Russland verschärft Internetzensur
16. Januar 2014Andrej Lugowoi ist ein Mann des Geheimdienstes. Der Geschäftsmann mit KGB-Vergangenheit wird verdächtigt, den Ex-Spion Alexander Litwinenko in London ermordet zu haben. Der Fall sorgte 2006 für diplomatische Verstimmungen zwischen Russland und Großbritannien, das die Auslieferung des mutmaßlichen Giftmörders verlangte. Sein vorläufiges Ende fand der Streit allerdings damit, dass Lugowoi ins russische Parlament gewählt wurde, wo er Immunität vor Strafverfolgung besitzt. Dort hat er sich nun einen neuen Feind vorgenommen: Unruhestifter im Internet.
Druck auf Facebook & Co.
Lugowoi, der für die Liberaldemokraten des Rechtspopulisten Wladimir Shirinowski im Parlament sitzt, ist einer der Autoren eines Gesetzes zur Verschärfung des Internetrechts, das am 1. Februar 2014 pünktlich zu den Olympischen Spielen in Sotschi in Kraft tritt. Das Gesetz erweitert die Befugnisse der Sicherheitsbehörden, Internetseiten von den Anbietern sperren zu lassen. In Zukunft können Internetprovider angewiesen werden, neben extremistischen oder kinderpornografischen Seiten auch solche Seiten und soziale Netzwerke zu sperren, die "zur Teilnahme an Massenveranstaltungen" aufrufen. "Jeder Protestaufruf auf Facebook erlaubt es dann der Telekommunikationsbehörde, die Sperrung des Netzwerks im ganzen Land zu verfügen, sollte der Konzern die entsprechenden Kommentare nicht entfernen", warnt der Internetaktivist Alexej Sidorenko.
Seit Wladimir Putin 2012 als Präsident wiedergewählt wurde, weitet Russland die Kontrolle über das Internet aus. Die Wahl wurde damals insbesondere in Moskau und St. Petersburg von Protesten begleitet, Aufrufe zu Demonstrationen verbreiteten sich über soziale Netzwerke wie Facebook. Direkt nach der Wahl begann die neue Regierung mit der Verschärfung der Internetkontrolle. Eine erste Version des Gesetzes über Internetsperren, das jetzt verschärft wurde, trat zwei Monate nach Putins Wiederwahl in Kraft.
"Während der Proteste wurde Facebook in Russland populär", sagt Andrej Soldatow, Betreiber der Website agentura.ru, die die russischen Geheimdienste beobachtet. "Und damals merkten die Geheimdienste, dass sie keine Ahnung hatten, wie sie mit ausländischen Anbietern umgehen sollten." Bis dahin spielten sich Debatten vor allem auf russischen Seiten wie der Blog-Plattform Livejournal.com ab, auf die die Geheimdienste Zugriff hatten. Nun musste eine Strategie her, wie mit ausländischen Anbietern zu verfahren sei. Das Zensurgesetz diene vor allem als Druckmittel, um ausländische Anbieter wie Facebook und Google zur Kooperation zu zwingen, glaubt Soldatow.
Snowden als Vorwand für Zensur
Soldatow und Sidorenko sind von der Organisation Reporter ohne Grenzen nach Berlin eingeladen worden, um über die Entwicklung im russischen Internet zu berichten. Auf dem Pressefreiheitsindex der Organisation ist das Land gerade um sechs Plätze nach unten gerutscht und rangiert jetzt auf Platz 148.
Dabei hatte der Kreml im vergangenen Jahr noch für Überraschung gesorgt, als er dem Whistleblower Edward Snowden Asyl gewährte, der die massenhafte Überwachung des Internets durch den amerikanischen Geheimdienst NSA öffentlich machte. Doch während Snowden von der russischen Bevölkerung so wie wie in vielen Ländern auch als Held gefeiert werde, habe sein Aufenthalt auf die Internetfreiheit im Land keine positive Wirkung, sagt der Geheimdienstexperte Soldatow. Im Gegenteil, regierungstreue Politiker nutzten Snowdens Enthüllungen für die Forderung, die Internetkontrolle zu verschärfen - angeblich um die Daten russischer Bürger vor amerikanischen Konzernen zu schützen. Snowden habe die russischen Behörden inspiriert, "ihre Systeme zu aktualisieren, um der NSA ähnlicher zu werden", warnt auch Sidorenko. "Ich kann nur an alle europäischen Staaten appellieren, ihn aufzunehmen. Überall wäre er besser aufgehoben als in Russland."