Satire-Aktion löst Mediendiskussion aus
22. Februar 2018Fake-News lassen sich im Zeitalter von Social Media und grenzenloser digitaler Kommunikation schneller verbreiten, als je zuvor. Das ist die - sattsam bekannte - schlechte Nachricht. Die gute Nachricht ist: Heutzutage lassen sich auch die Verbreiter unseriöser Nachrichten schneller bloß stellen. Beispiel gefällig? 1977 schlich sich der investigative deutsche Journalist Günther Wallraff unter dem Namen Hans Esser in die Redaktion der Bild-Zeitung ein, für zwei Monate.
Daraus wurde sein Enthüllungsbuch "Der Aufmacher". Es zeigte den mitunter recht freimütigen Umgang der Redaktion mit der Wahrheit und unlautere Methoden bei der Recherche. Vier Jahrzehnte später braucht es anscheinend nur eine Email und einige Anrufe eines Satiremagazins, um schlampiges Arbeiten bei der Bild-Redaktion zu entlarven - womöglich im Dienst einer eigenen politischen Agenda.
Brisante Mails aus russischer Trollfabrik?
Was war passiert? Dem Boulevard-Blatt wurde ein angeblicher Mailverkehr zugespielt, der scheinbar einen politischen Skandal erster Güte belegte. Demnach sollte der Mitgliederentscheid der SPD über eine Neuauflage der großen Koalition aus Union und Sozialdemokraten unter Mithilfe einer russischen Trollfabrik so manipuliert werden, dass am Ende die Nein-Stimmen vorne lägen. Ein politischer Paukenschlag wäre die Folge: Die SPD würde in die Opposition gehen, Kanzlerin Merkel möglicherweise ihr Amt verlieren und Deutschland auf Neuwahlen oder eine von der Opposition geduldete Minderheitsregierung CDU/CSU zusteuern.
Im Zentrum des vermeintlichen Skandals: Juso-Chef Kevin Kühnert. Der Vorsitzende der SPD-Nachwuchsorganisation versucht seit Wochen eine Neuauflage der großen Koalition zu verhindern. In dem ausgedachten Mailwechsel macht ihm ein angeblicher russischer Internet-Troll das Angebot, durch falsche Social-Media-Profile die Abstimmung zu beeinflussen. Über Facebook und andere Plattformen sollte Stimmung gegen die "GroKo" gemacht werden. Die Bild-Zeitung reagierte mit einer Titelgeschichte auf Seite 1 und titelte: "Schmutzkampagne in der SPD". Erst am Ende des Artikels stand der Hinweis des Bild-Autors, dass es für die Echtheit des Mailwechsels keinen Beweis gebe. Kurz darauf stellte sich heraus: Alles frei erfunden! Den angeblich so brisanten Schriftverkehr hatte das Satire-Magazin Titanic lanciert.
Ein Aufmacher in aufgeheizten Zeiten
Der vermeintliche Polit-Skandal mutiert nun zur Medien-Affäre. Längst geht es nicht mehr nur um schlampig recherchierende Bild-Journalisten, sondern um politische Vorlieben eigentlich unabhängiger deutscher Medien, deren Aufgabe es sein sollte, möglichst wahrheitsgetreu und neutral zu berichten. So reagierte Bild-Chefredakteur Julian Reichelt auf Twitter mit den Worten, natürlich dürfe Satire so etwas, aber sie versuche sich hier zu profilieren, "indem sie journalistische Angebote bewusst zu diskreditieren versucht."
Doch er kann den Vorwurf nicht ausräumen, dass seine Zeitung Anschuldigungen nahezu ungeprüft übernommen und aus diesem Material einen Aufmacher zu einem zentralen Thema deutscher Innenpolitik gemacht hat. So verwundert es nicht, dass in diesen aufgeheizten Zeiten der Verdacht im Raum steht, die Bild-Zeitung hätte die Titanic-Mails besonders begierig aufgegriffen, weil sie zur konservativen politischen Linie der Zeitung passten.
Kein Dauerfeuer auf Journalismus
Wie weit dürfen Medien in Deutschland gehen, wenn sie eine politische Agenda haben, fragt sich die deutsche Öffentlichkeit. Frank Überall, Vorsitzender des Deutschen Journalistenverbandes DJV, hat gegenüber der DW eine klare Antwort: "Man darf natürlich kommentieren so viel man will und auch irgendwo eine redaktionelle Linie haben. Auf der anderen Seite müssen natürlich die Fakten stimmen."
Zwar freut sich Überall über die - seiner Ansicht nach - späte Entschuldigung von Bild-Chef Reichelt. Bei einem Blatt von der Massenwirkung der Bild- Zeitung aber gelte: "Das holt natürlich eine Titelgeschichte der Bild-Zeitung nicht so ohne weiteres zurück." In der Diskussion steht aber nicht nur das Boulevard-Blatt, auch die Rolle der Titanic wird hinterfragt. Denn das Satire-Magazin müsse sich ebenfalls an journalistischen Ansprüchen messen lassen. "Es ist bitterböse Satire und insofern ist das in diesem Genre durchaus zulässig", stellt DJV-Chef Überall klar, aber "ich appelliere auch an die Kolleginnen und Kollegen, sich bewusst zu machen, dass man kein Dauerfeuer auf den Journalismus eröffnen kann."
Schlacht um Deutungshoheit auf Twitter
Die Ironie an der Geschichte ist: Der Titanic-Autor, der hinter den vermeintlichen russischen Mails stand, ließ sich ausgerechnet von Russia Today interviewen - dem russischen Staatssender, der den deutschen Medien oft politisch gezielte Meinungsmache unterstellt. Auf Twitter tobt seither eine Schlacht: Viele, die den Titanic-Coup eigentlich bejubeln, sehen die Satirezeitschrift nun selbst diskreditiert.
Frank Überall lässt sich dazu nur so viel entlocken: "Wenn die Titanic meint, sie müsse mit Russia Today sprechen und das sozusagen innerhalb ihres satirischen Auftrages ihnen Spaß verschafft, sollen sie das gerne tun." Für ihn sei Russia Today kein ernst zunehmender journalistischer Player. Während sich Bild-Zeitung und Titanic nun beharken und sogar von rechtlichen Schritten die Rede ist, gibt sich eine der beiden vermeintlichen Hauptfiguren der fingierten Russenmails gelassen: Juso-Chef Kevin Kühnert. Dem Nachrichtenmagazin Spiegel sagte er: "Wir haben von Anfang an gesagt, dass das eine plumpe Fälschung ist. Jetzt ist es halt ein witziger Fake."