Saudi verschwunden, Türkei verärgert
5. Oktober 2018Seitdem Jamal Khashoggi verschwunden ist, steuern die saudisch-türkischen Beziehungen in unruhige Gewässer. Am Dienstag hatte der bekannte Journalist das Istanbuler Konsulat seines Heimatlands Saudi-Arabien betreten und ward seitdem nicht mehr gesehen.
Zwei Tage später bestellte das türkische Außenministerium den saudischen Botschafter für die Türkei ein, um das Verschwinden des Journalisten aufzuklären, der sich häufig kritisch über die saudische Regierung und Kronprinz Mohammed bin Salman geäußert hatte. Der saudische Botschafter sagte bei dem Treffen, sein Land habe "keine Informationen" dazu, wo der Journalist sich aufhält, jedoch mit den türkischen Behörden kooperiere, um die "Umstände zu enthüllen", unter denen Khashoggi verschwunden war.
Khashoggi hatte das Konsulat betreten, um Unterlagen für seine bevorstehende Hochzeit abzuholen. Seitdem wurde er nicht mehr gesehen. Saudi-Arabien behauptet, er habe das Konsulat verlassen und sei dann verschwunden. Die Türkei vermutet hingegen, dass er immer noch in der Botschaft sei und möglicherweise verhaftet wurde.
Saudi-Arabien lässt Kritik verstummen
Dass Khashoggi in saudischem Auftrag in Istanbul entführt wurde, sei nicht auszuschließen, so Guido Steinberg, Nahost-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. "Die saudischen Behörden haben uns in den vergangenen Monaten öfters überrascht, als sie versuchten, sogar moderate Kritik im Königreich und im Ausland zum Verstummen zu bringen. Einen saudischen Bürger in einem Konsulat zu entführen, wäre für uns sicher die nächste Überraschung, nicht aber für Jamal Khashoggi. Ich kann nur nicht verstehen, dass er ein saudisches Konsulat überhaupt betreten hat."
Reporter ohne Grenzen nannte den Vorfall "extrem beunruhigend". Die Organisation schrieb in einer Mitteilung: "Wir rufen saudische und türkische Behörden gleichermaßen dazu auf, den Vorfall zu durchleuchten und alles zu tun, um sicherzustellen, dass dieser Journalist schnellstmöglich - frei - wieder auftaucht."
Der Fall könnte die ohnehin angespannten Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und der Türkei weiter verschlechtern. In der Katar-Krise im vergangenen Jahr stellte sich die Türkei auf die Seite des kleinen Emirats, dem die Saudis Terrorismusfinanzierung vorwarfen. Präsident Recep Tayyip Erdogan hegt Sympathien für die Muslimbruderschaft, die Saudi-Arabien als Terrororganisation einstuft.
Deshalb glaubt SWP-Experte Steinberg, dass Saudi-Arabien keine Angst vor diplomatischen Reaktionen der Türkei hätte, sollte es Jamal Khashoggi tatsächlich entführt haben. "Die Beziehungen zwischen Ankara und Riad waren schon eine ganze Weile angespannt", sagte Steinberg. "Die saudische Regierung ist offenbar nicht sonderlich beeindruckt von den möglichen Reaktionen auf eine mögliche Entführung."
Abdullah al-Bander, der für Sky News Arabia aus Abu Dhabi kommentiert, glaubt nicht, dass an den Entführungsvorwürfen etwas dran ist. Er sagte: "Die Türkei entführt türkische Dissidenten im Kosovo und der Ukraine und verhaftet 70 Menschen pro Woche. Die Türken halten das für ihr legitimes Recht." Er findet, dass jedes Mitglied der türkischen Regierung, das Saudi-Arabien bezichtigt, seine Dissidenten zu entführen, zuerst auf die eigene Regierung schauen solle.
Guido Steinberg stimmt der Sichtweise zu, dass die Türkei ihre Dissidenten im Ausland verfolgt. "Die türkische Regierung kann sich kaum beschweren, weil sie den Ruf hat, türkische Oppositionelle im Ausland zu verfolgen. Vor kurzem hat sie türkische Staatsbürger auf dem Balkan entführt."
Ein Schock für die Exilanten in der Türkei
In der Türkei finden wiederum Vertriebene aus der gesamten arabischen Welt Zuflucht, zum Beispiel ägyptische Muslimbrüder, die das Militärregiment des aktuellen ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi ablehnen. "Wenn Khashoggi tatsächlich im saudischen Konsulat entführt wurde, würde das eine Schockwelle durch die Emigranten-Community in der Türkei treiben", sagte Steinberg.
Die mögliche Entführung eines saudischen Bürgers in der Türkei könnte auch ein schlechtes Licht auf die türkische Regierung werfen: Sie müsste sich die Frage gefallen lassen, ob sie Exilanten vor ihren Verfolgern aus der Heimat schützen kann. Aus diesem Grund nehmen die türkischen Behörden das Thema sehr ernst. "Wenn die Türkei zulassen würde, dass auf ihrem Boden ausländische Regierungen Menschen entführen, würde ihre eigene innere Sicherheit stark darunter leiden", kommentierte David Hearst, Chefredakteur des Middle East Eye, der mit Khashoggi befreundet ist.
Jamal Khashoggi lebt im selbst gewählten Exil in Washington. Auf die Frage, ob die US-Regierung Druck auf die Saudis ausüben würde, um Informationen zu dessen Verbleib einzufordern, reagierte SWP-Experte Steinberg verhalten: "Die Trump-Regierung fährt seit ihrem Amtsantritt einen geradlinigen pro-saudischen Kurs", sagte Steinberg. "Ich kann mir kaum vorstellen, dass sie diese Linie wegen einer Person wie Khashoggi aufgibt."