Rückschlag für Netanjahu
4. Mai 2015Die schwierige Regierungsbildung in Israel geht in die entscheidende Phase. Vor Ablauf der Frist am Mittwoch um Mitternacht bemüht sich der konservative Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bei Koalitionsverhandlungen um eine regierungsfähige Mehrheit – und erlitt nun einen schweren Rückschlag: Der Vorsitzende der Partei Unser Haus Israel, Avigdor Lieberman, lehnte eine Regierungsbeteiligung ab und legte auch das Amt des amtierenden Außenministers nieder, das er noch bis zur Regierungsbildung ausfüllen sollte.
Lieberman begründete seinen Schritt unter anderem damit, dass Netanjahu nach seinen Informationen eine große Koalition mit dem Mitte-Links-Bündnis anstrebe. Der Vorsitzende des Zionistischen Lagers, Izchak Herzog, lehnt dies allerdings bislang strikt ab. Lieberman galt in der Vergangenheit als Verbündeter Netanjahus, hat ihn allerdings wegen seines angeblich zu zögerlichen Vorgehens im jüngsten Gaza-Krieg scharf kritisiert.
Problem Nummer zwei
Liebermans überraschender Schritt bedeutet, dass Netanjahu zunächst voraussichtlich nur eine schmale rechts-religiöse Koalition mit einer hauchdünnen Mehrheit von 61 von insgesamt 120 Sitzen im Parlament bilden kann. Theoretisch könnte Netanjahu damit zwar regieren, doch er hat noch ein zweites Problem: Der Vorsitzende des potenziellen Koalitionspartners Kulanu, Mosche Kachlon, hat betont, er würde einer solchen kleinen Regierung nicht beitreten.
Bisher hat Netanjahus Likud mit zwei Parteien Vereinbarungen unterzeichnet - der Mitte-Rechts-Partei Kulanu, die mit 10 von 120 Mandaten im Parlament voraussichtlich der größte Koalitionspartner wird, sowie dem streng religiösen Vereinigten Tora-Judentum (6 Sitze). Der Likud verhandelt mit einer weiteren religiösen Partei, Schas (7 Mandate) und der Siedlerpartei Das Jüdische Haus (8 Mandate).
Kulanu-Chef Mosche Kachlon sollte Finanzminister werden. Er wolle Reformen im Wohnungswesen und im Bankensektor vorantreiben und Unterschiede in der israelischen Gesellschaft verringern, kündigte Kachlon nach Angaben seiner Partei und des Likud an.
Auf der ultraorthodoxen Website Kikar HaSchabat hieß es derweil, die Vereinbarung des Likud mit dem Vereinigten Thora-Judentum sehe die Abschaffung geplanter Strafen für Wehrdienstverweigerer vor. Ein im vergangenen Jahr verabschiedetes Gesetz sah vor, dass ab 2017 auch ultraorthodoxe Juden entweder den Wehrdienst oder Zivildienst ableisten müssen. Diese waren bislang davon ausgenommen.
Netanjahus rechtsorientierter Likud war bei der Wahl am 17. März mit 30 Sitzen stärkste Kraft in der Knesset geworden. Vor der Wahl hatte Netanjahu einer Zwei-Staaten-Lösung eine Absage erteilt. Obwohl er seine Äußerungen nach seinem Sieg relativierte, rechnen Beobachter bei einer rein rechts-religiösen Regierung in Israel kaum mit Fortschritten im Friedensprozess mit den Palästinensern.
stu/uh (ap, afp, dpa)