Sanktionen sind nicht vom Tisch
13. September 2004Die europäischen Außenminister haben am Montag (13.9.2004) auf ihrer Sitzung in Brüssel den Iran aufgefordert, von einer Anreicherung von Uran abzusehen, was die Vorstufe zur Herstellung von Atomwaffen sein könnte. Das Schließen des so genannten Brennstoffkreislaufes, also der Beherrschung der gesamten Palette der Atomtechnik einschließlich der Urananreicherung, verstößt nach Ansicht der Europäischen Union (EU) gegen eine Vereinbarung, die der Iran im Oktober 2003 mit den drei Außenministern Großbritanniens, Frankreichs und Deutschlands getroffen hatte.
Kein Automatismus
Bundesaußenminister Joschka Fischer warnte die Regierung in Teheran vor einer "Fehlkalkulation". Ein direktes Ultimatum sei aber nicht gestellt worden, sagte Fischer, sich diplomatisch windend: "Ich denke, das wird, wenn man sich die Gesamtsituation anschaut, bezogen auf den November eine Entscheidungssituation geben, auch wenn ich hier keinen Automatismus sehe."
Im Klartext: Bis zur nächsten Sitzung des Gouverneursrates der Atomenergiebehörde IAEA in Wien im November 2004 erwarten die Europäer und vor allem die USA eine klare Verzichtserklärung vom Iran. Die USA verdächtigen den Iran schon länger, Atomwaffen bauen zu wollen. Sollte der Iran an seinem Atomprogramm unverändert festhalten, hätte das möglicherweise schwere Konsequenzen.
Risiko einer Fehlkalkulation
Wenn die USA das Problem Iran von der Atomenergiebehörde in den Weltsicherheitsrat verlagerten, müsste der Iran mit Sanktionen, im schlimmsten Falle vielleicht mit Militäraktionen rechnen. In diesem Zusammenhang sprach Fischer mehrmals vom Risiko einer Fehlkalkulation in Teheran, was die Folgen seiner Weigerung angehe, auf Urananreicherung zu verzichten.
Der Iran hingegen stellt sich auf den Standpunkt, dieser Verzicht sei den drei europäischen Außenministern nie dauerhaft, sondern nur zeitweise zugesagt worden. Fischer wies in Brüssel diese Auslegung zurück. Er sei schließlich dabei gewesen, es sei natürlich um eine dauerhafte Aussetzung des Atomprogramms gegangen. Noch sei die Einschaltung des UN-Sicherheitsrates zu vermeiden, so die EU. Auch Russland hat einen solchen Schritt als verfrüht bezeichnet.
Vermittlung im Sudan
Auch beim Thema Sudan will die EU sich weiter auf Vermittlung und Einflussnahme statt auf Konfrontation verlassen. US-Außenminister Colin Powell spricht bereits von Völkermord an der schwarzen Bevölkerung, der von der sudanesischen Regierung geduldet werde. Die EU nimmt das Wort Völkermord aber nicht in den Mund. Fischer wiederholte stattdessen seine Wortschöpfung vom völkermörderischen Potenzial.
Bei festgestelltem Völkermord wäre die Staatengemeinschaft laut UN-Charta zum Handeln aufgefordert. Der Druck auf das Regime in Khartum müsse aufrechterhalten werden, so der deutsche Außenminister weiter: "Die Entwaffnung, die Sicherheitslage vor Ort, vor allem für Frauen und Kinder, ist alles andere als positiv. Hier muss weiter die volle Verantwortung Khartums eingeklagt werden, der Regierung, die für diese Sicherheit verantwortlich ist."
"Ein wesentlicher Punkt"
Die Strategie des wortreichen Mahnens verfolgt die EU nun schon seit Monaten erfolglos. Zurzeit stellt die Union eine Liste möglicher Sanktionen zusammen, aber wann und ob sie beschlossen oder konkret angedroht werden, wurde nicht festgelegt. Immerhin sind sie noch Thema, so der Außenminister: "Das ist ein wesentlicher Punkt, dass angesichts dieser Situation Sanktionen nicht vom Tisch genommen werden dürfen, im Gegenteil."
Im Weltsicherheitsrat drängen die USA darauf, den Sudan erneut zu verurteilen, nachdem ein von den Vereinten Nationen (UN) gesetztes Ultimatum verstrichen ist. China und Russland blockieren. Die Europäer zögern noch. Die Vertreibung in der Darfur-Region durch die Dschandschawid-Milizen, unterstützt von der sudanesischen Luftwaffe, gehe ungebremst weiter, berichtete in Brüssel eine Delegation des EU-Parlaments, die gerade aus dem Sudan zurückgekehrt ist.