Sonneborn: "Charlie Hebdo funktioniert nicht in Deutschland"
29. November 2016Deutsche Welle: "Charlie Hebdo" kommt nach Deutschland! Herr Sonneborn, kann das was werden?
Martin Sonneborn: Glaube ich nicht. "Charlie Hebdo" lebt ja im Moment sehr von diesem Anschlag. Das Heft war relativ klein geworden in Frankreich. Und erst seit diese Islamisten zugeschlagen haben, ist es wieder in aller Munde und die Auflage hat sich verdreihundertsiebenfacht. Ich glaube aber nicht, dass das in Deutschland funktioniert, weil es doch einen sehr französischen Bezug hat und eine sehr eigene Form von Humor präsentiert.
Geplante Auflage: 200.000 - doppelt so viel wie die "Titanic"! Herrscht schon Panik unter Deutschlands Satirikern?
Nein. Ich habe natürlich schon unseren Redakteuren geraten, sich ein paar Burkas anzuziehen und an den nächsten Kiosk zu gehen, "Charlie Hebdo" dort abzugreifen, zu bezahlen und dann zu verbrennen. Ich glaube, dass die Satire-Magazine, sollten die Franzosen sich hier durchsetzen, dann doch sehr ehrenwert nebeneinander Platz hätten.
Seit dem Terroranschlag im Januar 2015 ist das Blatt ein Symbol der Presse- und Meinungsfreiheit. Was spricht gegen den Satire-Import aus Frankreich?
Wohl einfach die Tatsache, dass man ihn nicht versteht. Sicher werden es ein paar Franzosen begrüßen, dass sie das Blatt einen Tag früher am Kiosk kaufen können. Aber ich glaube nicht, dass viele Deutsche diesen absoluten Frankreich-Bezug haben. Die Cartoons in "Charlie Hebdo" sind oft sehr unverständlich, sehr radikal. Ich bin "Charlie Hebdo" sehr dankbar, denn nach den Anschlägen in Paris haben wir bei "Titanic" 1.500 neue Abonnenten gewonnen, die sich für Satire interessierten. Insofern stehen wir dem freundlich gegenüber, aber ich gebe ihnen nicht viele Chancen.
Die Franzosen gehen schon etwas schärfer ran, nehmen bevorzugt die Muslime aufs Korn. Und dann gab's zuletzt die Karikatur, die Erdbebenopfer in Italien als Nudelgerichte darstellte… Darf Satire sowas?
Ja, Satire darf im Prinzip alles. Es ist nur die Frage, ob das ein guter Witz ist. Satire ist ja eine Kunstform und zielt auf die Abstellung eines Mangels. Das sehe ich in diesem Fall nicht. Ich habe diesen Witz flüchtig betrachtet und habe nicht verstanden, was das sollte – ich fand ihn weder lustig noch satirisch.
Sie haben mal eine Magisterarbeit über das "Satiremagazin Titanic und die Wirkungsmöglichkeiten von Satire" geschrieben. Welche Art von Satire braucht Deutschland?
Ich habe damals nachgewiesen, in den späten 1990er Jahren, dass Satire heutzutage, in dieser ausdifferenzierten Mediengesellschaft, absolut keine Wirkungsmöglichkeiten mehr hat. Dann habe ich mich aber schnell selbst widerlegt in meiner Tätigkeit als "Titanic"-Redakteur. Wir haben da Weltmeisterschaften ins Land geholt und rechtsradikale Landtagsabgeordnete zum Rücktritt bewegt. Der Papst hat "Titanic" verklagt. Man kann also offensichtlich einiges mit Satire bewirken, allerdings muss ich Sie enttäuschen: "Titanic" schreiben wir für uns selbst. Es hilft, mit diesem Irrsinn des zunehmend irrsinniger werdenden kapitalistischen Systems in Europa besser fertig zu werden, wenn man einen guten Witz machen kann über die Sachen, die einen stören.
Könnte nicht auch deutscher Humor ein Exportschlager werden? Sie sind da ja quasi der Pionier - als Vorsitzender der "Partei" im europäischen Parlament?
Ich weiß nicht, ob meine Kollegen mich hier als Botschafter des Humors wahrnehmen. Jedenfalls nicht alle - zum Glück. Aber ich glaube schon, dass deutscher Humor weltweit unterschätzt wird. Wir unterschätzen uns da, wie wir auch unsere Rolle in Europa unterschätzen. Wir sind der Taktgeber Europas. Und wir sind auch beim Humor viel weiter vorne, als wir glauben.
Martin Hans Sonneborn, Jahrgang 1965, ist Journalist, Satiriker und Politiker. Er war Chefredakteur der deutschen Satire-Zeitschrift "Titanic". Bei der Europawahl 2014 errang er für die Gruppierung "Die Partei" einen Sitz im Europaparlament. Mit Martin Sonneborn sprach Stefan Dege.