Russland verschärft Gesetz zu "unerwünschten Organisationen"
24. Juli 2024Kremlkritiker haben es bekanntlich schwer in Russland. In den vergangenen Jahren wurde eine ganze Reihe von Gesetzen verabschiedet, die offene Kritik an der offiziellen Politik Moskaus kriminalisieren. Das Gesetz über die so genannten "unerwünschten Organisationen" gehört dazu. Jetzt wurde es verschärft. Die Duma hat die Neuerungen in der dritten und letzten Lesung angenommen. Nach der anschließenden Verabschiedung im Föderationsrat und der Unterschrift von Staatschef Wladimir Putin soll es sofort in Kraft treten.
Laut dem Gesetz gelten in Russland Organisationen als unerwünscht, "deren Aktivitäten eine Bedrohung für die Grundlagen der verfassungsmäßigen Ordnung der Russischen Föderation, die Verteidigungsfähigkeit des Landes oder die Sicherheit des Staates darstellen". Solchen Organisationen ist es verboten, "Geldgeschäfte zu tätigen, Informationsmaterial zu verbreiten, auch in den Medien oder im Internet, juristische Personen zu gründen und Programme durchzuführen".
Bald jede ausländische Organisation in Russland verboten?
Bisher betraf das Gesetz nur Nichtregierungsorganisationen, allen voran oppositionelle Institutionen wie etwa politische Stiftungen, Menschenrechtsgruppen oder Umweltvereine. Jetzt sollen außerdem alle ausländischen Organisationen als "unerwünscht" erklärt werden können, deren "Gründer oder Teilhaber staatliche Organe eines ausländischen Staates" sind. Es spielt also keine Rolle mehr, wer eine solche Organisation gegründet hat und betreibt: eine Privatperson, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, ein eingetragener Verein, eine Partei, eine staatliche oder Regierungsinstitution.
Die Zusammenarbeit mit einer solchen Organisation ist grundsätzlich strafbar. Die Beteiligung an den Aktivitäten einer "unerwünschten Organisation" in Russland oder aber auch im Ausland gilt zuerst einmal als Ordnungswidrigkeit und wird mit einer Geldbuße bis zu umgerechnet knapp 1600 Euro bestraft. Im Wiederholungsfall droht eine Strafe bis zu 5300 Euro oder eine Haftstrafe bis zu vier Jahren. Die Gründung von "unerwünschten Organisationen" und ihre Leitung wird mit bis zu sechs Jahren Haft bestraft.
Auch Interview-Partnern drohen in Russland Strafen
Als Zusammenarbeit wird die Verbreitung von Zitaten und Links zu Texten und Videos einer "unerwünschten Organisation" verstanden, sowie die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen, die von "unerwünschten Organisationen" organisiert werden. Auch wer etwa ein Interview einem als solche Organisation erklärten Fernsehsender gibt, macht sich strafbar. Das Gesetz könnte auch auf die Deutsche Welle angewendet werden, die bereits ihr Büro in Moskau schließen musste.
Die russische Juristin Anastasia Burakowa ist überzeugt, dass das Gesetz mit Absicht möglichst vage formuliert wurde, um eine möglichst große Anzahl von Organisationen zu verbieten, die "nicht im Einklang mit der Politik des Kremls sind". Im DW-Gespräch nennt sie das Gesetz deshalb "ein Gummi-Gesetz", weil man es wie ein Stück Gummi beliebig "biegen" also auslegen kann.
Es könne zum Beispiel auf die NATO angewendet werden oder den Europa-Rat oder auch den Internationalen Strafgerichtshof. "Jede Person, die eine Beschwerde gegen den russischen Staat bei diesem Gericht einreicht, kann mit einer Gefängnisstrafe von bis zu vier Jahren rechnen. "Das gilt dann als Teilnahme an der Tätigkeit einer "unerwünschten Organisation."
Russland "hängt den Eisernen Vorhang noch tiefer"
Als die Duma über die Verschärfung in der ersten Lesung am 11. Juni abstimmte, deutete ihr Vorsitzender Wjatscheslaw Wolodin an, auf wen das erneuerte Gesetz zielt, nämlich auf Organisationen, die in den USA, Großbritannien und anderen europäischen Staaten innerhalb ihrer staatlichen Strukturen gegründet worden seien und "Aktivitäten durchführen, die gegen Russland gerichtet sind."
Einer der Autoren des verschärften Gesetzes, der Duma-Abgeordnete Wasilij Piskarow fügte hinzu, dass man jede Möglichkeit für ausländische Organisationen ausschließen sollte, sich in innere Angelegenheiten Russlands einzumischen: "Es gibt genügend Beispiele dafür, dass Organisationen, die mit Regierungsbehörden der Vereinigten Staaten oder europäischer Länder verbunden sind, Russland direkt schaden und subversive Aktivitäten durchführen."
Für die Juristin Burakowa ist klar, dass "damit der Eiserne Vorhang noch tiefer hängt und Russland sich noch mehr von den internationalen Institutionen isoliert."
Bereits 200 Nichtregierungsorganisationen in Russland verboten
Das erneuerte Gesetz sei noch repressiver als es bisher war, sagt die russische Anwältin und Menschenrechtlerin Waleria Wetoschkina im Gespräch mit der DW. Für sie sei klar, dass es in Wirklichkeit darum gehe, "noch mehr Menschen strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen," die mit der Politik ihres Landes nicht einverstanden seien. Dabei könne es auch Ausländer treffen, fügt ihre Kollegin Anastasia Burakowa hinzu und weist darauf hin, dass das Gesetz vor allem seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine verstärkt angewendet wurde - auch gegen unabhängige Medien.
Knapp zweihundert ausländische und internationale Nichtregierungsorganisationen wurden inzwischen in Russland als "unerwünscht" verboten. Unter ihnen sind das in Lettland ansässige Nachrichtenportal Medusa, der in den Niederlanden registrierte russischsprachige Sender Doschd, das unabhängige Internetportal The Moscow Times, die deutschen Parteienstiftungen wie die Heinrich-Böll-Stiftung und die Friedrich-Ebert-Stiftung und die internationalen Umweltorganisationen WWF und Greenpeace.