Sachsen-Anhalt ist nicht Deutschland
7. Juni 2021Außerhalb Deutschlands dürfte Reiner Haseloff wohl eher unbekannt sein. Auch in der Bundesrepublik ist kaum davon auszugehen, dass alle 83 Millionen hier lebenden Menschen mit dem Namen des Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt etwas anfangen können. Das spricht überhaupt nicht gegen den Christdemokraten (CDU) und Parteifreund von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Haseloff ist eben nur einer von 16 Regierungschefs - und dann noch in einem der kleineren Bundesländern mit gerade mal 2,2 Millionen Einwohnern.
Dass er plötzlich überregional und vielleicht sogar international ein wenig im Rampenlicht steht, hat mit seinem unerwartet klaren Wahlsieg (37,1 Prozent laut vorläufigem amtlichen Endergebnis) am Sonntag zu tun. Und der damit aus CDU-Sicht verbundenen Hoffnung, auch die Bundestagswahl am 26. September für sich entscheiden zu können. Eine Hoffnung, die unter Konservativen in den zurückliegenden Monaten angesichts der immer stärker werdenden Grünen eher schrumpfte. Am Tag nach seinem in dieser Deutlichkeit unerwarteten Triumph sagt der seit zehn Jahren in der Landeshauptstadt Magdeburg regierende Haseloff: "Das ist genauso erreichbar für die Bundestagswahl, wenn wir geschlossen marschieren."
Ins gleiche Horn bläst CDU-Parteichef Armin Laschet, der im Herbst als Unions-Kanzlerkandidat die Nachfolge der nach 16 Jahren nicht mehr antretenden Angela Merkel anstrebt. Von einem "großartigen Wahlerfolg" spricht der amtierende Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens, des bevölkerungsreichsten deutschen Bundeslandes - mit 18 Millionen Menschen wohnen dort rund achtmal so viele wie in Sachsen-Anhalt. "Der Kurs der Mitte wird um keinen Millimeter verändert", betont Laschet, dessen Union sich in bundesweiten Umfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit den Grünen und deren Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock liefert.
Meinungsforscher: Grüne sind keine Volkspartei
Baerbocks Aussichten, als zweite Frau nach Angela Merkel deutsche Regierungschefin zu werden, schätzt der Meinungsforscher Manfred Güllner nur noch als gering ein. Nach dem schwachen Abschneiden der Grünen in Sachsen-Anhalt (5,9 Prozent) sieht der Chef des Forsa-Instituts kaum noch Chancen, bei der Bundestagswahl die Nummer eins zu werden. "Sie können das nur noch schaffen bei einem Schwächeanfall der CDU - etwa bei neuen Skandalen wie zuletzt der Maskenaffäre oder wenn Armin Laschet gravierende Fehler unterlaufen", sagte Güllner der Nachrichtenagentur Reuters.
Das Defizit der Grünen im Osten sei ein Indikator dafür, weit von einer Volkspartei entfernt zu sein. "Sie sind die Partei des Bildungsbürgertums, von Menschen in den urbanen Metropolen." Der Experten-Meinung zum Trotz glaubt die Umweltpartei weiter an den ganz großen Wurf. Ihre Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, ließ im TV-Sender ARD keinen Zweifel daran, weiterhin auf das Mega-Thema Klima-Krise zu setzen. Die mache ja nicht Halt vor Ost oder West. Es gehe natürlich auch um zukunftsfähige Arbeitsplätze. "Dass wir im ländlichen Raum dafür sorgen, dass die Verkehrsanbindung stimmt, die Gesundheitsversorgung. Dass in Infrastruktur gerade für Kinder investiert wird." Das werde die Aufgabe sein.
CDU feiert ihren Kanzlerkandidaten Armin Laschet
Der Vorsitzende der Unionsfraktion (CDU/CSU) im Bundestag, Ralf Brinkhaus, sieht nach der Wahl im kleinen Sachsen-Anhalt für ganz Deutschland seinen Kanzlerkandidaten im Vorteil. Das Ergebnis zeige: "Die CDU ist regierungsfähig, auch eine CDU unter dem Bundesvorsitzenden Armin Laschet." Jetzt habe man gewonnen. Und deshalb sei es auch ein Sieg von Armin Laschet.
Ob diese Gleichung wirklich so leicht aufgeht, wird sich in 111 Tagen zeigen, am 26. September. Dann sind 60,4 Millionen Bundesbürger wahlberechtigt. Im kleinen Sachsen-Anhalt waren es weniger als 1,8 Millionen und nur 60 Prozent haben ihre Stimme überhaupt abgegeben. Das sind Fakten und Faktoren, an die sich nicht nur die Grünen klammern, wenn sie auf bessere Ergebnisse hoffen. Auch die Sozialdemokraten (SPD) glauben noch immer an eine Trendwende zu ihren Gunsten.
SPD-Generalsekretär singt ein Loblied auf Olaf Scholz
Ihr Generalsekretär Lars Klingbeil beschwor im Fernsehen der ARD die - seiner Meinung nach - Vorzüge des SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz. Der Finanzminister im Kabinett Angela Merkels habe gerade in London eine Einigung bei der Mindeststeuer für Digital-Konzerne Amazon, Google und Facebook herbeigeführt. Die würden nun endlich mal in die Verantwortung genommen werden. Das sei ein großer Erfolg. "Und den kann man nur haben durch internationale Vernetzung, durch Regierungserfahrung", meint Klingbeil. Bei einer Direktwahl des Bundeskanzlers, die es in Deutschland aber nicht gibt, hätte Scholz gegenüber Laschet und Baerbock durchaus Chancen. Dass seine relative Beliebtheit in der Bevölkerung nicht auf die SPD insgesamt abfärbt, zieht sich jedoch seit Monaten wie ein roter Faden durch Umfragen.
So viel CDU/CSU, Grüne und SPD rechnerisch und inhaltlich voneinander trennen mag, in einem Punkt sind sie sich einig: Die Alternative für Deutschland (AfD) wollen sie unter allen Umständen von der Macht fernhalten. Dass die Rechtspopulisten Teil einer Landesregierung werden könnten, ist aber wohl trotz Wahlergebnissen wie jetzt in Sachsen-Anhalt (20,8 Prozent) ausgeschlossen. Denn keine andere Partei will mit der AfD koalieren.
Die AfD bleibt in der Opposition - überall
Selbst wenn die wegen ihrer rechtsextremistischen Strömungen vom Verfassungsschutz beobachtete Partei am Sonntag gewonnen hätte (ohne dabei die absolute Mehrheit zu holen), wäre sie mangels Partner in der Opposition geblieben. Die AfD selbst bezeichnet sich als bürgerlich-konservativ und hält die ablehnende Haltung der anderen Parteien für ungerechtfertigt: "Kein Mensch weiß, was eine stärkere Abgrenzung nach rechts ist", sagte der Bundestagsfraktionsvorsitzende Alexander Gauland im ARD-Fernsehen. In Sachsen-Anhalt habe seine Partei eine klare Politik gemacht; die sei belohnt worden. "Alle anderen Fragen sind rein rhetorisch."
Bei der Bundestagwahl kann die AfD laut Umfragen mit einem Ergebnis zwischen zehn und 15 Prozent rechnen. Ein Niveau, auf dem sich inzwischen auch wieder die Freien Demokraten (FDP) bewegen. In Sachsen-Anhalt glückte ihnen nach zehn Jahren Abstinenz die Rückkehr ins Parlament. Der Bundesvorsitzende Christian Lindner sieht darin ein "wichtiges politisches Signal in diesem Wahljahr über die Landesgrenzen hinaus". Dreieinhalb Monate vor der Bundestagswahl scheint diese Einschätzung keineswegs übertrieben zu sein - wenn man Wahlergebnisse und Umfragen als Maßstab nimmt.
Für die Linke wird es immer enger
Für eine andere politische Kraft sieht es jedoch alles andere als rosig aus: die Linke. Die frühere Volkspartei im ganzen Osten sackte in Sachsen-Anhalt von über 16 auf elf Prozent ab. Und die jüngsten Umfragen für die Bundestagswahl sind ebenfalls eher entmutigend: Die Fünf-Prozent-Hürde, die nötig ist, um in Fraktionsstärke ins Parlament einzuziehen, wird nur noch knapp übersprungen.