Großes Rätselraten
16. April 2012International sind die Putschisten isoliert: UNO, Afrikanische Union und auch die USA haben in den vergangenen Tagen die Erhebung der Militärs verurteilt. Die portugiesischsprachige Staatengemeinschaft CPLP (Comunidade dos Países de Língua Portuguesa) drohte am Wochenende Sanktionen an, sollte das Land nicht wieder zur verfassungsgemäßen Ordnung zurückkehren.
Für Mamadou Djaló Pires, den Außenminister der alten Regierung Guinea-Bissaus, die am Donnerstag (12.04.2012) durch die Militärs abgesetzt wurde, ist klar: Verantwortlich für den Putsch ist der Chef der Streitkräfte des Landes, General António Indjai: "Das selbsternannte Militärkommando hat behauptet, dass General António Indjai festgenommen worden sei. Das ist unserer Meinung nach aber eine Farce. Er selbst steckt hinter dem Putsch."
Neuer Machtkampf alter Kontrahenten
Die Ereignisse der letzten Tage erinnern an die Krise des Jahres 2010. Bereits damals hatte eine Gruppe von Militärs, unter ihnen Indjai, Premierminister Carlos Gomes Junior in ihre Gewalt gebracht. Auf internationalen Druck mussten die revoltierenden Militärs den Premier nach einigen Stunden wieder freilassen, doch der damals amtierende Stabschef der Militärs, Zamora Induta, blieb monatelang in Haft und wurde von den eigenen Truppen als Chef abgesetzt.
Diese Episode aus dem Jahr 2010 zeigt, wie straflos und unkontrolliert die Militärs in Guinea-Bissau handeln können. Normalerweise würde solch eigenmächtiges Handeln mit Haft sowie Degradierung der beteiligten Militärs enden. Nicht dagegen in Guinea-Bissau: Hier ließ sich einer der Drahtzieher, António Indjai, damals vom stellvertretenden Generalstabschef zum neuen Chef der Streitkräfte befördern.
Spätestens seit diesem Kräftemessen 2010 ist klar, wie angespannt die Beziehung zwischen António Indjai und Carlos Gomes Júnior ist. "Diese Beziehung war immer schlecht. Zwar gab es eine Art 'Stillhalteabkommen' zwischen beiden. António Indjai tolerierte in der Praxis Carlos Gomes Júnior", sagt Paulo Gorjão, Analyst des portugiesischen Instituts für Strategische Studien, IPRIS.
"Doch Carlos Gomes Júnior hat sich in den letzten Jahren zu dem zivilen Politiker entwickelt, der den größten Einfluss und das höchste Prestige bei der internationalen Gemeinschaft genießt", zieht Gorjão eine Bilanz der vergangenen Monate. "Das ging natürlich gegen die Militärs. Und so war ein Putsch quasi nur eine Frage der Zeit, sobald es die Umstände erlauben würden."
Machtvakuum nach Tod des Präsidenten
Eine gute Gelegenheit für einen Putsch bot offensichtlich das Machtvakuum nach dem Tod von Präsident Malam Bacai Sanhá, der im Januar in Paris nach langer Krankheit verstorben war. Denn Regierungschef Carlos Gomes Júnior galt als Favorit für die Nachfolge von Malam Bacai - beide gehören der ehemaligen Unabhängigkeitsbewegung und früheren Einheitspartei PAIGC an.
Carlos Gomes Júnior, oder Cadogo, wie er im Land oft genannt wird, verfehlte bei der ersten Runde der Wahlen am 18. März mit 49 Prozent der Stimmen nur knapp die absolute Mehrheit und ging als haushoher Favorit in die Stichwahl.
Seine Macht und sein Einfluss drohten - aus der Sicht der Militärs - endgültig demokratisch legitimiert zu werden. "Ich glaube, dass der Staatsstreich vor allem durch die Ankündigung ausgelöst wurde, dass die Stichwahlen, zwar eine Woche später als geplant, aber dann doch am 29. April stattfinden sollten", sagt Paulo Gorjão vom IPRIS. Für ihn ist es kein Zufall, dass die Militärs ausgerechnet kurz vor der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen geputscht haben.
"Da absehbar war, dass der Sieger Carlos Gomes Júnior heißen würde, war klar, dass angolanische Truppen weiter im Land bleiben würden. Entweder unter dem Mandat der aktuellen Mission MISSANG oder mit einem anderen Mandat", vermutet der portugiesische Analyst Gorjão.
"Gefahr von außen"
In der offiziellen Erklärung zum Putsch hatte das Militärkommando davon gesprochen, dass es eine Intervention angolanischer Truppen mit Mandat der Afrikanischen Union verhindern wollte. Das Militärkommando verwies auf ein angeblich existierendes, geheimes Abkommen der Regierung, das zum Ziel gehabt habe, die Streitkräfte von Guinea-Bissau zu vernichten.
Fakt ist: Die Regierung unter Carlos Gomes Júnior hatte in den vergangenen Jahren mit Hilfe der ebenfalls früheren portugiesischen Kolonie Angola versucht, das Militär zu reformieren. Im Jahr 2010 hatte sich bereits eine Mission der Europäischen Union frustriert zurückgezogen, da die Militärs die Reformbemühungen sabotiert hatten. Vor den Wahlen hatte nun auch Angola angekündigt, seine etwa 200 Mann starke, bewaffnete Mission aus Bissau abziehen zu wollen. Die Regierung von Carlos Gomes Júnior hatte sich dagegen bemüht, weiterhin eine internationale Mission zur Streitkräftereform im Land zu behalten.
Und so dürfte die Sorge der Streitkräfte um ihre Autonomie den Putsch ausgelöst haben. Der Drogenhandel dagegen, der immer wieder für Unruhen in den vergangenen Jahren verantwortlich gemacht wurde, spielt vermutlich diesmal keine Rolle. Guinea-Bissau gilt als Basis der Drogenmafia, um Kokain von Südamerika nach Europa zu bringen.
Neuwahlen im November?
Nach dem ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen haben mehrere Kandidaten wegen angeblichem Wahlbetrug protestiert, obwohl internationale Beobachter von einem freien und fairen Verlauf gesprochen hatten.
Vor allem der mit 23 Prozent der Stimmen zweitplatzierte Kandidat, Ex-Präsident Kumba Ialá, hatte noch wenige Stunden vor dem Putsch die Legitimität der Wahlen in Frage gestellt und angekündigt, nicht an der Stichwahl teilnehmen zu wollen. Außerdem hatte er mit Konsequenzen gedroht, sollte der zweite Wahlgang wie geplant am 29. April stattfinden. Ähnlich wie viele Militärs gehört Kumba Ialá der ethnischen Gruppe der Balanta an.
Mehrere Parteien der Opposition haben nun den Putsch zwar verurteilt, aber dennoch bei einem mehrtägigen Treffen in Bissau angekündigt, eine Übergangsregierung bilden und den Militärs Wahlen für November vorschlagen zu wollen. Diesmal sei eine umfassende Wählerregistrierung geplant. Diese hatte es vor den Wahlen im März aus Zeitgründen nicht gegeben.