Russland-Krise: Diplomatische Lösung möglich?
21. Februar 2022Bereits seit vergangenem Dezember laufen die diplomatischen Bemühungen, um die Krise um Russland und die Ukraine zu lösen, auf Hochtouren. Der US-amerikanische und der russische Präsident telefonierten mehrfach miteinander. Europäische Regierungschefs riefen im Kreml an. Europäer und Amerikaner sprachen sich untereinander ab. Die NATO, die Europäische Union und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) kennen seit Wochen eigentlich nur noch dieses eine Thema: Wie kann eine Invasion Russlands in die Ukraine, wie ein Krieg in Europa abgewendet werden?
Vergangene Woche waren dann der französische Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzler Olaf Scholz bei Wladimir Putin in Moskau. Erreicht haben sie bislang nicht viel, aber immerhin wird weiter verhandelt. Ein, zwei Tage sah es nach dem Besuch des neuen Kanzlers danach aus, dass die russische Armee Manöver an der ukrainischen Grenze oder in Belarus beenden würde, doch die Hoffnung hielt nicht lange.
Der US-amerikanische Präsident Joe Biden sagte Ende der Woche, es gäbe keine Anzeichen für einen Abzug von Truppen. Das Gegenteil sei der Fall. Biden glaubt, dass Putins Entscheidung zur Invasion bereits feststehe. Über das Wochenende wurde dann klar, dass in der Ostukraine die Scharmützel zwischen von Russland gesteuerten Separatisten und der ukrainischen Armee zunehmen. Der französische Präsident Emmanuel Macron, der immer versucht hatte, einen kurzen Draht zu Wladimir Putin aufzubauen, griff am Sonntag dann gleich zwei Mal zum Telefon, um drei Stunden mit dem Machthaber im Kreml zu reden.
Gipfel oder nicht Gipfel?
Zuvor hatte US-Präsident Biden Macron um eine Art Vermittlung gebeten, hieß es aus dem Elysee-Palast in Paris. Macron fädelte so etwas wie eine Zusage für ein Gipfeltreffen zwischen Putin und Biden ein. Diese Woche könnte eine entscheidende Woche für die Diplomatie werden, vielleicht eine letzte Chance. Das zumindest geht aus der Zusammenfassung eines anderen Telefonats hervor. "Der Premierminister und Präsident Macron sind sich einig, dass die kommende Woche entscheidend für die Diplomatie sein wird", teilte ein Sprecher von Premierminister Boris Johnson in London mit.
Den nächsten Aufschlag in diesem diplomatischen Pingpong-Spiel hat an diesem Montag Bundeskanzler Scholz. Er hat am späten Nachmittag erneut mit dem russischen Präsidenten Putin telefoniert. Scholz habe Putin in dem Gespräch "zur sofortigen Deeskalation und zum Rückzug" der zusammengezogenen Truppen von der Grenze zur Ukraine aufgefordert, erklärte Regierungssprecher Steffen Hebestreit. Zudem warnte er vor einer Anerkennung der Unabhängigkeit der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk. "Zur Stunde" berate Scholz sich "mit den engsten Partnern", hieß es am frühen Abend weiter. Darunter seien Frankreichs Präsident Emmanuel Macon und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj.
Außenminister sollen vorbereiten
Die Bedingungen für ein Gipfeltreffen sollen an diesem Montag der französische Außenminister Yves LeDrian und sein russischer Amtskollege Sergej Lawrow ausloten. Am Donnerstag dann treffen sich Lawrow und der amerikanische Außenminister Anthony Blinken in Genf. Blinken hatte in einer Serie von Interviews in den Sonntags-Talkshows amerikanischer Fernsehsender das Treffen angekündigt.
"Herr Lawrow hat mich vor einer Woche kontaktiert und ein Treffen vorgeschlagen. Ich habe zugesagt, vorausgesetzt Russland marschiert nicht vorher in die Ukraine ein. Es kommt also ganz darauf an, was Russland in den nächsten Tagen macht", sagte Blinken bei CNN. "Wir haben eine Reihe von Vorschlägen auf den Tisch gelegt, die die Sicherheit für Russland und die Vereinigten Staaten und Europa erhöhen würden - auf gegenseitiger Basis. Wir sind bereit, Schritte zu tun, wenn Russland ebenfalls bereit ist, Schritte zu tun."
Nicht über die Köpfe der Ukraine hinweg
Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba, der einmal mehr bei den Außenministerinnen und -ministern der Europäischen Union in Brüssel zu Gast war, begrüßte am Montag, die Idee eines Gipfeltreffens. Er habe inzwischen mit seinem US-Kollegen gesprochen und der habe ihm zugesichert, Entscheidungen würden nicht hinter dem Rücken der Ukraine getroffen werden. "Wir hoffen als Menschen, die verzweifelt einen Krieg vermeiden wollen, dass die beiden Präsidenten den Raum verlassen und eine Vereinbarung getroffen haben werden, dass Russland seine Truppen aus der Ukraine abzieht", sagte Kuleba in Brüssel und forderte gleichzeitig, die EU möge schon jetzt neue Sanktionen gegen Russland verhängen.
Seit 2014 hält Russland die ukrainische Halbinsel Krim unter seiner Kontrolle und unterstützt einen Krieg der Separatisten im Osten der Ukraine. Noch besser als ein Gipfeltreffen der zwei Mächte wäre nach Kulebas Auffassung eine Runde der fünf ständigen Mitglieder im UN-Sicherheitsrat plus Deutschland, Türkei und Ukraine.
Frankreich, Deutschland und die Ukraine hatten auch angeregt, das sogenannte Normandie-Format wieder zu beleben. Zusammen mit Russland hatten die drei Staaten nach Vereinbarungen in der belarussischen Stadt Minsk 2015 über einen Friedensprozess und einen Waffenstillstand in der Ostukraine verhandelt. Das letzte Gipfeltreffen der vier Staats- und Regierungschefs fand im Dezember 2019 statt. "Wir sprechen nicht über die Ukraine, sondern nur mit der Ukraine", versicherte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock beim Treffen der EU-Außenminister in Brüssel. Man werde nichts unversucht lassen. "Deshalb telefonieren wir alle ununterbrochen mit unseren russischen Kollegen."
Baerbock: "Kehren Sie an den Verhandlungstisch zurück!"
In Deutschland stimmen fast alle Parteien überein, dass Moskau die Krise ausgelöst hat. Nur die Linke, und hier die Bundestagsabgeordnete Sarah Wagenknecht, kritisiert die scharfen Äußerungen aus Washington. "Die Aggressivität, mit der von amerikanischer Seite ein russischer Einmarsch geradezu herbeigeredet wird, die ist schon bemerkenswert", sagte die linke Politikerin im ARD-Fernsehen in einer Talkshow. Wagenknecht verteidigte Putins Vorwurf, die NATO bedrohe Russland und nehme auf seine Sicherheitsinteressen keinerlei Rücksicht. "Der Westen täte besser daran, sie in Verhandlungen zu akzeptieren, ein neutraler Status für die Ukraine wäre im Interesse aller", behauptete Wagenknecht und wurde von anderen Talkshow-Gästen heftig für ihre Putin-Nähe kritisiert.
Über mehr Transparenz, militärische Übungen und Sicherheitsinteresse könne man mit Russland sprechen, stellte Außenministerin Annalena Baerbock am Montag in Brüssel klar, nicht aber über die Grundsätze europäischer Verträge. Die legen fest, dass jedes Land selbst wählen darf, welchem Bündnis es angehören möchte, auch die Ukraine oder andere ehemalige Sowjetrepubliken. Baerbock forderte die russische Regierung direkt auf: "Kehren sie an den Verhandlungstisch zurück! Wir warten auf Sie."
Diplomatie geht weiter
2007 bereits ging das diplomatische Tauziehen um die Ukraine, russische Interessen und die NATO los. Damals hatte Präsident Wladimir Putin in einer wütenden Rede auf der Münchener Sicherheitskonferenz dem Westen vorgeworfen, seine Truppen rücksichtlos bis an die Grenzen Russlands vorzuschieben. 2008 versprach die NATO der Ukraine und Georgien einen Beitritt - irgendwann. Im gleichen Jahr marschierte Putin in Teilen Georgiens ein. 2014 dann folgte die Annexion der ukrainischen Krim und der Stellvertreter-Krieg in der Ostukraine, der bis heute andauert.
Sollte diese Woche der Diplomatie in ein Gipfeltreffen zwischen den USA und Russland münden, wäre es bereits die zweite persönliche Begegnung zwischen Putin und US-Präsident Biden nach dem Gipfel in Helsinki im Juni 2021. Für Putin wäre es das sechste Gipfeltreffen mit einem amerikanischen Präsidenten. Keines dieser Treffen hat allerdings in einer derart brenzligen Lage stattgefunden. "Wir wollen keinen Krieg", sagte der litauische Außenminister Gabrielius Landsbergis am Montag in Brüssel. Ein Einmarsch Russlands in der Ukraine wäre trotzdem nicht das Ende der Diplomatie, so Landsbergis. "Die Türen für Diplomatie sind niemals geschlossen. Selbst wenn es zum Krieg kommt, gibt es immer die Möglichkeit für Kontakte. Aber der Aggressor muss zeigen, dass er bereit ist, sich zurückzuziehen."