Südkorea legalisiert Abtreibung
11. April 2019Als die Verfassungsrichter das Urteil verkündeten, brachen vor dem Gebäudeeingang dutzende junge Frauen in Freudentränen aus. "Wir haben dafür schon seit 2010 gekämpft", sagt die Aktivistin Na-young, "es ist ein historischer Moment. Unter dem bisherigen Gesetz haben schließlich vor allem Frauen gelitten". Nun nach 66 Jahren hat Südkoreas Verfassungsgericht sein rigides Abtreibungsverbot aufgehoben.
Ein Richtergremium entschied, dass die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen die Entscheidungsfreiheit von Frauen verletzt habe. "Die Entscheidung über eine Schwangerschaft passiert nicht in einem luftleeren Raum, sondern hängt von den Umständen der Schwangeren ab. Wenn das Recht auf Schwangerschaftsabbruch nicht gegeben ist, kann dies zum Verlust der Menschenwürde führen", hieß die Begründung.
Zwei von insgesamt neun Verfassungsrichtern stellten sich der Entscheidung jedoch entgegen: "Dass wir überhaupt über Abtreibungsgesetze debattieren können, ist nur möglich, weil wir von unseren Müttern geboren wurden. Wir alle waren einmal Föten", heißt es in den Gerichtsdokumenten. Die benötigte Zwei-Drittel-Mehrheit konnten sie jedoch nicht verhindern.
Abtreibungen illegal, aber weit verbreitet
Vor dem Gerichtshof haben sich hunderte Demonstranten versammelt, die - wie die hochpolarisierte Gesellschaft - in zwei unvereinbare Lager geteilt waren. Den jubelnden feministischen Gruppen stehen evangelikale Christen gegenüber, die sich zutiefst enttäuscht über das Gerichtsurteil zeigen. "Abtreibung ist Mord!", schreit die aufgebrachte Menge. Wie zur Untermauerung ihrer Position haben viele demonstrierende Mütter ihre Kleinkinder mitgebracht - und ebenfalls Protestschilder in die Hand gedrückt.
Das umstrittene Anti-Abtreibungsgesetz trat erstmals 1953 in Kraft. 20 Jahre später wurde es leicht modifiziert, sodass nun Schwangerschaftsabbrüche in einigen Ausnahmefällen legal wurden, etwa bei Vergewaltigungen, Inzest oder Erbkrankheiten. Bis zum heutigen Tage können jedoch Ärzte für durchgeführte Abtreibungen mit bis zu zwei Jahren Gefängnis bestraft werden, schwangere Frauen mit einem Jahr Haft oder einer Geldstrafe von 1500 Euro. De facto wurde das Gesetz jedoch selten ausgeführt. In den letzten fünf Jahren wurden lediglich 64 Leute strafrechtlich verfolgt, davon letztlich nur zehn verurteilt - acht zu Geld-, zwei zu Haftstrafen.
Zwar sind Abtreibungen in Südkorea illegal, aber durchaus weit verbreitet. Laut einer aktuellen Umfrage des Gesundheitsministeriums unter zehntausend Frauen gaben jede Fünfte an, abgetrieben zu haben. Offiziell bieten Krankenhäuser solche Dienste nicht an, doch in den Behandlungsräumen finden diese sehr wohl statt. Alternativ würden junge Frauen laut Angaben von Menschenrechtsorganisationen nach China reisen, um dort Schwangerschaftsabbrüche durchführen zu lassen.
Mehrheit gegen Abtreibungsverbot
Trotz allem kommt ein Schwangerschaftsabbruch in Korea immer noch mit einem sozialen Stigma daher. Dabei spiegelt die Entscheidung des Verfassungsgerichts auch die sich verändernden Wahrnehmungen wieder. Laut einer Studie des Marktforschungsinstituts Realmeter von der letzten Woche würden 58 Prozent aller Koreaner Abtreibungen legalisieren wollen. Nur mehr 30 Prozent das Verbot aufrechterhalten. Wie sehr das Thema die Jugend des Landes interessiert, beweist ein Blick auf die sozialen Netzwerke. Neun der zehn trendigsten Hashtags auf Südkoreas Twitter handelten von dem Urteil des Verfassungsgerichts.
Trotz allem bleibt Südkorea eine konservative, zutiefst patriarchale Gesellschaft. Im Global Gender Gap des Weltwirtschaftsforums 2018 rangiert das Land auf Platz 115, hinter Ländern wie China, Indien und Japan. Den Glass Ceiling Index des britischen Economist führt Südkorea sogar unter allen OECD Ländern an letzter Stelle an. In keiner anderen entwickelten Volkswirtschaft ist es für Frauen schwieriger, beruflich aufzusteigen.
Gleichzeitig hat Südkorea eine der niedrigsten Geburtenraten der Welt. Statistisch gesehen bekommt eine Südkoreanerin nur 0,98 Kinder, was auch an den massiven Kosten für Bildung und dem schlecht ausgebauten Versorgungsnetz für junge Familien liegt. Viele Frauen jedoch fühlen sich von der Politik, die höhere Geburtenraten fordert, zu "Gebärmaschinen" degradiert.
Rückenwind für Feminismus
"Das Urteil ist wichtig, schließlich geht es uns um unsere Selbstbestimmung. Doch eigentlich kommt es viel zu spät", sagt die 23-jährige Lee Ah-hyun. Als sie von dem Urteil erfuhr, arbeitete sie gerade in einer Bäckerei, wo sie sich etwas zum Studium dazu verdient. "Alle Mitarbeiterinnen sind in Jubel ausgebrochen", sagt sie im Gespräch mit der Deutschen Welle.
In den Abendstunden ist die Lehramtstudentin in die Seouler Innenstadt gezogen, wo sich rund hundert junge Menschen versammelt haben und bei Musik und Tanz feiern. "Ich habe zwei Plakate mit gegensätzlichen Botschaften vorbereitet. Heute früh konnte ich ja nicht wissen, ob wir an diesem Tag feiern - oder unseren Wut lautstark rauslassen würden", sagt sie.
Der Feminismus sei in Korea erst seit wenigen Jahren so richtig angekommen. Jedoch ist er noch immer ein stigmatisierter Begriff, meint die junge Koreanerin: "Arbeitgeber überprüfen die sozialen Netzwerke. Wenn du dich dort als Feminisitin outest, wirst du nach dem Bewerbungsgespräch abgelehnt. Ältere männliche Personalchefs wollen überhaupt nicht mit dir reden."