammed bin Salman ebenfalls schwer belastet. Die veränderte Haltung der neuen US-Administration könnte sich auch auf die Bundesanwaltschaft auswirken, spekuliert ECCHR-Direktor Kaleck. "Wenn die USA dieses Thema so offen ansprechen, dann könnte es schon sein, dass auch die Bundesanwaltschaft sich darauf einlässt."
Den Eingang der Anzeige hat die Bundesanwaltschaft bestätigt. Jetzt ist die Frage, ob tatsächlich ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wird. Es wäre ein starkes Signal.