Russland-Sanktionen auf dem Prüfstand
19. Februar 2016Es mutet ein wenig paradox an: Erst vor ein paar Tagen zeichnete der russische Ministerpräsident Dmitri Medwedew auf der Münchener Sicherheitskonferenz ein düsteres Bild. Er sprach von "einem neuen kalten Krieg" und zielte damit nicht nur auf die NATO, sondern auch auf die von der EU im Zuge des Ukraine-Konflikts und nach der russischen Annexion der Halbinsel Krim verhängten Sanktionen.
Deren Ende ist auch nach zwei Jahren nicht wirklich in Sicht. Die Wirtschaftslage in Russland ist miserabel, die deutschen Exportumsätze haben sich auf rund 21 Milliarden Euro fast halbiert. Allein 2015 betrug das Minus mehr als 25 Prozent. Ähnlich stark ging der gesamte Warenhandel mit 24 Prozent auf 51,5 Milliarden Euro zurück.
Wer heute abwartet, kann morgen kein Geld verdienen
Die Aussichten für dieses Jahr lassen keine Besserung erwarten. Und trotzdem hätte das Gedränge auf einer Konferenz, zu der die deutsch-russische Auslandshandelskammer (AHK) und der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) unter der Überschrift "Markt. Modernisierung. Mittelstand." nach Berlin eingeladen hatten, kaum größer sein können. Allein 150 Teilnehmer waren aus Russland angereist. Unter ihnen auch der russische Wirtschaftsminister Alexej Uljukajew.
Das Verhältnis zwischen Russland und der EU sei "unterkühlt", sagt er. "Diese ganze Sanktionsgeschichte ist nicht nur deswegen schlecht, weil man konkrete Dinge nicht machen kann, sondern weil das Sanktionsregime für Unsicherheit sorgt, weil man kein Vertrauen hat." Niemand könne wissen, ob die Lage im nächsten Jahr anders sei und daher würden alle nur abwarten, so Uljukajew, der dringend ausländische Investoren anlocken will. "Aber wenn man heute abwartet, dann kann man morgen kein Geld verdienen."
Deutsche Wirtschaft wird ungeduldig
So sieht es auch die deutsche Wirtschaft und drängt daher die Bundesregierung, ihre Beziehungen zu Russland wieder zu verbessern. Offiziell laufen die Sanktionen bis zum 31. Juli 2016. Wolfgang Büchele, Vorsitzender des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft, setzt große Hoffnungen in den Termin. "Wir hoffen, dass wir spätestens im Sommer einen Einstieg in den Ausstieg aus den Wirtschaftssanktionen sehen werden." In dem Maße, in dem die Umsetzung des Minsker Abkommens erkennbar werde, sollte man darüber nachdenken, ein "Zeichen der Annäherung" zu setzen. "Und das heißt eine sukzessive Rückführung der Sanktionen."
Mit dieser Forderung sieht sich Büchele auf einer Linie mit der überwiegenden Mehrheit der deutschen Unternehmen, die in oder mit Russland Geschäfte machen. In der jährlichen Geschäftsklima-Umfrage des Ost-Ausschusses und der AHK Russland plädieren 88 Prozent der befragten Unternehmen für eine sofortige Aufhebung der Sanktionen oder zumindest deren schrittweisen Abbau. Nur noch zwölf Prozent sehen einen Anlass zur Beibehaltung, vor einem Jahr waren es noch 24 Prozent.
Signale der Annäherung
"Aus deutscher Sicht ist Russland ein klasse Markt", bringt es Martin Wansleben auf den Punkt, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages. Es gebe reichlich Konsumenten und irgendwann werde sich auch der Ölpreis wieder auf ein normales Niveau eingependelt haben. "Wir machen gerne Geschäfte mit Russland und wir haben als deutsche Wirtschaft so viel dort investiert, dass wir auch mit einer gehörigen Portion darauf angewiesen sind, dass es dort funktioniert."
Für ein gutes politisches Auskommen sei zudem nichts besser als der Umgang mit gegenseitigen Abhängigkeiten, so Wansleben. "Das fördert sehr die Bereitschaft, aufeinander zuzugehen." Da kann Wirtschaftsminister Uljukajew nur zustimmen. "Wir müssen jetzt unsere Verantwortung begreifen und aufeinander zugehen", sagte er in Berlin vor einem Treffen mit Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel. Dessen Staatssekretär Matthias Machnig lässt die Unternehmen hoffen: "Wir brauchen neue Anstrengungen und neue Gemeinsamkeiten."
Investoren in Ruhe lassen
Anstrengungen im eigenen Land kündigt auch Alexej Uljukajew an. "Die Zeiten sind nicht einfach, wir hatten im vergangenen Jahr einen Rückgang beim BIP von 3,7 Prozent und das ist eine ganze Menge." Die Talsohle sei allerdings durchschritten, die wirtschaftliche und finanzielle Lage sei stabil. In der Landwirtschaft und im Maschinenbau gebe es erhebliche Gewinnchancen. "Das sind wunderbare Investitionsbedingungen, das ist eine Einladung, mitzumachen."
Unter dem Schlagwort "Lokalisierung" drängt Russland seit geraumer Zeit darauf, Importe durch inländische Produktion zu ersetzen. Rund 5.000 deutsche Firmen produzieren derzeit in Russland, ihr Umsatz beträgt ungefähr 45 Milliarden Euro pro Jahr. "Wir betrachten diese Unternehmen als russische", so Uljukajew. Die Regierung beabsichtige, die Investitionsbedingungen weiter zu verbessern. Das reiche von fiskalischen Erleichterungen bis hin zur Einschränkung von Kontrollen und Überwachungen. "Es geht darum, die Unternehmen in Frieden zu lassen, damit sie in Ruhe arbeiten können."
Ausgestreckte Hand?
Doch wie passt das Werben des Wirtschaftsministers zu der Äußerung des russischen Ministerpräsidenten auf der Münchener Sicherheitskonferenz? Es sei zu stark Medwedews Wort vom "Kalten Krieg" und zu wenig die Geste der Dialogbereitschaft beachtet worden, kritisiert Wolfgang Büchele für den Ost-Ausschuss. Er habe in München persönlich mit Medwedew sprechen können und dabei sei der Tenor ein anderer gewesen. "Hier wird auch eine Hand ausgestreckt, Russland will Teil der Lösung sein."
Der Präsident der AHK Russland, Rainer Seele, der auch Chef des österreichischen Öl- und Gaskonzerns OMV ist, sieht das genauso. Russland wolle sich wieder für Europa und eine Zusammenarbeit mit der deutschen Wirtschaft öffnen, weil China und die Türkei die durch die Sanktionen entstandenen Lücken nicht hätten füllen können. "Die Erwartung in Moskau ist: Es liegt jetzt an Euch Europäern, diese Hand anzunehmen. Die deutsche Wirtschaft ist dazu bereit."