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Politik

Erdogan bei Putin: Was passiert in Idlib?

Roman Goncharenko
5. März 2020

Nach der jüngsten Eskalation in der syrischen Provinz Idlib ist der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan zu Wladimir Putin nach Moskau gereist. Russland glaubt sich in einer stärkeren Position und riskiert doch viel.

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Russland Roter Platz mit Kreml in Moskau
Bild: Getty Images/AFP/V. Maximov

An persönlichen Kontakten zwischen Recep Tayyip Erdogan und Wladimir Putin mangelt es derzeit nicht. Seit Jahresbeginn haben sich die Präsidenten der Türkei und Russlands zweimal persönlich getroffen und mehrmals telefoniert. Es ging dabei auch um die Lage in Nordsyrien. Doch wenn an diesem Donnerstag Erdogan zu Putin nach Moskau reist, ist die Lage so dramatisch wie seit Jahren nicht mehr. Seit der Eskalation Ende Februar, als bei Angriffen der syrischen Armee in der Provinz Idlib mehr als 30 türkische Soldaten getötet wurden, sprechen Beobachter in Russland von einem Wendepunkt in den russisch-türkischen Beziehungen.

Was wollen Russland und die Türkei in Idlib?

Eigentlich sollte Anfang März in Istanbul ein Vierer-Gipfel zu Idlib stattfinden - mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Russland reagierte zurückhaltend, und derzeit sieht es nicht aus, als werde ein solches Treffen stattfinden. Zunächst jedenfalls wollen es Putin und Erdogan erneut alleine versuchen.

Während sich der türkische Präsident zuletzt martialischer Rhetorik bediente und die Präsenz türkischer Truppen in Nordsyrien ausbaute, gab sich Moskau schmallippig. Putin selbst äußerte sich öffentlich zunächst nicht. Sein Außenminister Sergej Lawrow bedauerte die Eskalation und beschwor die Einhaltung der Vereinbarungen von Sotschi aus dem Jahr 2018.

Russland Sotschi Treffen Putin Erdogan
Recep Tayyip Erdogan und Wladimir Putin im Jahr 2018 im russischen SotschiBild: Reuters/A. Zemlianichenko

Damals einigten sich Putin und Erdogan darauf, eine Sicherheits- beziehungsweise Deeskalationszone in Idlib einzurichten. Doch die Vereinbarungen wurden nur teilweise umgesetzt. Die Türkei kritisiert nun die syrische Offensive in Idlib, bei der auch türkische Beobachtungsposten teilweise überrannt wurden. Ankara verlangt einen Rückzug der syrischen Kräfte an die bisherige Trennlinie und legt Russland nahe, sich zurückzuhalten. Umgekehrt wirft Russland der Türkei vor, in Idlib auch terroristische Gruppen zu unterstützen.

Beim Treffen zwischen Putin und Erdogan werde es um Ursachen und Folgen der Krise in Idlib sowie Maßnahmen zu ihrer Lösung gehen, erklärte am Mittwoch der Kremlsprecher Dmitri Peskow gegenüber Journalisten. Welche Maßnahmen das sein könnten, sagte er nicht.

Russischer Experte: Kompromiss möglich

"Beide Seiten sind an einem Ende der Gewalt interessiert, besonders Ankara", sagte Timur Achmetow, Experte des regierungsnahen Moskauer Think-Tanks Russischer Rat für Außenbeziehungen (RSMD) der DW. Deshalb, glaube er, könnten Putin und Erdogan in Moskau zunächst eine erneute Waffenruhe aushandeln.

Das anstehende Treffen werde wohl ein erster Schritt zu weiteren diplomatischen Gesprächen sein, vermutet Achmetow, einen Kompromiss halte er für möglich: Die syrische Armee würde sich zwar nicht an die in Sotschi vereinbarte Trennlinie zurückziehen, doch Damaskus könnte etwa schwere Waffen abziehen. "Bei weiteren diplomatischen Gesprächen dürfte es darum gehen, die Grenzen der türkischen Sicherheitszone festzulegen, wo Flüchtlingslager eingerichtet werden und wo die Türkei weitere Kompetenzen haben könnte, darunter ein eingeschränkter Einsatz ihrer Luftwaffe über einem Teil der Sicherheitszone", mutmaßt der russische Experte.

Syrien Zerstörung von Wohngebieten und Infrastruktur in Idlib
Zerstörung von Wohngebieten und Infrastruktur in IdlibBild: AFP/O. H. Kadour

An das Risiko einer direkten Konfrontation in Syrien zwischen der Atommacht Russland und dem NATO-Mitglied Türkei glaubt Achmetow, wie die meisten seiner russischen Kollegen, nicht: "So weit würde es keiner kommen lassen." Einzelne Vorfälle oder "Spannungen geringer Intensität" wie 2015 seien jedoch möglich. Damals schossen türkische Kampfjets einen russischen Bomber an der türkisch-syrischen Grenze ab. Russland verhängte daraufhin Wirtschaftssanktionen gegen die Türkei und traf damit die Tourismusbranche und die Landwirtschaft schwer. Nach einigen Monaten wurden die Spannungen überwunden. "Jetzt sind beide Seiten moralisch sowohl zu Sanktionen, als auch zum Dialog bereit", sagt Achmetow vom RSMD. Allerdings gebe es jetzt bessere Gesprächskanäle.

Was für Russland auf dem Spiel steht

Nach den Erfolgen der syrischen Armee, die von den russischen Streitkräften vor allem aus der Luft unterstützt wird, sieht sich Russland offenbar bei Verhandlungen mit der Türkei in einer stärkeren Position. Auch im Falle einer Sanktionsspirale glaubt man in Moskau offenbar, am längeren Hebel zu sitzen. Und doch warnen Beobachter wie Marianna Belenkaja vor "einer der größten Herausforderungen für die russische Außenpolitik": "Die aktuelle Krise hat erneut gezeigt, dass sich Moskau und Ankara sehr schlecht verstehen", schreibt die Nahost-Expertin in ihrer aktuellen Analyse für das Moskauer Carnegie-Zentrum. Belenkaja sieht nun das "mit Mühe aufgebaute Schema" der russischen Syrien-Politik bröckeln. Präsident Putin habe zwar "eine Runde" gewonnen, indem er seinen "lieben Freund" Erdogan gezwungen habe, statt auf türkischem Boden in Moskau zu verhandeln, so die Expertin. Doch das sei erst der Auftakt.