Später Triumph der Kunst
22. August 2013Alles glüht vor Farbe: blauschwarze Lupinen, roter Mohn, rosa Pfingstrosen, Gerbera, grüner Rasen und ein blauer Himmel. Emil Noldes Werk "Blumengarten" ist nur eines von 42 Bildern, die derzeit in der Ausstellung "Color gone Wild" im Israel Museum in Jerusalem zu sehen sind. Sie gehören dem Züricher Pelzhändler und Finanzexperten Werner Merzbacher und sind Teil einer der weltweit bedeutendsten Sammlungen von Impressionisten, Fauvisten und Expressionisten. Neben ihrer unbändigen Farbigkeit machen die Sammlung zwei weitere Gründe einzigartig: Wohl kaum eine andere Kollektion spiegelt zum einen so sehr die Person des Sammlers und dessen Biographie wieder - und offenbart zum anderen seine emotionale Verbundenheit mit den Schicksalen der Künstler.
Entartete Kunst
Entartete Kunst nannten die Nazis das, was die deutschen Expressionisten um die Gruppen "Der Blaue Reiter" und "Die Brücke" Anfang des 20. Jahrhunderts schufen. Ihre Werke, Ausdruck eines freien persönlichen, sozialen und künstlerischen Geistes, wurden verbannt, zerstört und ausgemustert. Manche Künstler wie Nolde tauchten ab in die Anonymität oder waren, wie Paul Klee, gezwungen zu emigrieren. Viele erkrankten an diesem Schicksal: Ernst-Ludwig Kirchner etwa - 1937 zerstörten die Nazis rund 600 seiner Bilder - nahm sich aus Verzweiflung das Leben. "Umso erstaunlicher, dass ihre Bilder trotzdem Lebensfreude und Optimismus ausstrahlen", sagt die Kuratorin der Ausstellung in Jerusalem, Adina Kamien-Kazhdan. Nach 15 Jahren hat sie die Bilder Merzbachers nun zum zweiten Mal nach Israel geholt - dieses Mal mit Fokus auf die Expressionisten und Fauvisten. Der Fauvismus, geprägt durch Maler wie Henri Matisse, Maurice de Vlaminck oder André Derain, war eine der ersten Bewegungen der klassischen Moderne. Typisch für fauvistische Bilder sind ihre leuchtenden Farben, die bewusst nicht mehr der realistischen Illusion von Objekten dienen möchten.
Merzbacher lehnt Anfragen aus Deutschland ab
Wer im Internet "Werner Merzbacher, Ausstellung, Deutschland" googelt, bekommt folgende Optionen: "Werner Merzbacher, Ausstellung" - "Deutschland" hingegen ist stets durchgestrichen. Der einfache Grund: Die großartige Sammlung ist noch niemals in Deutschland gezeigt worden. Merzbacher hat bislang sämtliche, noch so flehende Anfragen deutscher Museen abgelehnt. Lediglich einzelne Bilder leiht er aus. Und das wird auch so bleiben - denn ein dunkler Teil seines Lebens hat mit seinem Geburtsort Deutschland zu tun: Er kam in Öhringen bei Heilbronn zur Welt, als Sohn des jüdischen Arztes Julius Merzbacher.
"Mein Vater fühlte sich als Deutscher, er war beliebt und angesehen - bis die Nazis an die Macht kamen", erzählt der 85-Jährige am Rande der Ausstellungseröffnung in Jerusalem. Die Diskriminierungen und Schikanen häuften sich. Als in der Kristallnacht die Synagogen brannten und die jüdischen Geschäfte zerstört wurden, schickten die Eltern Werner Merzbacher mit einem Kindertransport in die Schweiz, wo sein Bruder bereits war. "Es sollte nur für ein paar Monate sein", sagt Merzbacher. Aber die Geschwister sahen die Eltern nie wieder. Sie wurden deportiert und in Auschwitz ermordet. Was von der Familie übrig blieb, sind ein paar wenige Fotos aus glücklichen Tagen - und die letzte Postkarte aus dem Jahr 1942: "Wir hoffen, dass bald alles besser wird, in inniger Liebe, deine Mutter."
In Öhringen trägt eine Straße den Namen des Vaters
Noch heute fällt es dem agilen Mann schwer, über den Verlust seiner Eltern und seine Kinder- und Jugendzeit als Waise in der Schweiz zu sprechen. "Ich habe vieles verdrängt, und tue es immer noch", räumt er ein. Andernfalls hätte er sich kein "positives und kreatives Leben" aufbauen können. Merzbacher ist nur wenige Male nach Deutschland zurückgekehrt: Nach Konstanz etwa, zur Einweihung der "Stolpersteine" mit den Namen seiner Eltern. Und genau zweimal in seinen Geburtsort Öhringen - dort kam sein Vater nach 55 Jahren zu Ehren, indem man eine Straße nach ihm benannte. Doch nicht einmal das lief offenbar reibungslos über die Bühne: Offensichtlich gingen der Entscheidung im Gemeinderat unschöne Debatten voraus, wie der Lehrer Walter Meister später in einem Vortrag über "Öhringen und seine Juden" kritisierte: "Die Art und Weise jedoch, wie man mit solchen Themen umging, ließ auch verständnisvolle Betrachter auf Gedankenlosigkeit und mangelnde Sensibilität schließen."
Es hat gedauert, bis Merzbacher den Weg ans Licht fand. Inzwischen habe er den Deutschen verziehen, "aber vergessen kann ich nicht". Die Kunst hat geholfen. "Mein Optimismus und meine Lebensfreude waren verschüttet, bis ich diese Farben sah", sagt er. Umso unbändiger brach dann beides aus ihm heraus. "Ich weiß niemanden, der sich so mit seiner Sammlung identifiziert", sagt Kuratorin Adina Kamien-Kazhdan. Sie kennt Merzbacher seit seiner ersten Ausstellung in Israel 1998. Seine Sammlung gleiche einem Selbstportrait - sie zeige, wie sich Merzbacher im Laufe der Jahre verändert habe. "Anfangs sammelte er noch viele düsterere Gemälde." Kamien-Kazhdan hat ihre eigene Interpretation des Verhältnisses Merzbachers zu seinen Bildern: "Kunst, Künstler und Sammler triumphieren gemeinsam über die Nazis – die Menschlichkeit hat letztlich gesiegt."