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Russlands neue Rolle in Afghanistan

Waslat Hasrat-Nazimi2. März 2016

Egal, ob es um Militärhilfe geht oder um wirtschaftliche Zusammenarbeit: Russland will in Afghanistan wieder mitreden. Und es zeigt sich dabei nach allen Seiten gesprächsbereit.

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Präsident Wladimir Putin Russland mit Präsident Ashraf Ghani Ahmadzai Afghanistan
Bild: picture-alliance/A. Druzhinin/RIA Novosti

Russland und Afghanistan nähern sich wieder an. Fast scheint es, als seien die alte Feindschaft, die ein Jahrzehnt andauernde Besatzung und der blutige Krieg, den die Sowjetunion von 1979 bis 1989 in Afghanistan führte, vergessen. Heute pflegen Moskau und Kabul gute Beziehungen zueinander. Ende 2015 wurden diese mit einem Sicherheitsabkommen untermauert. Im Rahmen dieses Abkommens übergab der russische Botschafter vor wenigen Tagen in einer feierlichen Zeremonie insgesamt 10.000 brandneue Kalaschnikow-Gewehre an die afghanische Regierung. Weitere militärische und wirtschaftliche Hilfen sollen folgen.

Russland war seit Beginn der US-amerikanisch geführten Intervention in Afghanistan zwar nicht mit Truppen, jedoch aber logistisch am Wiederaufbau beteiligt. Offiziell wurde dies durch den NATO-Russland-Rat institutionalisiert, der viele Jahre operierte. Im vergangenen Jahr aber überwarfen sich Russland und der Westen im Ukraine-Konflikt. Daraufhin wurde die praktische militärische und zivile Zusammenarbeit zwischen NATO und Russland ausgesetzt. Der Dialog wurde jedoch aufrechterhalten.

Alte Liebe rostet nicht

"Als sich der Konflikt mit dem Westen zuspitzte und die Zusammenarbeit in Afghanistan brachlag, entschied Russland sich dazu, auf eigene Faust aktiv zu werden", sagt Omar Nessar, Direktor am Moskauer Zentrum für Moderne Afghanistanstudien. "Russland suchte die Nähe zur afghanischen Regierung, um eigenmächtig in die Geschehnisse einzugreifen". Und das gehe am besten durch militärische Hilfen und wirtschaftliche Investitionen. So plant Russland unter anderem, Afghanistan im Wohnungsbausektor zu unterstützen. Das sicherte Zamir Kabulov, der russische Sonderbeauftragte für Afghanistan und Pakistan, dem afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani bei einem Treffen Ende Februar erneut zu. In einer Zeit, zu der sich die westlichen Truppen zunehmend aus Afghanistan zurückziehen, sucht die afghanische Regierung nach neuen Partnern. Russland, aber auch China sind willkommene Alternativen. China ist zudem ein Hauptakteur in den bislang indirekten Friedensgesprächen mit den Taliban.

Zamir Kabulov, der russische Sonderbotschafter für Afghanistan und Pakistan (Foto:imago)
Zamir Kabulov ist der russische Sonderbotschafter für Afghanistan und PakistanBild: imago/Pak Images/I. Dean

Offiziell unterstützt auch Russland die Aufnahme direkter Gespräche mit den Taliban, wenngleich sie kaum daran glauben, dass diese so bald anlaufen könnten. Zamir Kabulov forderte die Taliban dennoch auf, teilzunehmen. Bei seinem jüngsten Treffen mit dem afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani beteuerte er zudem, dass nur die afghanische Regierung befähigt sei, mit den Taliban Friedensgespräche zu führen. "Die Russen unterhalten freundliche Beziehungen mit der afghanischen Regierung, aber sie haben kein Vertrauen in die von den USA und China angeführten Friedensgespräche mit den Taliban", so Javid Ahmad, Südasienspezialist und Doktorand an der Yale Universität. "Sie sind eher an einem parallelen diplomatischen Ansatz interessiert, der von Moskau geführt wird, um ihre eigenen Interessen durchzusetzen". Dafür hat Russland nun einen eher ungewöhnlichen Partner gefunden: die Taliban.

Doppeltes Spiel?

"Die Interessen der Taliban stimmen mit unseren überein", sagte Zamir Kabulov, Russlands Sonderbeauftragter für Afghanistan, während einer Moskauer Konferenz zu Afghanistan im Januar dieses Jahres. Kabulov gab an, dass die russische Regierung mit den Taliban im Gespräch sei, um Informationen auszutauschen. Der gemeinsame Nenner beider Parteien ist die Sorge um die zunehmende Präsenz des "IS" in Afghanistan. Die Russen nähmen den IS als deutlich größere Bedrohung ihrer Interessen wahr, so Javid Ahmad. Die Taliban seien nur an Afghanistan interessiert, der IS hingegen international aktiv. "Deshalb reden die Russen jetzt auch mit ihren ehemaligen Erzfeinden: den Taliban".

Laut einem Bericht der UN vom September 2015 sind IS-Kämpfer bereits in 25 der 34 afghanischen Provinzen aktiv. Viele dieser Kämpfer sind ehemalige Taliban. Momentan wird die Größe des IS in Afghanistan auf etwa 3000 Kämpfer geschätzt. "Das ist eine kalkulierte, gleichzeitig gefährliche Herangehensweise, die weitreichende Konsequenzen für die Sicherheit in Afghanistan mit sich trägt und das Risiko eines Proxy-Kriegs beinhaltet". Laut Ahmad ist jegliche materielle Unterstützung für die Taliban zudem eine Verletzung der UN-Sanktionen gegen die Taliban.

Für Omar Nessar ist diese Aussage übertrieben. "Alle regionalen Mächte und Großmächte pflegen Kontakte zu den Taliban", so der Experte. "Ob es Pakistan, China, Japan oder der Iran ist - alle Länder haben ein Recht auf Kontakt zu den Taliban. Warum nicht auch Russland?". Laut Nessar würden Kabulovs Aussagen von den westlichen und afghanischen Medien oft verdreht und fehlinterpretiert. "Das Ziel dabei ist, denke ich, das Vertrauen beider Länder zu schwächen und eine erneute Aktivität Russlands in Afghanistan zu verhindern". Russland, so Nessar, habe immer noch starke Feinde in Afghanistan.

Amu Darya statt Wolga

Nichtsdestotrotz fürchtet Russland ein Überschwappen terroristischer Gruppen nach Zentralasien. Laut afghanischen Sicherheitsbehörden sind hunderte Terroristen aus den arabischen Ländern, Tschetschenen, Uiguren, Usbeken, Tadschiken und Pakistaner aus dem pakistanischen Nord-Waziristan nach Afghanistan eingedrungen, um dort zu kämpfen. Seit letztem Jahr ist verstärkt der Norden Afghanistans Schauplatz blutiger Auseinandersetzungen.

Tadschikistan bekommt Hilfe zur Sicherung der Grenze zu Afghanistan (Foto:DW/Galim Faskhutdinow)
Tadschikische Soldaten sichern die Grenze zu AfghanistanBild: DW/G. Faskhutdinow

Die schwere Präsenz terroristischer Kämpfer so nah an Russlands Hinterhof macht Moskau zunehmend Sorgen. Um ein Eindringen in Richtung Russland zu verhindern, setzt Russland daher auch auf Aufbau und Ausbildung der tadschikischen Armee. "Besser wir bekämpfen die Islamisten am Amu Darya als an der Wolga", sagte Kabulov im Interview mit der russischen Nachrichtenagentur Interfax Anfang des Jahres. Der Grenzfluss zwischen Afghanistan und Tadschikistan ist in dieser Hinsicht für Russland von besonderer strategischer Bedeutung.