Ruto-Prozess: Kritik an Den Haag
12. September 2013Der Zeugenstuhl blieb leer: Statt wie angekündigt zum Pozessauftakt kommt die erste Zeugin der Anklage nun erst eine Woche nach Beginn der Verhandlungen gegen Kenias Vize-Präsident William Ruto, also am Dienstag (17.09.2013). Die Kenianerin - ihre Identität wird aus Sicherheitsgründen geheim gehalten - ist eine von 22 Zeugen, auf deren Aussage die Anklage gegen Ruto beruht. Dessen Anwalt, Karim Khan, gab sofort seine eigene Lesart der Prozessvertagung bekannt: Es sei frei erfunden, dass sein Mandant Gewalttaten infolge der Wahlen von 2007 mit mehr als 1000 Toten organisiert und in Auftrag gegeben haben soll. Die Anklage habe sich "blindlings auf einen brüchigen Fall" eingelassen.
Für die Opfer ist die Vertagung ein erstes Zeichen, dass der Prozess ins Nichts laufen könnte. "Die Anhänger der Opposition haben Angst und befürchten, der Internationale Strafgerichtshof gebe allmählich dem Druck der kenianischen Regierung nach", sagt der kenianische Bürgerrechtler Gacheke Gachihi im Gespräch mit der DW. Als William Ruto und der jetzige Präsident Uhuru Kenyatta im März dieses Jahres gemeinsam bei der Wahl antraten, wurde ihnen nachgesagt, dieses Bündnis nur als Schutzschild gegen eine Anklage aus Den Haag geschmiedet zu haben. "Bei den Opfern macht sich Hoffnungslosigkeit breit: Sie glauben immer weniger daran, dass es Gerechtigkeit geben kann", beschreibt Gachihi die Gefühlslage von vielen Betroffenen.
Gehen der Anklage die Zeugen aus?
"Natürlich sieht das nicht gut aus, wenn Zeugen abspringen - für einen Prozess ist das nie hilfreich", sagt Florent Geel, bei der Internationalen Menschenrechtsliga (FIDH) in Paris für Afrika zuständig. Die Zweifel am planmäßigen Stattfinden des Prozesses werden auch dadurch genährt, dass die gambische Chefanklägerin am Strafgerichtshof, Fatou Bensouda, die Anklage gegen einen weiteren Verdächtigen im März dieses Jahrs zurückziehen musste. Der Grund: Potentielle Zeugen waren entweder verstorben oder zu verängstigt, um ihre Aussage vor Gericht zu wiederholen. Auch im Prozess gegen Ruto waren noch wenige Tage vor Verhandlungsbeginn zwei Zeugen abgesprungen.
"Dass die Zeugen aus einem Land, in dem sie offensichtlich gefährdet sind, nicht kommen können, ist ein normaler Vorgang", beruhigt der Richter und Völkerrechtler Kai Ambos von der Universität Göttingen. "Auch beim Landgericht Göttingen, wo ich Richter bin, passiert es, dass Zeugen mal nicht kommen. Am Strafgerichtshof in Den Haag gehe es um schwierige Verfahren, und dass nicht alles reibungslos laufe, müsse man in Kauf nehmen, so Ambos.
Trotz aller Schwierigkeiten ist auch Florent Geel von der FIDH in Paris optimistisch, dass der Prozess gegen William Ruto nicht in sich zusammenfällt - wie es einige der Opfer befürchten. "Wenn es ein Risiko für die Anklage gegeben hätte oder einen Hinweis, dass man die Verbrechen nicht beweisen kann, dann hätte die Chefanklägerin ihre Anklage zurückgezogen, dann würde sie diesen Prozess nicht führen", so Geel.
Vorwurf des Neokolonialismus
Der schwierige Start im Ruto-Prozess ist allerdings Wasser auf die Mühlen der politischen Gegner des Tribunals. Da wäre etwa das kenianische Parlament, das die Mitgliedschaft des Landes bei dem Gerichtshof aufkündigen will. Uganda könnte folgen - Präsident Yoveri Museveni lässt immer wieder verbale Attacken gegen Den Haag los. Oder die Afrikanische Union (AU): Im Frühjahr bezeichneten führende AU-Vertreter das Gericht in Den Haag als Instrument des Neokolonialismus. "Ein Gericht im Norden darf nie über den Süden urteilen", sagte etwa Ramtane Lamamra, AU-Kommissar für Frieden und Sicherheit, am Rande der Feierlichkeiten zum 50-jährigen Bestehen der AU.
Die Kritiker monieren, dass bislang ausschließlich Afrikaner in Den Haag angeklagt sind. Unter anderem muss sich im November auch der kenianische Präsident Uhuru Kenyatta für ähnliche Taten wie Ruto vor dem Internationalen Strafgerichtshof verantworten. Völkerrechtler Kai Ambos plädiert dafür, dass das Gericht ebenfalls Fälle außerhalb Afrikas annehmen müsse - etwa im Fall Syrien.
Trotzdem warnt er davor, die Leistung des seit elf Jahren bestehenden Haager Gerichts aufgrund der Prozessvertagung infrage zu stellen. "Wer hätte denn vor zehn Jahren darüber gesprochen, dass ein amtierender Präsident wie Uhuru Kenyatta - mit absoluter Macht in seinem Land - vor so ein Gericht kommen muss?", sagt er. Selbst im Falle eines Freispruchs sei es das Wichtigste, dass sie sich überhaupt verantworten müssten, so Ambos.