Russlands Superstar kritisiert Krieg
19. September 2022Nein, das Wort "Krieg" nimmt sie öffentlich nicht in den Mund, das ist in Russland strafbar. Auch die Ukraine erwähnt sie in ihrem Post nicht expliziert. Dennoch sorgte das, was der größte russische Popstar aller Zeiten, Alla Pugatschowa, am Wochenende veröffentlicht, in Russland für große Aufregung. Denn Millionen von Russen sehen darin einen - wenn auch indirekten - Protest gegen das, was in Russland militärische Spezialoperation heißt. Pugatschowa ist die mit Abstand bekannteste Person, die sich traut, diesen Protest öffentlich zu äußern.
Der Protest-Post in Alla Pugatschowas Instagram-Account hat eine Vorgeschichte. Vergangenen Freitag wurde ihr Ehemann Maxim Galkin, ein berühmter russischer Komiker und bis vor kurzem ein Fernsehstar, vom russischen Justizministerium zum so genannten ausländischen Agenten erklärt. Galkin lebt seit einigen Monaten im Ausland, er hat Russland verlassen, nachdem er zuvor die Entsendung russischer Truppen in die Ukraine und Russlands Raketenschläge auf ukrainische Städte kritisiert hatte und dafür angefeindet worden war. Statt durch Russland tourt der Komiker seitdem durchs Ausland und spendet die Erlöse von seinen Auftritten an die Ukraine.
Solidarität mit Ehemann
Pugatschowas Post war also eine Reaktion auf Maxim Galkins "Agenten"-Status. Sie bat das Justizministerium in einem bissigen Appell, sie ebenfalls in die Reihen der ausländischen Agenten aufzunehmen: "Denn ich bin solidarisch mit meinem Mann, einem ehrlichen, anständigen und aufrichtigen Menschen, einem wirklichen und unkäuflichen Patrioten Russlands, der seiner Heimat Wohlstand wünscht, ein friedliches Leben, Meinungsfreiheit und ein Ende des Sterbens unserer Jungs für illusorische Ziele, die unser Land zum Paria machen und das Leben unserer Bürger erschweren."
Von Kaliningrad bis Wladiwostok genießt die 73-jährige Pugatschowa Respekt. Für Millionen Fans ist sie seit den Siebzigerjahren eine Legende. Und wenn es so etwas wie die Seele des Volkes gibt, dann ist das vor allem sie, Alla Borisowna Pugatschowa mit ihrem größten Hit "Eine Million roter Rosen". Auch international war Pugatschowa Jahrzehnte lang Russlands bekannteste Sängerin. Mehr als 250 Millionen Schallplatten und CDs mit ihren Hits wurden verkauft, Hits, die auch heute noch auf vielen Feiern in Russland von Jung und Alt nachgeträllert werden.
Gemischte Reaktionen
Auch Pugatschowas Privatleben ist ein Dauerthema in den russischen Medien, vor allem die aktuelle Ehe mit dem 27 Jahre jüngeren Maxim Galkin. Im Gegensatz zu Galkin äußerte sich Pugatschowa nach dem 24. Februar nicht politisch, was viele als beredtes Schweigen und unterschwelligen Protest gegen den Kreml einschätzten. Jetzt wurde dieser Protest also öffentlich und sorgt für gemischte Reaktionen.
"Bravo, Alla Borisowna!", "Respekt für Alla", "Die beste Leistung von Alla Pugatschowa seit vielen Jahren", schreiben einige der 3,5 Millionen Instagram-Follower. Andere dagegen griffen die Pop-Diva dafür an, dass sie nicht explizit den Krieg kritisieren, sondern lediglich ihren Mann schützen wolle. Dritte wiederum beschimpfen die Sängerin als Heimatverräterin. Auch viele russische Politiker, Künstler und andere Prominente reagierten auf die Worte von Pugatschowa.
"Ohrfeige" für den Kreml
Politikwissenschaftler Abbas Galjamow schreibt in seinem Telegram-Kanal von einer "starken Ohrfeige", die Pugatschowa mit ihren Worten dem Kreml verpasst hätte. Ihre Politisierung könnte bei den Russen das Gefühl "Jetzt reicht's wirklich" hervorrufen. Der politische Analyst Stanislaw Belkowskij geht in seinem Telegram-Kanal noch weiter: "Alla Pugatschowa wird de facto zur Anführerin des Antikriegsteils der russischen Gesellschaft."
Peter Tolstoi, stellvertretender Duma-Vorsitzender wirft der Sängerin dagegen Realitätsverlust vor: "Ich bedaure, dass Pugatschowa, die ehemals populärste Sängerin des Landes, so sehr den Bezug zur Realität verloren hat und sich mit denen solidarisiert, die heute Russlands Niederlage wünschen."
Der Kreml bleibt bisher schmallippig. Kremlsprecher Dmitri Peskow hält Pugatschowas Worte "nicht für ein Thema, das irgendeinen Bezug zum Kreml hat."